Die NATO sortiert sich neu – die Feindbilder sind die alten. In der über 70-jährigen Geschichte der NATO gab es bislang sieben strategische Konzepte, die jeweils die Marschrichtung des Kriegsbündnisses für die nächste Dekade bestimmten. Auf dem letzten Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs in Brüssel (Juni 2021) wurde bereits beschlossen, das seinerzeit gültige Konzept aus dem Jahre 2010 zu überprüfen und mit neuem Inhalt zu füllen.
Durch den Ukraine-Konflikt hat die Ausarbeitung des neuen strategischen Konzepts, das die NATO-Ziele bis 2030 festlegen soll, Fahrt aufgenommen. Parallel und in Abstimmung mit dem kommenden NATO-Konzept arbeiten die politischen und militärischen Führungsstäbe der Europäischen Union (EU) an der Neuauflage des „strategischen Kompasses“, der die NATO-Ziele auf europäischer Ebene umsetzen soll. „Europa muss lernen, die Sprache der Macht zu sprechen“, so leitet Josep Borrell, Vizepräsident der EU-Kommission, das letzte Papier der Arbeitsgruppe „EU Defence“ ein.
Von einem „Quantensprung“ in der EU-Militär- und Außenpolitik innerhalb der nächsten fünf Jahre ist die Rede. Dessen erste Anzeichen haben nicht lange auf sich warten lassen: Die Kriegsetats in den Mitgliedsländern wurden erhöht. Überdies soll – unter deutscher Führung – bis 2025 eine 5.000 Soldaten starke neue EU-Eingreiftruppe aufgebaut werden.
Aktuell kursieren Papiere des „Atlantic Council“. Dieser ist der am weitesten im militärisch-industriellen Komplex vernetzte NATO-Think-Tank. Er wird unter anderem von Airbus, Lockheed, Blackrock, Krauss-Maffei, Boeing und der EU-Kommission finanziert. Bei Sichtung der „Atlantic Council“-Papiere lassen sich diesen folgende, für die Zukunft der NATO bestimmende Leitlinien entnehmen: Ausgehend von der Analyse, dass der Krieg in der Ukraine zum Verlust von Gebieten östlich des Dnjepr und im Süden der Ukraine führen wird, stellt sich die NATO auf eine neue und dauerhafte Ost-West-Spaltung ein. Russland sei international bereits isoliert. Diese Isolation müsse in Zukunft aufrechterhalten werden, die 1997 zwischen der NATO und Russland in der „Grundakte über gegenseitige Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicherheit“ getroffenen Vereinbarungen seien nicht mehr gültig. Dadurch werde es zu einer verstärkten Zusammenarbeit Chinas mit Russland kommen, die in einen „eurasischen Block“ münden werde. Im Westen müsse die NATO daher mit einem Ausbau der Militärhaushalte, der Aufnahme Finnlands und Schwedens und späterhin Georgiens und der Ukraine sowie dem Ausbau der Militärpräsenz auf der ganzen Länge der NATO-Ostflanke antworten. Die USA setzen dabei insbesondere auf Deutschland, das bestens geeignet sei, die Führung und die Koordination dieser Pläne zu übernehmen, da es – anders als Frankreich – die Fähigkeit habe, für die Stabilität der NATO-Strukturen in Europa zu sorgen.
Die EU erscheint in den NATO-Studien lediglich noch als politisches Instrument und verlängerter Arm der NATO, um die in Washington entwickelten Hegemoniepläne umzusetzen. Die USA konzentrieren im Bündnis ihre Kräfte in Zukunft verstärkt auf den arabischen Raum und den Indopazifik, um dort eine Eingrenzung chinesischer Interessen zu forcieren.