Carola Rackete ist die Wunschkandidatin des Parteivorstands der „Linken“ für den zweiten Listenplatz bei den kommenden EU-Wahlen. Ihre Nominierung war ein Überraschungscoup, der zur weiteren Vertiefung der internen Auseinandersetzungen in der Partei führte. Bei ihrer Vorstellung hieß es, Rackete stehe (und anders herum: stünden andere wohl nicht) für bewegungsorientierten Aktivismus, gegen Grenzregimes und Frontex, für Klimagerechtigkeit und Menschenrechte. Dazu hat sie eigenen Aktivismus vorzuweisen, durch den sie einer großen Öffentlichkeit bekannt wurde. Sie steuerte im Jahr 2019 als Kapitänin der „Sea Watch 3“ mit über fünfzig geflüchteten Menschen aus Libyen den Hafen von Lampedusa an, obwohl die italienischen Behörden das zu verhindern versuchten. Vor ihrem Freispruch wurde sie mit Haft und Hausarrest unter Druck gesetzt.
Bei einer Pressekonferenz vor der Berliner Volksbühne gab Rackete ihre Sicht der Dinge auf die Kandidatur bekannt. Wenige Minuten zuvor hatte sie noch zusammen mit den beiden Parteivorsitzenden gesprochen. Dieses Mal wurde sie von anderen Mitstreitern begleitet. Rackete spricht im Zusammenhang mit ihrer Kandidatur immer wieder von einem „Wir“ aus der sogenannten „Bewegungslinken“. Mit dabei ist nun unter anderem Alina Lyapina, eine Mitgründerin der Initiative „Seebrücke“. Der angekündigte Neustart der „Linken“ sei zu begrüßen, dürfe aber nicht auf dem Papier stehen blieben. Nötig seien vor dem Hintergrund „geopolitischer Herausforderungen“ wie dem „imperialistischen Angriffskrieg Russlands“ laut Lyapina eine „radikale Erneuerung der Partei, unter anderem auch in der Außen- und Sicherheitspolitik“. Die Aktivistin ist bei der „Berlin Governance Platform“ angestellt, welche unter anderem vom Auswärtigen Amt, der deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) sowie der Weltbank-Gruppe und den Stiftungen von E.ON und der Allianz finanziert wird.
Ihr Engagement für die Kandidatur von Rackete ist durchaus anknüpfungsfähig, sowohl an Racketes Sicht auf die Welt als auch an die EU-Wahlkampfstrategie der Parteiführung. Rackete stellte diese in der bellizistischen Tageszeitung „taz“ vor, die ihre Kandidatur ebenfalls begrüßte. Dabei wurde antiimperialistische Solidarität mal eben „antiimperial“ auf Russland umgemünzt, fast wortgleich zu den entsprechenden Redeausschnitten von Kanzler Scholz gegen den „russischen Imperialismus“. Das sollte nicht wundern. Denn seitdem die Parteiführung zu neuen Ufern strebt, gibt es immer wieder sprachliche wie auch inhaltliche Überschneidungen zwischen Spitzenfunktionären der Linkspartei und den etablierten Parteien des herrschenden Blocks.
Die Wahlen zum EU-Parlament, welches kaum über parlamentarische Rechte verfügt, sind traditionell eine Spielwiese für illusionäre Projektionen in ein wie auch immer geartetes europäisches Projekt. Der entsprechende Vorstandsbeschluss der Partei „Die Linke“ leitet vom Thema Ukraine-Krieg zur Illusion einer Friedens-EU über: „Unsere Kommunikation richtet sich einerseits darauf, hier klar auf der Linie ziviler Alternativen statt Waffenlieferungen, für Diplomatie, Sanktionen gegen Oligarchen und militärisch-industriellen Komplex und eine Friedensunion mit einer auf Abrüstung und ziviler Konfliktlösung ausgerichteten Sicherheitspolitik als Bezugspunkte europäischer Politik zu argumentieren, andererseits möglichst nicht darauf hinzuwirken, dass diese Themen stärker werden. Wir legen den Schwerpunkt auf den sozial gerechten Umbau der Europäischen Union.“
Bei vorherigen EU-Wahlen hieß es von Seiten der Linkspartei noch, die EU sei neoliberal, antidemokratisch und militaristisch. „Die Linke“ wäre gut beraten, in Zeiten des Krieges zwischen der NATO und den aufstrebenden Polen einer multipolaren Welt eine Einheitsfront gegen den deutschen Imperialismus und sein EU-Bündnis zu schmieden, anstatt sich zum sozialen Sachverwalter der herrschenden Ordnung zu machen. Dazu bräuchte es eine soziale und eine Friedensliste, die genauso klar gegen deutsche Hochrüstung und Waffenexporte der EU wie auch für Verhandlungen mit Russland und Frieden mit China eintritt. Doch diese wird es nach den Plänen des Parteivorstands und der selbsternannten „progressiven“ und „Bewegungslinken“ nicht geben. Die Sozialisten in der Linkspartei, welche sich an Liebknecht und Luxemburg orientieren, werden bis zum Europaparteitag im November wohl noch weitere Kämpfe ausfechten müssen.