Zur verschlissenen Regierung und Koalitionsüberlegungen des Kapitals

Reaktionär und militaristisch

Landwirtschaftsminister Cem Özdemir unterstellte denen, die die Treckerdemonstration am Fähranleger in Schlüttsiel mit organisiert hatten, „feuchte Träume von Umstürzen“. An anderer Stelle wird nicht von Umstürzen geträumt, sondern an Umbauten gearbeitet und weitere werden geplant. Wegbereiter ist die selbsternannte „Fortschrittsregierung“, die seit ihrem Antritt den reaktionären Umbau des bürgerlichen Staates vor allem um die militärische Komponente erweitert hat: Statt für Transformation in eine lichte grüne Zukunft der Freiheit und Vielfalt steht sie für mehr Olivgrün, für „Kriegstüchtigkeit“, für das Brechen aller Rekorde in der Produktion und dem Export tödlicher Waffen, für die Ersetzung relativ umweltfreundlichen Pipeline-Gases aus Russland durch US-amerikanisches Frackinggas, für Massenverarmung durch Anheizen der Inflation und die Verhängung von Sanktionen sowohl gegenüber Russland und China als auch gegenüber den Teilen der eigenen Bevölkerung, die von Transferleistungen wie dem „Bürgergeld“ abhängig sind.

Dem großen Kapital reicht das alles nicht. Sie wollen erklärtermaßen noch mehr Reallohnsenkung zugunsten der Sicherung ihrer Profitmasse, die durch das Schrumpfen des deutschen Anteils in wichtigen Sektoren des Weltmarktes bedroht ist. Sie wollen noch weniger Sozialstaat, noch mehr Aufrüstung, noch weniger gewerkschaftlichen und gesellschaftlichen Widerstand, noch mehr Polizei, Militär und Gleichschaltung aller Medien und Meinungen.
Der gegenwärtigen Regierung trauen sie das immer weniger zu. Sie ist verschlissen. Umfragen zufolge versammeln die Regierungsparteien mit Müh‘ und Not ein Drittel der Wahlberechtigten und demzufolge bei den nächsten Wahlen 2024 und 2025 vermutlich – Enthaltungen eingerechnet – nur noch jeden vierten Wahlberechtigten im Lande hinter sich. Damit lässt sich kein Staat machen.

Die vor allem durch die Angst vor den nächsten Wahlen zusammengehaltene Truppe im Berliner Regierungsviertel verschärft ihre schrillen Warnungen vor einer Regierung unter Einschluss der AfD zunehmend mit dem Hinweis, das isoliere Deutschland in der westlichen Welt. Deren Vordenker sind schon weiter, was diese Option angeht. Zu Weihnachten machte der in London erscheinende „Economist“, der so etwas wie das Selbstverständigungsorgan des angelsächsischen Kapitals ist, seinen Europateil mit einem halbseitigen Foto von Alice Weidel und der Überschrift „The blue Queen“ auf.

Der Artikel preist sie als ehemalige Mitarbeiterin von Goldman Sachs, der Allianz und Gründerin einer privaten Unternehmensberatung in den höchsten Tönen, auch wenn ihr Ko-Vorsitzender Tino Chrupalla als „Ostdeutscher und stolzer Angehöriger der Arbeiterklasse“ als Stimmenfänger erfolgreicher sei. Was das Blatt nicht schreibt, aber zwischen den Zeilen klar ist: So brutal wie vor 100 Jahren mit dem Flügel um Röhm und Strasser muss es, wenn die rechte Massenpartei erst einmal an die Regierungshebel geschoben ist, nicht ablaufen. Aber es werden sich sicher Wege finden, diesen stimmenfangenden Flügel der Volksempörung unschädlich zu machen, wenn er seine Schuldigkeit erst einmal getan hat. Ist eine CDU/AfD-Regierung (oder umgekehrt unter der blauen Königin) erst einmal etabliert, werden die angestrebten Umbaupläne beschleunigt werden können.

Kommunistinnen und Kommunisten dieses Landes bezeichnen das laufende Projekt als „militärisch-reaktionären Staatsumbau“. Der Begriff mag etwas sperrig klingen. Aber das war der vom „Staatsmonopolkapitalismus“ auch, bis er durch die griffige Abkürzung „Stamokap“ sogar Eingang in Debatten der SPD gefunden hat.

Unser Autor ist Vorsitzender der Marx-Engels-Stiftung

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"Reaktionär und militaristisch", UZ vom 12. Januar 2024



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