Die Manager der großen Einzelhandelskonzerne sind es offensichtlich gewohnt, dass ihre Geschäftspartner der Lebensmittelindustrie und andere Zulieferer „nach ihrer Pfeife tanzen“: Nicht die Hersteller der Waren bestimmen die Preise, zu denen sie ihre Produkte abgeben, sondern die Einkäufer diktieren vielfach, was sie ein Artikel höchstens kosten darf, damit er ins Sortiment „passt“ oder – so die offene oder verhaltene Drohung – auch jederzeit „ausgelistet“ werden kann. Es soll auch nicht wenige Politiker geben, welche die Wünsche der Unternehmer vorauseilend von deren „Lippen“ ablesen und sie diensteifrig zu erfüllen versuchen. In diesem Zusammenhang wäre vielleicht an die CDU-FDP-Regierung in Nordrhein-Westfalen zu denken, die, kaum im Amt, ein neues Gesetz zur Erleichterung verkaufsoffener Sonntage ankündigte.
Wie aber beispielsweise die Lieferanten nach einer kurzen Phase des „Aufbegehrens“ gegen die Einkaufsmacht des Einzelhandels „am Ende“ doch wieder „einknicken“, um keine Umsätze zu gefährden, das hat Real vor noch gar nicht langer Zeit selbst erlebt und durchgesetzt. Anscheinend hinterlassen auch solche Erfahrungen bei Topmanagern den Eindruck, so wie in diesen Fällen könnten sie mit allen „umspringen“. Wie anders lässt sich erklären, dass die Unternehmensleitung von Real im Juli 2016 mit ver.di „die Aufnahme von Verhandlungen zu einer neuen Entgeltstruktur“ – die Bedingungen für die Bezahlung bestimmter Tätigkeiten – vereinbarte und anscheinend meinte, wie den Lieferanten so auch der Gewerkschaft vorschreiben zu können, wie deren Ergebnis auszusehen habe?
Möglicherweise ist gerade jetzt der richtige Zeitpunkt, den Real-“Oberen“ solche irrigen Launen gehörig und vielleicht sogar für eine längere Dauer auszutreiben. Selbstverständlich macht in solchen Verhandlungen jede Seite ihre Politik im eigenen Interesse – hier der Gewinne von Real, dort zur Einkommenssicherung der Beschäftigten. Die Grenzen der „Gemütlichkeit“ enden immer da, wo versucht wird, die Belegschaften und ihre Angst vor dem Verlust ihrer Arbeitsplätze einzuspannen, um ver.di zur Annahme der allzu gerne diktierten Forderungen zu zwingen.
Am 17. Januar 2018 fand bei Real die sechste Verhandlung über eine neue Entgeltstruktur statt und brachte kein greifbares Ergebnis. Die Real-Manager verbreiteten daraufhin in den Märkten, ver.di lasse „jegliche Bereitschaft vermissen“, ernsthaft „über eine wettbewerbsgerechte Entgeltstruktur“ fürs Unternehmen zu verhandeln. Sie begründen ihren Ärger mit der Behauptung, die Gewerkschaft versuche, die im genannten Tarifvertrag von 2016 „vereinbarten gemeinsamen Verhandlungen über eine real-individuelle und insbesondere wettbewerbsfähige Lösung systematisch zu umgehen“.
Richtig ist, dass sich ver.di tarifvertraglich zu speziellen Verhandlungen bei Real verpflichtete. Doch nirgendwo spricht der Tarifvertrag von einer „wettbewerbsgerechten“ Entgeltstruktur oder einer „wettbewerbsfähigen“ Lösung. Das wäre für eine Gewerkschaft tarifpolitisch auch reiner „Wahnsinn“! Denn wer legt fest, was „Wettbewerbsfähigkeit“ bei Gehältern und Löhnen bedeutet? Für die marktradikalen Real-Topmanager liegt diese bei einer Bezahlung von 30 Prozent unter Tarif, wie sie angeblich bei der Konkurrenz üblich sein soll. Dieses „Geschwätz“ wird auch nicht dadurch wahr, dass es immer wieder „dahergebetet“ wird. Bei den unternehmenseigenen Geschäften von Rewe und Edeka, bei Kaufland und Lidl, Aldi und Tegut, Penny und Netto werden die Beschäftigten jedenfalls nach geltendem Tarifvertrag bezahlt.
Insofern sollte es gerade bei Real, einem Ableger des Metro-Konzerns, niemanden wirklich verblüffen, dass ver.di auch dort nichts anderes und schon gar nichts Billigeres verhandelt oder „anbietet“, als das, was auch „auf der Fläche zur Modernisierung der Entgelttarifverträge“ besprochen wird. Schon jetzt liegt das Gehalt einer Verkäuferin bei Real um 6,5 Prozent unter Tarif, weil die Unternehmensleitung 2015 tarifflüchtig zu werden versuchte. Der genannte Tarifvertrag hat dieses Vorhaben (dauerhaft oder nur vorerst?) gestoppt, doch fehlen den Beschäftigten von Real immer noch die Lohnerhöhungen aus drei Jahren.
Diesen Wettbewerbsvorteil hat die Unternehmensleitung keinesfalls zusammen mit den tarifvertraglich ebenfalls vereinbarten Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe für eine spürbare Erneuerung aller Filialen und damit einer deutlichen Verbesserung ihrer Wettbewerbssituation genutzt. Die Mehrzahl der Real-Märkte tritt weiterhin auf der Stelle, so dass die Geschäftsführung hinsichtlich ihrer Zusagen immer weiter an Glaubwürdigkeit verliert. Deren Probleme sind also nicht durch ver.di oder die Beschäftigten verursacht, sondern „hausgemacht“ – wie die gesamte miserable Lage des SB-Warenhauses und damit die Gefährdung vieler Arbeitsplätze.
Das scheint selbst die „Lebensmittel Zeitung“ nicht übersehen zu können. Sie schrieb am 12. Januar 2018, die Beschäftigten hätten in den vergangenen Jahren „auf erhebliche Summen verzichtet, um Real eine Chance zu geben, sich zu erholen. Jetzt ist die Zeit verstrichen, und die Perspektiven am Markt sind nicht sichtbar besser geworden.“ Und sogar diese den Unternehmen grundsätzlich sehr nahestehende Zeitung betrachtet die Methode des Real-Managements als eine „Rechnung“, die „so alt wie einfach“ sei: „Wenn es einem Händler nicht gut geht, werden in der Regel Lieferanten, Mitarbeiter und Vermieter um finanzielle Zugeständnisse gebeten.“ So war es tatsächlich, weshalb sich ver.di bei den Verhandlungen über eine neue Entgeltstruktur hüten wird, diesen sich offenbar bei ihren Versprechungen und Vereinbarungen zu nichts verpflichtet fühlenden „Absahnern“ nach „der Pfeife zu tanzen“.