„Für diejenigen, die die Erde aus dem Weltraum gesehen haben, und für die Hunderte und vielleicht Tausende, die es noch tun werden, verändert das Erlebnis sehr wahrscheinlich ihre Weltsicht. Die Dinge, die wir auf der Erde miteinander teilen, werden viel wertvoller als jene, die uns trennen.
Donald E. Williams, Space-Shuttle-Pilot
Wenn die Bedingungen günstig sind, kann man sie am Abend oder in der Nacht immer wieder einmal für ein paar Minuten beobachten. Auch in Großstädten. Die Internationale Raumstation (ISS), die inzwischen fast die Fläche eines Fußballfeldes einnimmt, deshalb viel Sonnenlicht reflektiert, gehört zu den hellsten Objekten am Himmel. Sie wiegt mittlerweile ca. 400 Tonnen.
In Science-Fiction-Romanen bzw. -Filmen ist man da schon ein bisschen weiter: Raumstationen mit hunderten Menschen an Bord umkreisen die Erde oder andere Planeten. Die Mannschaft führt nicht nur Forschungsarbeiten durch, sondern bereitet Missionen in kosmische Weiten vor. Doch das ist Zukunftsmusik und es ist ungewiss, was davon einmal Wirklichkeit werden wird. Die ISS ist die Gegenwart.
Eine Idee aus dem 19. Jahrhundert
Die Idee einer Raumstation stammt jedoch bereits aus dem 19. Jahrhundert. 1869 beschrieb der englische Pfarrer Edward Everett Hale in seiner phantastischen Erzählung „The Brick Moon“ („Der Ziegelmond“) einen bewohnten künstlichen Erdtrabanten, der der Nachrichtenübermittlung, der militärischen Aufklärung und Navigation diente. Der Kunstmond bestand aus Ziegelsteinen. Kurd Laßwitz, ein Gymnasialprofessor, beschrieb in seinem Roman „Auf zwei Planeten“ (1897) eine Raumstation friedlich gesonnener Marsbewohner, die die Erde erforschten. Die Idee einer Raumstation tauchte in der SF-Literatur der 30er und 40er Jahre des 20. Jahrhunderts wieder auf.
Auch „Raumfahrtpionier“ Konstantin Eduardowitsch Ziolkowski, Hermann Oberth und andere beschäftigten sich mit der Idee des Baus von Raumstationen. Gewiss hat dabei wissenschaftlich-phantastische Literatur so manchen von ihnen beflügelt. Ziolkowski sah einen möglichen Verwendungszweck von Raumstationen in ihrer Funktion als „Weltraumbahnhof“ für den Start zu fernen Planeten unseres Sonnensystems, aber auch die Möglichkeit einer weitgehend „autarken“ Existenz von Menschen auf solchen Stationen.
1929 veröffentlichte der Tscheche Hermann Potocnik unter dem Pseudo-nym Hermann Noordung eine Arbeit, in der er exakte Vorschläge zum Bau einer Raumstation machte (vgl. Dieter B. Herrmann, Eroberer des Himmels, Leipzig-Jena-Berlin 1986, S. 140). Detailliert beschrieb er die aus drei Modulen bestehende Raumstation, die in etwa 36 000 Kilometer Höhe die Erde umkreisen sollte: das „Wohnrad“, das zur Erzeugung künstlicher Schwerkraft permanent rotieren sollte, ein Kraftwerk, das über Parabolspiegel Energie aus der Sonnenstrahlung gewinnen sollte, und ein Observatorium. Die Teile sollten über Kabel verbunden sein. Seine Ideen könnten Wernher von Braun und andere beeinflusst haben. 1951 stellte von Braun jedenfalls auf dem „First Symposium on Space Flight“, einer Konferenz, die im Hayden Planetarium in New York stattfand, ein entsprechendes Projekt vor, das in den USA auf großes Interesse stieß, aber bis heute keine Umsetzung fand. Von Braun erklärte damals allerdings, angesichts des Kalten Krieges und des durch die Sowjetunion gebrochenen Atombombenmonopols der USA, dass man eine Raumstation auch in einen „wirksamen Atombombenträger verwandeln könne“. (Ebenda) Auch wenn dies nie realisiert wurde: Die spätere Raumstation der USA und die Stationen der Sowjetunion dienten immer auch militärischen Zwecken.
Die ersten Schritte
Im Jahr 1971, 14 Jahre nach dem Start von „Sputnik 1“, wurde zum ersten Mal in der Geschichte der Raumfahrt eine Raumstation in einen Orbit um die Erde gebracht. Mit bemannten Langzeitflügen sowjetischer Kosmonauten und komplizierten Kopplungsmanövern wurden zuvor einige der Voraussetzungen für die Inbetriebnahme einer ständigen bemannten Station geschaffen, mit dem dreisitzigen „Sojus“-Raumschiff ein zuverlässiger Zubringer entwickelt. Die sowjetische Station „Saljut 1“ war etwa 13 Meter lang und wog knapp 19 Tonnen. Im Sommer des selben Jahres wurden die Kosmonauten Dobrowolski, Wolkow und Pazajew die ersten Bewohner der Raumstation. Sie führten in 23 Tagen vor allem astrophysikalische Beobachtungen durch, erledigten Aufgaben der Erderkundung und biologische Forschungen.
„Saljut“-Stationen waren es dann auch, die im Rahmen des Interkosmosprogramms der sozialistischen Staaten von Kosmonauten aus der VR Polen, aus der DDR, aus Kuba usw. besucht wurden, später auch – im Rahmen internationaler Vereinbarungen – von zwei französischen, einem syrischen, einem afghanischen und einem indischen Raumfahrer. Der Fliegerkosmonaut und Bürger der DDR, Sigmund Jähn, startete am 26. August 1978, also vor nunmehr fast 40 Jahren, und flog in der sowjetischen „Sojus 31“ zusammen mit dem sowjetischen Kosmonauten Waleri Fjodorowitsch Bykowski zur sowjetischen Raumstation „Saljut 6“. Er war der erste Deutsche im All.
Die US-Station „Skylab“ (1973 bis 1979) war dagegen nur kurz in Betrieb. Nur 1973 und 1974 erhielt sie – drei Mal – Besuch. Erst 1983 begannen die USA mit ihren Partnern in Europa, Japan und Kanada über eine gemeinsame Raumstation nachzudenken. Projektplanungen wurden forciert. Unter Präsident Reagan stand dabei für die USA der Einsatz der geplanten gemeinsamen Station im Rahmen ihres Weltraumrüstungsprogramms SDI im Vordergrund.
Besonders mit den „Saljut“-Stationen 6 (1977–1982) und 7 (1982–1991) sammelte die sowjetische Raumfahrt entscheidende Erfahrungen für den Bau von Raumstationen in Modularbauweise. Am 20. Februar 1986 brachte eine Proton-Rakete den ersten Block der Raumstation „Mir“ ins All. Bis 1990 bestand die Station aus vier, ab Mitte der 1990er Jahre aus sechs Modulen, hatte zuletzt ein bewohnbares Volumen von 350 m³ und wog über 124 Tonnen.
Nach dem Ende der Sowjetunion änderte sich 1991 die Situation. Russland wurde für die USA und ihre Partner interessant: wegen der Erfahrungen bei der Planung und dem Bau von Raumstationen, aber auch wegen der sicheren Transporttechnik.
1995 bis 1998 dockten amerikanische Space Shuttles neunmal an die „Mir“-Station an. Am 21. März 2001 wurde die Station kontrolliert zum Absturz gebracht.
Die Raumstation ISS, ein internationales Projekt
Vor fast 20 Jahren, im November 1998, begann parallel zum Betrieb der „Mir“ der Bau einer neuen, internationalen Station, der ISS. Das erste ISS-Bauteil im All war das von Russland gebaute Fracht- und Antriebsmodul „Sarja“. Zwei Wochen später kam mit einem Space-Shuttle der erste Verbindungsknoten „Unity“ (Node 1) ins All und wurde mit „Sarja“ verbunden. Im Jahr 2000 folgte das russische Wohnmodul „Swesda“. Anfang November 2000 bekam die Station zum ersten Mal „Besuch“.
Seitdem wurde die ISS immer weiter ausgebaut – und der Aufbau ist immer noch nicht beendet. Sie beherbergte bislang 230 „Gäste“, darunter – mit der US-amerikanischen Astronautin Serena Aunon-Chancellor, die am 6. Juni gemeinsam mit dem deutschen Astronauten Alexander Gerst sowie dem russischen Kosmonauten Sergej Prokopjew, dem Kommandanten des Raumschiffs, mit der „Sojus MS-09“ zur ISS startete – 35 Frauen. Einige der Besucher waren bereits bis zu fünf Mal auf der Station. Die Mehrzahl der Astronautinnen und Astronauten bzw. Kosmonautinnen und Kosmonauten kamen aus den USA bzw. aus Russland, 18 aus Mitgliedsländern der Europäischen Raumfahrtagentur ESA, acht aus Japan, sieben aus Kanada, zwei aus Kasachstan, je einer bzw. eine aus Brasilien, Malaysia, Südafrika und Südkorea. Aber die ISS ist nicht nur deshalb ein internationales Projekt. Am am Forschungsbetrieb beteiligen sich direkt oder indirekt Universitäten und andere Forschungseinrichtungen in vielen Ländern. Das Projekt gilt als Vorbild. Was wäre möglich, wenn man bei allen auf der Erde zu lösenden Aufgaben so konstruktiv zusammenarbeiten würden? Auch der ESA-Koordinator und frühere Astronaut Thomas Reiter ist der Meinung, dass die Tatsache, dass zur ISS viele Nationen ihren Beitrag leisten, eng und vertrauensvoll zusammenarbeiten bzw. von den Ergebnissen partizipieren, angesichts der vielen Konflikte auf der Erde beispielgebend ist.
Das ist sie. Allerdings mit Einschränkungen. Als sich nämlich auch China an der ISS beteiligen wollte, scheiterte das am Veto der USA. China bereitet deshalb den Betrieb einer eigenen, ständig bemannten Raumstation vor. Seit 2016 ist die zweite chinesische Station („Tiangong 2“) im All, aber, wie ihre Vorgängerin, nicht permanent bemannt.
Ob aber die bestehende internationale Zusammenarbeit auch künftig Bestand hat, ist ungewiss. Anfang des Jahres wurden Pläne der US-Regierung bekannt, die ISS in wenigen Jahren zu privatisieren. Darüber berichtete Anfang des Jahres die „Washington Post“ und berief sich dabei auf interne Regierungsdokumente. Demnach planen die USA nicht nur, ihre finanzielle Beteiligung zum Jahr 2024 einzustellen, sondern man will die Raumstation bis 2025 an Partner in der Industrie übergeben. Ob und wie das angesichts der Tatsache, dass die ISS ein internationales Projekt ist, überhaupt möglich ist, sei aber noch nicht absehbar. In der Europäischen Raumfahrtagentur ESA sieht man das derzeit jedenfalls noch gelassen.
Ein „überirdisches Unterfangen“?
Am 6. Juni starteten der Geophysiker Alexander Gerst und seine Gefährten vom Weltraumbahnhof Baikonur in der kasachischen Steppe zur Internationalen Raumstation ISS. Zwei Tage später koppelte die „Sojus“-Kapsel an der Station an. Ein Routineflug,
Und trotzdem war dieses Mal vieles anders, war das Medieninteresse erstaunlich groß. Die „Süddeutsche“ schrieb an diesem Tag euphorisch: „Man kann sich der Faszination nicht entziehen, wenn Menschen in eine Rakete steigen und von 26 Millionen PS angetrieben in den Weltraum aufbrechen. Das ist auch nach bald 60 Jahren bemannter Raumfahrt noch immer ein gewaltiges Abenteuer, ein im Wortsinn überirdisches Unterfangen.“ Doch dann folgte Kritik: „Bemannte Raumfahrt ist irrwitzig teuer. Mehr als einhundert Milliarden Euro hat die Internationale Raumstation bereits verschlungen, seit Ronald Reagan das Projekt in den 1980er-Jahren initiierte, damals noch mit militärischen Absichten.
Mit technologischem oder wissenschaftlichem (Erkenntnis-)Gewinn sind diese Ausgaben niemals zu rechtfertigen. Weniger als ein Zehntel der laufenden Kosten für die ISS fließen in die Forschungsexperimente an Bord. Und nüchtern betrachtet: Fast alles davon könnte genauso gut oder besser mit Satelliten, Automaten und Robotern erledigt werden.“
Tatsächlich ist es nötig kritisch zu fragen, welchen Nutzen bemannte Missionen bringen. Aber die Behauptung, man könne fast alle Forschungen auf der ISS „genauso gut oder besser mit Satelliten, Automaten und Robotern“ erledigen, muss man hinterfragen: So manche Aufgabenstellung konnte erst aufgrund der Beobachtungen der Erde durch Menschen vom erdnahen Weltraum aus präzisiert werden. Und es ist auch nicht so, dass – wie in der „Süddeutschen“ auch weiter behauptet wurde – die „bemannte Raumfahrt vor allem dazu da ist, sich selbst zu erforschen“. Ja, auch Alexander Gerst wird sich „selbst erforschen“. Wie andere vor ihm. In Rahmen seines Forschungsprogramms wird er aber auch zahlreiche andere Experimente durchführen, denn auf der ISS werden neben Untersuchungen am Menschen Untersuchungen zu Problemen der Astronomie, Astrobiologie und Astrophysik, der Materialwissenschaften, aber auch zur Fernerkundung der Erde durchgeführt. Es geht auch um Technologie- und Verfahrenserprobungen. Hier nur wenige Beispiele aus der Weltraummedizin, die darauf hinweisen, dass es um mehr geht: Forscher der Berliner Charité haben Kopfsensoren zur Überwachung der Körperkerntemperatur der Astronauten in der ISS entwickelt und überraschende Erkenntnisse gewonnen. Die Forscher wollen diese Temperatursensoren nun auch für Untersuchungen auf der Erde nutzen, beispielsweise bei frisch operierten Patienten in Aufwachräumen oder bei Feuerwehrleuten. Ähnlich ist es mit den gewonnenen Erkenntnissen über den Abbau von Muskelmasse und der Veränderung der Knochen bei gesunden, gut trainierten Menschen unter Weltraumbedingungen. Das konnte genutzt werden um entsprechende Therapien für lange Bettlägrige auf der Erde zu entwickeln bzw. Alterungsprozesse besser zu verstehen. „Myotones“ ist eines der medizinischen Experimente, an denen Alexander Gerst teilnehmen wird. Damit sollen die biomechanischen Eigenschaften des ruhenden menschlichen Muskels untersucht werden. Die Ergebnisse sollen auch in die Rehabilitation nach Knochenbrüchen einfließen. Es geht also auch immer um Raumfahrt für die Erde und es geht darum, dass die Ergebnisse allen Menschen auf unserem Planeten zur Verfügung stehen.
Was die „Süddeutsche“ vergessen hat: Auch heute spielt das „Prestige“ eine entscheidende Rolle, wenn es um bemannte Raumfahrtprojekte geht. Denn wenn zum Beispiel Trump heute über bemannte Flüge zum Mond oder zum Mars schwätzt, dann hat er gewiss nicht irgendeinen wissenschaftlichen Nutzen im Sinn, sondern nur „America first“. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass Trump bereits in den ersten Monaten seiner Regierung auch für die NASA Budgetkürzungen anordnete: Zu dem, was wegfallen sollte, gehörten fünf Erderforschungsmissionen. Laut neuem Haushaltsentwurf, den die US-Regierung im März dieses Jahres vorlegte, wird in diesem Bereich weiter gekürzt. Das zusätzliche Geld für künftige Mondflüge soll auch in der astrophysikalischen Forschung eingespart werden.
Und er will mehr Geld für Rüstung bereitstellen. Wie viele Milliarden werden übrigens pro Jahr weltweit für Rüstung ausgegeben? Das SIPRI nannte für 2017 rund 1,43 Billionen Euro. Auch wenn heute nur ein Bruchteil der für die ISS bereitstehenden Gelder in die Forschung fließt, weil die Kosten für den Treibstoff, die Versorgung der Station, für die technische wie wissenschaftliche Vorbereitung und die Flugüberwachung auf der Erde usw. hoch sind, ist das zu viel für eine solche beispielhafte Kooperation?