Deutsche Kriegspolitik steht vor Gericht. Der Vorsitzende und die Stellvertretende Vorsitzende der DKP, Patrik Köbele und Wera Richter, sowie der Jurist Ralf Hohmann legen Verfassungsbeschwerde gegen die Zustimmung der Bundesrepublik Deutschland zur Stationierung neuer US-Mittelstreckenraketen ein. Sie beantragen, dass die Stationierungsvereinbarung zwischen den USA und Deutschland als unvereinbar mit Grundgesetz und Völkerrecht erklärt wird und dass die Bundesregierung ihre Zusage zur Stationierung zurückziehen muss.
Am 10. Juli des vergangenen Jahres vereinbarten die US-Regierung und die deutsche Bundesregierung auf der NATO-Tagung in Washington, ab 2026 US-Raketen vom Typ SM-6, Tomahawk-Marschflugkörper und Dark-Eagle-Hyperschallwaffen zu stationieren. Derzeit bereiten sich das im November 2021 in Wiesbaden wieder aufgebaute „56th Field Artillery Command“ und die „41st Field Artillery Brigade“ („Rail Gunners“) im oberpfälzischen Grafenwöhr auf das Eintreffen der Raketen vor.
Staff Sergeant Zariah Fernandez, Zugführerin in Grafenwöhr, drückte unlängst in einem Interview ihre Freude über die Ankunft der neuen Waffen aus, die bis tief in russisches Gebiet eindringen können: „Ich freue mich wirklich darauf, dass wir gemeinsam mit unseren Verbündeten Langstreckenmunition abfeuern und sehen können, was wir damit anstellen können.“ Insbesondere die „Long-Range Hypersonic Weapon (LRHW)“, besser bekannt als Dark Eagle, hat es ihr angetan. Die Reichweite dieser Boden-Boden-Rakete (Stückpreis: 41 Millionen US-Dollar) liegt bei mehr als 2.500 Kilometern. Sie bringt Tod und Zerstörung mit 17-facher Schallgeschwindigkeit. Von Wiesbaden oder Grafenwöhr erreicht sie Ziele in Moskau in unter 10 Minuten. Vorwarnzeiten, die eine Gegenreaktion der russischen Luftabwehr ermöglichen würden, gibt es damit nicht mehr. Ihre Generalprobe bestand sie im vergangenen Jahr bei einem Test auf Hawaii.
Zum ersten Mal seit 1988 sind russische Städte wieder im Visier von auf deutschem Boden stationierten Mittelstreckenraketen. 1987 schlossen USA und Sowjetunion den INF-Vertrag („Intermediate-Range Nuclear Forces“), der dazu führte, dass bis zum Jahr 2001 sämtliche Mittelstreckenraketen und Marschflugkörper mit Reichweiten zwischen 500 und 5.500 Kilometern verschrottet wurden, fast 3.000 an der Zahl. Im Oktober 2018 erklärte der damalige und jetzige US-Präsident Donald Trump, dass die USA sich nicht mehr an den Vertrag gebunden fühlten. Die NATO hatte den Hebel umgelegt. Nunmehr galt die Devise, das US-Militär müsse mit seinen Waffen jeden Punkt auf dem Globus in kürzester Zeit erreichen können oder, wie es das US-Kriegsministerium seit 2018 formuliert: Hyperschallraketen sind die „Schlüsseltechnologie, die sicherstellen soll, dass die USA in der Lage sind, die Kriege der Zukunft zu führen und auch zu gewinnen“.
Die Moskauer Reaktion auf die erstschlagfähigen Raketen ließ nicht lange auf sich warten. Unter Bezug auf die Flugzeit von weniger als 10 Minuten kommentierte Präsident Wladimir Putin postwendend: „Wir werden spiegelverkehrte Maßnahmen ergreifen.“ Durch die Stationierung erreicht die Kriegsgefahr eine neue Qualität. Wenn die Vorwarnzeit zwischen Aktion und Reaktion nicht mehr realistisch besteht, wächst in gleichem Maße die Wahrscheinlichkeit eines „präventiven“ Erstschlags. Die NATO-Strategen haben dafür bereits das Konzept des „preemptive strike“ entwickelt.
Und die Bundesregierung? Die hüllt sich in Schweigen, bestenfalls wird Boris Pistorius (SPD) vorgeschickt, der von der Schließung einer „Fähigkeitslücke“ spricht. Fähig sind sie in der Tat – zu allem. Unter Berufung auf NATO-Vertrag (1949) und Stationierungsabkommen (1954) sieht die Regierung noch nicht einmal einen Grund, das Parlament mit der Frage von Krieg und Frieden zu befassen. Wochen nach der NATO-Tagung wurde schnell ein vierseitiges „Kurzgutachten“ des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags fabriziert. Schon die Sprache ist lächerlich, mangels juristischen Intellekts wird das Ergebnis aus der Hüfte geschossen, die genannten Verträge „dürften in ihrer Gesamtschau als Rechtsgrundlage fungieren“.
Der vom Bündnis Sahra Wagenknecht ins Parlament eingebrachte Antrag auf Durchführung einer Volksbefragung zur Stationierung wurde von den Kriegsbegeisterten weggelächelt. Vom Friedensgebot des Grundgesetzes in Artikel 26, dem Verbot friedensstörender Handlungen, welche dazu geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu beeinträchtigen, wollen sie genauso wenig etwas hören wie vom völkerrechtlich verankerten Menschenrecht auf Frieden. Vom Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2 GG) ganz zu schweigen.
Noch ist Zeit, den Kriegstreibern in den Arm zu fallen. Was aus ihren Stationierungsplänen wird, entscheidet sich auf der Straße. Wie sie Friedensgebot und Völkerrecht mit Füßen treten, dokumentiert die Verfassungsbeschwerde, die nun auf ihren Weg geht.