Nach sieben Wochen Stillstand: Die Züge fahren, die Probleme bleiben

Rastatter Börsenbahn-Desaster

Von Klaus Wagener

Seit dem 12. August war die Bahnstrecke zwischen Rastatt und Baden-Baden gesperrt. Grund für die Sperrung: Bei Tunnelbauarbeiten war das Gleisbett abgesackt. Die Strecke gehört mit bis zu 170 Güterzügen pro Tag zu den wichtigsten und meistbefahrenen in Europa. Eine Ersatztrasse gibt es nicht. Es musste aufwendig ein Ersatzverkehr mit Bussen bzw. Lkw organisiert werden, welcher die ohnehin stark befahrenen Autobahnen im Südwesten zusätzlich verstopfte. Nach sieben Wochen Reparatur ist die Strecke in der letzten Woche wieder eröffnet worden.

Natürlich sind Baupannen immer möglich, aber der Rastatter Tunnel war ein hochriskantes Vorhaben bei laufendem Betrieb. Im Sandboden, nur knapp unterhalb der bestehenden Trasse vorangetrieben, nutzte auch das angeblich so hochmoderne Vereisungsverfahren nichts. Die Bahn kann von Glück reden, dass keine Katastrophe passiert ist.

Der Rastatter Tunnelvortrieb macht die hohe Risikobereitschaft der Bahnführung deutlich. Dabei ging es nur um weniger als 100 Meter in gut bekanntem Untergrund. Bei der Verlegung des Stuttgarter Bahnhofs beispielsweise geht es um 60 km Tunnelbau in einem zum Teil hochproblematischen und wenig erkundeten Boden. Für ein Ergebnis, welches – zumindest aus der Perpektive der Fahrgäste – eher schlechter ist als der Zustand vor dem Umbau.

Die Strecke Rastatt – Baden-Baden ist Teil des sogenannte „Rhein-Alpen-Korridors“, einer von neun europäischen „Güterverkehrskorridoren“ welche zur Verbesserung des Schienennetzes für den grenzüberschreitenden Güterverkehr bis 2020 projektiert wurden. Er soll eine durchgehende Verkehrstrasse von Rotterdam bzw. Zeebrugge bis Genua realisieren und wäre mit rund 1 400 km Länge, 70 Mio. Einwohnern im Einzugsgebiet und rund 1 Mrd. Tonnen Güter/Jahr der bedeutendste Güterverkehrskorridor der EU. Laut Bekundung der EU-Planer sollte er sich zu einem innovativen und „grünen“ Transportkorridor entwickeln.

Die deutschen Nachbarn, Niederlande und vor allem auch die Schweiz, unternehmen große Anstrengungen dieses Projekt auch tatsächlich zu realisieren. Der Bau des Lötschberg-, des Gotthard- und des Ceneri-Basistunnels, z. T. zweistellige Milliardenprojekte, sind Teil dieser ambitionierten Nord-Süd-Magistrale. Und machen auch in diesem Kontext erst wirklich Sinn. Der Verkehrssektor produziert in der Bundesrepublik 20 Prozent der Treibhausgase. Man braucht nicht zu betonen, dass die „Klimakanzlerin“ und ihr lodengrüner Auto-Verkehrsminister, abgesehen von einiger PR-Symbolik, ein kaum verhülltes Desinteresse an einer substantiellen Verlagerung auf die Schiene zur Schau tragen. Was sie übrigens mit ihren vorangegangenen rosa-olivgrünen Brüdern im Börsenbahngeiste gemeinsam haben.

So zählt denn auch die Strecke Emmerich – Oberhausen, das Mittelrheintal mit seinen zahlreichen engen Ortsdurchfahrten und die Rheintalbahn zwischen Karlsruhe und Basel zu den gefürchteten „Flaschenhälsen“ der Strecke. Eigentlich hakt es auf der gesamten Strecke zwischen niederländischer und Schweizer Grenze. Auf ihren medialen Reklametafeln und in der Cheerleaderpresse präsentieren sich die deutschen Bundesregierungen natürlich gern als europäische Musterknaben und Vorreiter für Technologie und Umweltschutz. Die Wirklichkeit ist eine andere. Die Deutsche Bahn AG ist ein zu 100 Prozent bundeseigenes Unternehmen. Ihre Geschäftspolitik ist folglich zu 100 Prozent von den politischen Entscheidungen der Bundesregierung abhängig. Der schleppende oder besser nicht vorhandene Ausbau des bundesdeutschen Abschnitts des Rhein-Alpen-Korridors ist weder Unfähigkeit noch Zufall, sondern Programm.

Als die Kohl-Regierung 1994 die Deutsche Bundesbahn und die Deutsche Reichsbahn in das unternehmerische Korsett einer Deutsche Bahn AG zwängte, war das etwas anderes als die organisatorische, service-orientierte und betriebswirtschaftlich effizientere Modernisierung, als die sie angepriesen wurde. Es ging um die Aufkündigung des Daseinsvorsorge-Anspruchs als flächendeckender Anbieter möglichst umfassender, ökologischer Transportdienstleistungen, hin zu einer unternehmerisch rechnenden, profitorientierten Aktiengesellschaft, die Transportdienstleistungen möglichst nur dort anbietet, wo sie rentabel sind. Und die in einen künstlich geschaffenen „Wettbewerb“ mit privaten Bahnunternehmen gestellt wird, welche sich die profitablen Filetstücke sichern wollen.

Der zukünftige Exportweltmeister brauchte nicht nur Hungerlöhne und Hartz IV, sondern auch den „schlanken Staat“, die Senkung der „Staatsquote“, also auch der staatlichen Investitionen in ein gut funktionierendes, öffentliches Transportsystem. Die logische Konsequenz war und ist: Die Senkung der Lohn- und Sozialkosten, der Rückzug aus der Fläche und der Vollversorgung. Dazu kommt die Fokussierung auf Vorzeigeprojekte, die Senkung der Investitionen in der Breite und – notwendig – die Erosion des technischen Standards. Investitionen, hoher Standard bedeuten Kosten. Kosten sind zu vermeiden. Rastatt ist da nur ein Beispiel des mit Skandalen, Pannen und Affären gepflasterten Wegs zum profitablen, börsenfähigen Unternehmen. Im Klartext: Die eigentliche Aufgabe der Bahn AG, Menschen und Güter zu transportieren, ist nur noch Mittel zum Zweck. Nämlich – hoffentlich – so gute Profite zu erzielen, dass der Laden auch für Zocker und Heuschrecken attraktiv genug erscheint. Eine aktive Verkehrspolitik, pro Schiene und pro Ökologie, ist unter dieser Prämisse selbstredend nicht möglich. Die überfüllten Autobahnen sprechen eine klare Sprache.

Die Privatisierung, besser das Verscherbeln von öffentlichem Eigentum, der Daseinsvorsorge ist eine unendliche Skandalgeschichte. Bei der Bahn, das zeigt sich nicht nur in der Bundesrepublik, ist sie dazu hochgefährlich.

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"Rastatter Börsenbahn-Desaster", UZ vom 13. Oktober 2017



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