Beratung von Gewerkschaftern in Aufsichtsräten

„Reagieren Sie sofort!“

Von Manfred Sohn

Es war ein Investmentbanker, der von den rund 300 Arbeitnehmervertretern in Aufsichtsräten am meisten Beifall bekam. Am 26. Juni waren sie auf Einladung der Hans-Böckler-Stiftung (HBS) für zwei Tage nach Berlin gekommen, um unter dem Konferenzmotto „Offensive Mitbestimmung im Finanzmarktkapitalismus“ über die Perspektiven ihrer Arbeit zu beraten. Für den zweiten Konferenztag hatten die Veranstalter zur Frage der „Möglichkeit und Bedeutung externer Expertise“ Dr. Rainer Langel mit aufs Podium geholt, „Head of Macquarie Group Germany, Austria, Switzerland“. Er sei, führte er aus, zwar niemand, der die Seiten gewechselt habe, habe aber im Laufe seiner Beratungsarbeit für Arbeitnehmer in Aufsichtsräten vor allem im IG-Metall-Bereich doch inzwischen eine große Hochachtung für die Sachkenntnis und das Engagement der Gewerkschafter in diesen Gremien erworben – was ihm Unverständnis und auch heftige Ablehnung in seinen Kreisen einbrächte. Die Mitbestimmung sei, richtig eingesetzt, ein „scharfes Schwert“ – allerdings nur, wenn es schnell geschwungen werde. Er warnte vor einer Unterschätzung der internationalen Investoren, die inzwischen ein ausgeklügeltes Geflecht von Beteiligungen errichtet hätten, in denen es mehr auf Informationsvorsprünge als auf formale Stimmrechtsanteile ankäme: „Wenn jemand von denen 5 Prozent hat, wiegen Sie sich nicht in Sicherheit, sondern seien Sie sicher, dass 5 Minuten um ihn herum – in London, New York oder Frankfurt – weitere 30 Prozent Anteile sitzen, die sie durch ihr Wissen führen.“ Wenn sich diese Investoren dann ein Unternehmen zur Übernahme und Filetierung vorgenommen hätten, nütze nur „Geschwindigkeit, Geschwindigkeit, Geschwindigkeit – reagieren Sie sofort!“. Wenn erst ein Angebot auf dem Tisch liege, seien in der Regel alle wesentlichen Gespräche schon gelaufen – die Abwehrfront aus Betriebsräten, Belegschaftsaktionen und dem Handeln der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten müsse in öffentlichkeitswirksamen Handlungen dann schon stehen – sonst siege letztlich die Macht der Investoren.

Wie sich die Gewichte verschoben haben, hatte schon am Vortag Martin Hüsener von der HBS klargemacht, als er für eine weitere Podiumsdiskussion im Rahmen der Konferenz den Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) mit zwei Zahlen anmoderierte: „Der Bundesfinanzminister verwaltet zur Zeit 356 Milliarden Euro. Blackrock verwaltet 5 800 Mrd. Euro – das ist das Sechzehnfache.“

Angesichts der Dynamik, mit der der Kapitalismus in seinem jetzigen Stadium alle von ihm in seiner Entstehungs- und Prosperitätsphase geschaffenen Institutionen und Regelungen – Parlamente, gewählte Regierungen und Mitbestimmungsgesetze – geringschätzt, überrollt und zur Staffage macht, waren Stimmung und politische Reaktionsvorschläge auf der Konferenz bemerkenswert blass. Von „Offensive“ war weder etwas zu spüren noch zu hören. Denn das hätte geheißen, Vorschläge zu entwickeln, um diese Strukturen grundlegend zu verändern. Die Forderungen an „die Politik“ aber beschränkten sich auf die nach Registrierung von Lobbyverbänden, bestenfalls noch einer Erweiterung der geplanten Finanztransaktionssteuer und – zur Rettung der Umwelt – auf die zur nachhaltigen Geschäfts- und Anlagepolitik. Marx spielte auf der Tagung genauso wenig eine Rolle wie die Frage der Enteignung dieser Finanzinvestoren oder die Frage einer grundlegenden Abschaffung der auf Tauschwirtschaft beruhenden Produktionsweise. Den durchweg in ihren Unternehmen gut integrierten und gut betuchten „Vertretern der Arbeitnehmer“ ging es denn auch spürbar nicht um Offensive, sondern um Defensive – um die Verteidigung der Mitbestimmungsgesetze, die den arbeitenden Klassen und nebenher auch ihren Vertretern nützen.

Immer wenn zum Kampf gegen die Bedrohung der deutschen Mitbestimmungsregeln gerufen wurde, war der Beifall auch stark – getoppt eben nur von dem dankbaren Beifall, als der Investmentbanker von der anderen Seite Klartext redete.

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"„Reagieren Sie sofort!“", UZ vom 5. Juli 2019



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