Real verändert Musik nichts

Konstantin Grosse im Gespräch mit Kai Degenhardt

UZ: Kai, wie reagierst du auf den Rechtsruck, der seit geraumer Zeit in unserer Gesellschaft bemerkbar ist?

Kai Degenhardt: Ich bin genauso erschrocken wie wahrscheinlich jeder andere fortschrittlich denkende Mensch auch. Vor allem hatte ich bis vor Kurzem gedacht, dass es eigentlich noch so was wie common sense ist, sich über die humanitäre

Kay Degenhardt

Kay Degenhardt

( Norbert Krampf)

Katastrophe in den Kriegsgebieten, auf und am Mittelmeer und in den Flüchtlingslagern wenigstens moralisch zu entrüsten und sie anzuprangern, Hilfe und Empathie für die Emigranten einzufordern. Dem scheint wohl nicht mehr so zu sein, in Zeiten, wo die Neue Rechte europaweit aufmarschiert. Dabei glaubte man am Anfang des Jahrzehnts, nach den Revolutionsbewegungen in einigen arabischen Ländern, den Platzbewegungen von Santiago de Chile bis Istanbul, jetzt dreht sich der Wind wirklich einmal in Richtung Emanzipation und Umverteilung. Leider wurde diese Hoffnung enttäuscht.

UZ: Fühlt man sich als Liedermacher verantwortlich, auf gesellschaftliche Veränderungen zu reagieren?

Kai Degenhardt: Ich denke schon! Aber ich würde nicht unbedingt von Verantwortung sprechen. Lieder sind meine Form, mich mitzuteilen. Dass ich dabei auf Politisches reagiere, liegt daran, dass ich in meinen Texten mich und die Welt, in der ich lebe, reflektiere, mit all den in ihr wirkenden Herrschaftsverhältnissen und Konflikten. Ich bin ein politisch denkender Mensch. Jeder Künstler und jede Künstlerin tut das im Übrigen, ob sie sich darüber bewusst sind oder nicht.

UZ: Was, glaubst du, kannst du durch deine Musik verändern?

Kai Degenhardt: Meine Lieder können natürlich nicht die Gesellschaft verändern. Real verändert Musik nichts. Das muss man wissen. Meine Lieder, meine Musik, meine Poesie können aber in den Köpfen und in den Herzen der Zuhörer etwas auslösen, sodass diese dann selber, zusammen mit anderen, was verändern können. Wenn es mir gelingt, dass ein Hörer oder eine Hörerin und vielleicht auch noch ein paar andere mit meiner Musik etwas anfangen können, diese sie also animiert, ihr Inneres auf die von mir gemachten Vorschläge, die Welt zu betrachten, durchzuspielen, hätte ich schon viel erreicht.

UZ: Für wen singst du?

Kai Degenhardt: Um es einfach zu sagen: Für alle, die wollen, dass ich für sie singe. Ich habe, da mache ich mir nichts vor, ein kleines, aber feines Publikum. Das ist relativ bunt gemischt, besteht aus Älteren und sogar ein paar Jüngeren; Erwachsene, die sich für die Art von Musik, wie ich sie mache, interessieren, sich davon berühren lassen, eine gewisse Aufmerksamkeitsspanne mitbringen und zudem auch noch diese alte Kulturtechnik beherrschen, die man Zuhören nennt. Das ist nicht ganz selbstverständlich in diesen Tagen.

UZ: Wie stark ist der Einfluss deines Vaters auf deine Kunst?

Kai Degenhardt: Natürlich bin ich, was meinen eigenen musikalischen Werdegang betrifft, stark von meinem Vater beeinflusst. Ich bin ja nicht nur sein Sohn, sondern habe auch von Mitte der 1980er bis zuletzt auf allen seinen Platten Gitarre gespielt, arrangiert und bin knapp 20 Jahre lang mit ihm auf Tour gewesen. Aber Liedermacher zu werden, die Idee hatte ich nicht von Anfang an. Eigentlich begriff ich mich zunächst als Gitarrist und spielte bereits in jungen Jahren mit meinem Bruder Jan in Folkclubs. Später auch in Rockbands und Punk-Anverwandtem. Allerdings gab es bei mir und meiner Musik schon immer einige Tendenzen in Richtung Chanson und politisches Lied, von Georges Brassens über Billy Bragg eben auch zu Franz Josef Degenhardt, mit dem ich ja als Mittzwanziger gemeinsam musizierte. Irgendwann wurde mir dann klar, dass Songschreiben und die Auftritte als politischer Liedermacher im Grunde das waren, was ich wollte – mein Ding also. Ein wenig sitze ich jetzt aber auch in der Falle. Mit dem Nachnamen des berühmten Vaters im „Gepäck“ und mit der gleichen Profession unterwegs zu sein, lädt natürlich zu andauernden Vergleichen ein. Ich könnte jetzt zahllose Beispiele aufzählen.

Aber ich kann damit im Grunde ganz gut leben.

UZ: Deine aktuelle CD heißt „Auf anderen Routen“. Welche neuen Wege hat Kai Degenhardt denn eingeschlagen. Was erwartet uns auf der CD?

Kai Degenhardt: Nach den Aufnahmen zu meinem letzten Album ist bei mir privat einiges los gewesen: Zuerst war mein Vater gestorben, danach gab’s eine Trennung, Scheidung, und mein damals 17-jähriger Sohn kam zu mir – keine ganz leichte Zeit. Auch dies ist natürlich in die Lieder des neuen Albums eingeflossen. Ich musiziere dabei wieder vermehrt in kleiner Folk-Besetzung und fast durchgehend auf akustischen Instrumenten inklusive Kontrabass, Geige, Horn und Trompete. Die Songs sind wieder kürzer und mehr verdichtet, erinnern womöglich an ältere Moritaten oder Volksliedballaden. Aber anhören muss man sich das Ganze schon selbst.

Das nächste Konzert:

Dienstag, 19. März 2019, 19.00 Uhr

„Junge Welt Ladengalerie“

Berlin, Torstraße 6

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"Real verändert Musik nichts", UZ vom 15. März 2019



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