„Hilfspaket“: Proteste und Kritik der Gewerkschaften

Ran an die Profite!

Nicht mit uns! Wir frieren nicht für Profite!“ Unter diesem Slogan sind am vergangenen Sonntag in Erfurt 2.500 Menschen auf die Straße gegangen. Aufgerufen zu der landesweiten Demonstration in der Thüringer Landeshauptstadt hatte der DGB Bezirk Hessen-Thüringen, das Bündnis „#nichtmituns“ und weitere Bündnispartner.

„Inflation und steigende Energiepreise verursachen massive Einschnitte in das Leben vieler tausender Menschen in Thüringen. Das kürzlich beschlossene dritte Entlastungspaket der Bundesregierung ist grundsätzlich ein Schritt in die richtige Richtung, reicht aber für viele Menschen nicht aus. Da muss nachgelegt werden! Wir brauchen eine solidarische Politik“, hieß es im Aufruf.

Deutliche Kritik an dem jüngsten staatlichen „Hilfspaket“ äußerte die IG Metall bereits drei Tage vor der Demonstration. In der Bewertung der größten DGB-Mitgliedsgewerkschaft haben die Beschlüsse der „Ampel“ bislang wenig Entlastung für durchschnittlich verdienende Menschen gebracht. „Für die große Masse der Beschäftigten in Betrieben und Verwaltungen beinhaltet es vor allem Versprechungen und Ankündigungen für die Zukunft, die teils noch unter Vorbehalt stehen“, sagte der Erste Vorsitzende Jörg Hofmann gegenüber der „Deutschen Presse-Agentur“. Auch von ver.di wurde deutliche Kritik an den Regierungsplänen formuliert. Deren Vorsitzender Frank Werneke kritisierte das Fehlen weiterer direkter Zahlungen für Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen. Stattdessen würden Hochverdiener durch die Steuerpläne mit bis zu 1.000 Euro entlastet.

Diese Kritik am sogenannten Inflationsausgleichsgesetz aus dem Haus von Bundesfinanzminister Christian Lindner wurde auch von den Demonstranten in Erfurt geteilt. Während die Ampel-Regierung Unternehmensgewinne absichert, ist das tägliche Leben für Menschen mit geringem und mittlerem Einkommen, für Rentner, Auszubildende, Studierende und Arbeitslose schon jetzt kaum bezahlbar, so die Veranstalter. Sie berufen sich auf Daten des Statistischen Bundesamts: Die Teuerungsrate betrug im August 2022 im Vergleich zum Vorjahresmonat bei Lebensmitteln 16,6 Prozent. Im Bereich Haushaltsenergie und Kraftstoffe stiegen die Preise sogar um 35,6 Prozent. Wenn im Herbst die Heizkosten massiv steigen, wird sich die Situation weiter verschlimmern, insbesondere für Geringverdiener, da sie einen Großteil ihres Einkommens für Energie und Lebensmittel ausgeben müssen, so die Aufrufer.

Unter der Losung „Warme Wohnungen für alle, statt anhaltender Profite für Energieunternehmen“ wurde die vom Wirtschaftsministerium angekündigte Gasumlage während der Demonstration massiv kritisiert. Diese verteile die Kosten der Krise ungleich und zu Ungunsten der breiten Bevölkerung. Damit der Grundbedarf an Gas und Strom für Haushalte dauerhaft bezahlbar bleibt, wurde alternativ die zügige Einführung eines Energiepreisdeckels gefordert. Flankierend hierzu wurde für einen Mietendeckel und ein sofortiges Verbot von Kündigungen bei Miet- und Nebenkostenrückständen geworben.

Der gängigen Praxis, dass Unternehmen Preise erhöhen und die ohnehin inflationsgeplagten Verbraucher belasten, um Extragewinne einzufahren und an die Aktionäre auszuschütten, wurde bei der Demonstration in Erfurt eine klare Absage erteilt. Eine Abkehr von der seit Jahren praktizierten Politik, die von unten nach oben umverteilt, ist aus Sicht der Demonstranten überfällig. Stattdessen sollte die Einführung einer Übergewinnsteuer auf der Tagesordnung stehen.
Redner verwiesen auf das schon 2017 aufgestellte steuerpolitische Konzept des DGB. Dieses sieht unter anderem eine Erhöhung des Grundfreibetrags auf 12.800 Euro, eine gerechtere Steuerprogression, eine Anhebung des Spitzensteuersatzes auf 49 Prozent ab einem zu versteuernden Einkommen von 76.800 Euro, mehr Kindergeld für alle statt Kinderfreibeträge für wenige, die Abschaffung der Steuerklasse V, die Überwindung des Ehegattensplittings, die Vereinfachung der Rentenbesteuerung, eine angemessene Besteuerung von Erbschaften und Schenkungen sowie die Wiedereinführung der Vermögensteuer vor.

Die beschlossenen Maßnahmen der Regierung gehen in die genau entgegengesetzte Richtung. Sie entlasten die Reichen und belasten die breite Bevölkerung. Damit erfüllt die Regierung die Aufgabe des Staats als ideeller Gesamtkapitalist. Keiner weiß das besser als der Regierungschef, der schon als Juso – damals noch auf der anderen Seite der Barrikade – die Stamokap-Thesen verinnerlicht hatte.

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"Ran an die Profite!", UZ vom 16. September 2022



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