Putschisten zu Oppositionellen

Klara Bina zur Repression nach dem Putsch in der Türkei

Knapp zwei Wochen nach dem gescheiterten Putsch in der Türkei, ist die Bilanz wie folgt: Über 13000 verhaftete Militärs, Juristen und Polizisten, davon allein 8838 Angehörige des Militärs, 6000 von ihnen sitzen weiterhin in U-Haft, zirka 20 000 entlassene Lehrer, 10000 für ungültig erklärte Pässe, ein für drei Monate geltender Ausnahmezustand. Des Weiteren wurde die Dauer der polizeilichen Ingewahrsamnahmen ohne Anklage um 30 Tage verlängert. Die Regierung plant um die 2000 Schulen und Stiftungen mit Verbindung zur Gülen-Bewegung (Hizmet) zu schließen.

Gleichzeitig werden wir, jedoch nicht erst in diesen zwei Wochen nach dem Putsch, Zeugen einer Kehrtwende in der Rhetorik der westlichen Imperialisten und ihrer Medien gegenüber Erdogan. Die veröffentlichte Meinung im Westen überschlägt sich mit Empörungsmeldungen über die gegen die mutmaßlichen Putschisten eingeleiteten Maßnahmen in der Türkei. „Menschenrechtsverletzungen“, „Angriffe auf den Rechtsstaat“, „Ende der Demokratie“, das sind die Stichworte der Medien und Regierungen hierzulande. Spätestens wenn die hiesigen Imperialisten von Demokratie und Menschenrechten sprechen, ist höchste Vorsicht angesagt. Kriegsgegnern ist die Menschenrechtsrhetorik schon längst als das Rühren von Kriegstrommeln bekannt. Umso alarmierender ist die Übernahme der Kriegssprache über verschiedene politische Spektren hinweg.

Die Verhaftungswelle in der Türkei wird häufig als Schlag gegen die Opposition beschrieben. Putschisten sind aber nicht einfach nur Oppositionelle, sondern Verbrecher – diese Definition gilt für alle nach bürgerlichen Gesichtspunkten demokratisch verfassten Staaten. Mittlerweile bezweifelt kaum noch jemand, dass Hizmet tatsächlich am Putsch beteiligt war. Über das Maß ihrer Beteiligung kann sich zwar weiter gestritten werden, jedoch nicht über die Frage ob Hizmet tatsächlich in der türkischen Gesellschaft wichtige Schlüsselpositionen mit ihren Anhängern besetzt, denn das tut sie allemal.

Es ist sinnvoll, sich die Frage nach der Verhaftung von Oppositionellen mal konkret anzuschauen: die Opposition in der Türkei besteht im Parlament aus den Parteien CHP, MHP und HDP, aus deren Reihen bis Redaktionsschluss keine Verhaftungen bekannt wurden. Auch aus der linken außerparlamentarischen Opposition sind keine Meldungen über Verhaftungen bekannt. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass in den nächsten Tagen solche Verhaftungen folgen werden.

Unter den inhaftierten Militärs befinden sich nach Informationen des „Spiegel“ etwa 100 Generäle und Admirale. Damit ist die Führung des türkischen Militärs um ein Drittel kleiner als vor dem Putsch. Es ist die Rede von mutmaßlichen Putschisten, die hohe Funktionen innerhalb der Armee inne hatten. Als Beispiel seien nur Adem Huduti und Bekir Ercan Van genannt. Ersterer leitete die militärischen Aktionen gegen die PKK im Osten der Türkei, letzterer war Leiter der Luftwaffenbasis Incirlik, die unter anderem als NATO-Stützpunkt im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ genutzt wird. Bei diesen hochrangigen Militärs von Oppositionellen zu sprechen ist mehr als nur irreführend.

Es ist möglich, dass ein nicht zu unterschätzender Teil der bisher Inhaftierten und vom Staatsdienst Suspendierten zu Hizmet gehören. Unter den gegebenen Umständen – viele Experten gehen davon aus, dass die Lage in der Türkei sich destabilisieren könnte – würde keine Regierung das Risiko einer weiteren Schwächung des eigenen Staatsapparates durch quasi unnötige Massenverhaftungen eingehen, wenn es denn nicht aus ihrer Sicht tatsächlich sicherheitsrelevant wäre. Erdogan zu unterstellen, er sei größenwahnsinnig und blindwütig, relativiert die faktische Gefahr, die der Region durch weitere Versuche der Destabilisierung von Außen und Innen droht. Weder er noch die AKP sind jedoch eine demokratische Kraft, die im Sinne des lohnabhängigen und werktätigen Volkes arbeitet, so wie sie es gerne darstellen.

Jetzt kommt es darauf an, die Frage aufzuwerfen, wem die Schwächung des türkischen Staates nützlich werden könnte. Die Kräfteverhältnisse in der Türkei sind nicht ausgemacht: Hizmet wird zwar jetzt durch die Verhaftungswelle geschwächt, verfügt aber weltweit über ein gut organisiertes Netz von Anhängern und Unterstützern. Fetullah Gülen war, wie schon 1999 bei seiner Flucht in die USA bekannt wurde, bestens mit der CIA vernetzt. Es gibt noch keinen Grund zur Annahme, dass diese Beziehungen nicht mehr vorhanden seien und beidseitig genutzt werden.

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"Putschisten zu Oppositionellen", UZ vom 29. Juli 2016



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