Schwärmten am 7. Dezember bundesweit mehr als 3.000 Polizeibeamte aus, um knapp 50 reichsbürgerlichen Phantasten das Handwerk zu legen, rückten am 13. Dezember hunderte Ermittler aus, um in elf Wohnungen Beweismittel gegen Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ sicherzustellen. Die Durchsuchungsbefehle lauteten auf den „Verdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung“. Tags darauf stürmten schwer bewaffnete Sondereinsatzkommandos im Morgengrauen 35 Objekte in Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Berlin und Niedersachsen. Die etwa 50 Beschuldigten (Vorwürfe: gewerbsmäßige Bandenhehlerei, Autoschieberei sowie Betrug bei Corona-Soforthilfen) sollen dem „kriminellen Al-Zein-Clan“ zuzuordnen seien.
Die Botschaft hinter den Razzien formulieren Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) gleichlautend: Die Polizeiaktionen sind der Ausdruck „wehrhafter Demokratie“. Wer sich „zur Begehung von Straftaten“ zusammenschließe, stehe auf der anderen Seite, gleich ob Reichsbürger, Klimaaktivist oder „Clan-Mitglied“. Die Klimaaktivisten werden gleichgesetzt mit Kriminellen. „Immer straffer organisiert, sind sie – letztlich – Antidemokraten. Nun geht der Staat gegen sie vor“, schreibt am 13. Dezember der „Chefkommentator“ der Welt, Jacques Schuster. Und Schuster hat den Blick für das historische: „In unparadiesischer Verbissenheit suchten oder suchen sie das Heil der Menschheit mit Gewalt (wie es die Kommunisten taten) oder mit Nötigungen zu erreichen“. Dabei setzen Medien wie die Welt, nur die Stichworte um, die sie von der zuständigen Staatsanwaltschaft Neuruppin eingeflüstert bekommen haben.
Hintergrund der Razzia waren Attacken der Klimaaktivisten auf Anlagen der Raffinerie PCK Schwedt in Brandenburg. Mitglieder der Gruppe hätten dabei Notfallventile einer Pipeline zugedreht, was zwar zu eine Betriebsunterbrechung, aber zu keinem Schaden geführt hatte. Die organisierte Störung von Betriebsabläufen, das Anhalten des fließenden Verkehrs und das Festkleben auf Startbahnen sei nötigende Gewalt, dabei planmäßig vorzugehen, belege Strukturen einer „kriminellen Vereinigung“ (Paragraf 129 Strafgesetzbuch – StGB). Diese Norm ist seit den Tagen des Kaiserreichs ein probates Mittel der herrschenden Klasse, um gegen missliebige politische Aktionen vorzugehen. In den 1950er Jahren diente das Gesetz dazu, die Gegner der Wiederaufrüstung zu kriminalisieren, nach 1956 wurde es gegen vermeintliche oder tatsächliche Unterstützer der verbotenen KPD in Stellung gebracht. Auch die Kriminalisierung von Sitzblockaden als Nötigung „mit Gewalt“ (Paragraf 240 StGB) hat sich spätestens seit dem Urteil des Bundesgerichtshofs zum Sitzstreik von Schülern und Studenten gegen eine Tariferhöhung der Kölner Verkehrsbetriebe 1966 zu einer traurigen Tradition entwickelt.
Dass es auch anders geht, beweist eine Entscheidung des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten vom 5. Oktober diesen Jahres. 66 Mitglieder der „Letzten Generation“ hatten durch Festkleben auf eine stark frequentierten Straße in der Berliner Innenstadt den Verkehr für über drei Stunden blockiert. Das Gericht nahm eine umfangreiche Abwägung der durch die Blockade beeinträchtigten Interessen der Verkehrsteilnehmer und der Zielsetzung der Demonstranten vor, betonte die Vorrangigkeit der Versammlungsfreiheit und lehnte wegen fehlender Verwerflichkeit der Blockade eine Bestrafung ab. Eine Rechtfertigung, auf die bei putschverliebten Reichsbürgern oder im Bereich der organisierten Autoschieberei wohl kein Richter käme.