Der Rat der Stadt Essen fordert Trägern ein ­Bekenntnis zum „Existenzrecht Israels“ ab

Rassistisches Dokument

DKP Essen

Auf Antrag von CDU und Grünen hat der Essener Stadtrat beschlossen, dass die Stadt nur noch mit Trägern zusammenarbeiten soll, die „sich nachweislich und zweifelsfrei zu unserer, durch das Grundgesetz geschützten, freiheitlich demokratischen Rechts- und Werteordnung bekennen“. Dies schließe laut Beschluss ein „Bekenntnis zum Existenzrecht Israels“ ein. „Bei geringsten Zweifeln“ soll die Stadtverwaltung laut Antrag „überprüfen und hierüber zeitgleich die Ratsgremien“ informieren. Wir dokumentieren an dieser Stelle einen redaktionell gekürzten Auszug aus der Pressemitteilung der DKP Essen zu diesem Vorgang.

(…) Als Instrument zur Beurteilung, ob Antisemitismus vorliegt oder nicht, soll der Stadt Essen die Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) gelten. Dabei muss allen, die sich damit beschäftigt haben, klar sein, dass diese Arbeitsdefinition unter deutlicher Kritik der Wissenschaft steht, weil sie eben keine Definition dafür liefert, was Antisemitismus ist. „Da sie quasi rechtlichen Charakter hat, wird sie aber selbst für Grundrechteeinschränkungen herangezogen, (…) Dabei unterliegen Grundrechteeinschränkungen eigentlich dem Gebot der Bestimmtheit und der Normenklarheit. Genau das bietet die Definition nicht“, schrieb der Soziologe und Kulturwissenschaftler Peter Ullrich im Jahr 2019. Im Schlussteil seiner Analyse hat Ullrich davor gewarnt, dass „die Arbeitsdefinition von Antisemitismus ein Einfallstor für eine damit mögliche öffentliche Stigmatisierung missliebiger Positionen im israelisch-palästinensischen Konflikt“ biete. Und genau das werfen wir als DKP Essen den Parteien vor, die diesen Antrag unterstützt haben.

Politische Stigmatisierungen haben den Zweck, von der eigenen Verantwortung abzulenken. Und die liegt im aktuellen Konflikt in erster Linie bei den Waffenlieferungen Deutschlands an Israel, dem monatelangen Stillhalten bezüglich notwendiger Hilfslieferungen inklusive der Aussetzung der Hilfsgelder an die Hilfsorganisation UNWRA.

Und was hat das nun in der Kommunalpolitik zu suchen? Wenn man sich vor Augen hält, dass Christian Lindner (FDP) als Finanzminister bereits überdeutlich gemacht hat, dass es zugunsten der geplanten Rüstungsmilliarden zu Kürzungen im Sozialbereich kommen wird, erkennt man in diesem Vorgehen die Vorbereitungen dafür, diesen Zusammenhang zu verschleiern. Die Mittel können den Trägern im Sozial- und Jugendbereich dann vorgeblich aus anderen Gründen gestrichen werden, nämlich aufgrund einer angeblichen Verweigerung der Anerkennung Israels.

Wir sind zudem der Meinung, dass durch diesen Antrag mit zweierlei Maß gemessen wird. Eine Gleichbehandlung wäre, wenn auch ein Bekenntnis zum Existenzrecht eines palästinensischen Staates abverlangt würde. Denn die meisten UN-Resolutionen zielen auf eine Zwei-Staaten-Lösung, um den Konflikt befrieden zu können. Dazu bekennt sich auch die DKP Essen.

Die Einseitigkeit des Bekenntnisses zu Israel muss aber für jene, die für die Rechte der unterdrückten Palästinenserinnen und Palästinenser streiten, wie eine Farce wirken. Damit wird der Beschluss des Rates der Stadt Essen automatisch zu einem rassistischen Dokument, weil er nicht verdeutlicht und anerkennt, dass die Palästinenser innerhalb Israels nicht dieselben Rechte haben wie Israelis. Weil er nicht klar macht, dass die Politik der Regierung Israels nicht der Meinung aller Israelis entspricht. Weil er den Staat Israel mit Judentum gleichsetzt und damit selbst antisemitisch ist.

Dieser Beschluss zielt unter anderem einseitig auf (muslimische) Vereine, deren konkretes Wirken hier in Deutschland jedoch nichts mit dem Nahostkonflikt zu tun hat. Die Stadt Essen verweigert damit einer notwendigen Integrationsarbeit die Unterstützung – vorauseilend, um Rüstungsmilliarden zu ermöglichen. Und um sozial zu spalten. Eines muss aber klar sein: Nur weil man an einer Ecke Mittel einspart, wird es woanders nicht mehr geben.

Wer diese Spaltung unterstützt, wird am Ende selbst weniger haben! (…)

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"Rassistisches Dokument", UZ vom 5. April 2024



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