Gregor Gysi kennt keine Parteien mehr. „Zunächst einmal müssen wir uns – von der CSU bis zur Linken, aber auch mit Gewerkschaften, Kirchen, Unternehmerverbänden, Künstlern und Wissenschaftlern – darauf verständigen, dass wir unsere Grundfesten von Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit gemeinsam verteidigen“, führte er vor kurzem im Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ aus. Die Formierung der Gesellschaft als Zweck linker Politik? Ja, aber nur widerwillig, wenn man Gysi glaubt. Nachdem US-Präsident Donald Trump das „westliche System praktisch aufgekündigt“ habe, befinde man sich in einem erzwungenen Kampf „sowohl gegen innere als auch äußere Bedrohungen“. Von der kommenden Regierung wünscht sich die Silberlocke, dass sie den „Mut“ hat, „die eigenen Ziele klar zu benennen“ – auch im Ausland. „Das gab es in der DDR nicht, weil die Sowjetunion einen großen Einfluss hatte“, und auch in der BRD sieht Gysi Nachholbedarf, schließlich musste „man immer Rücksicht auf die drei Siegermächte nehmen“. „Aber ich finde, das sollte nun endlich vorbei sein.“
Nach all den Jahren des Kampfes gegen den fortschrittlichen Flügel seiner Partei kann Gysi endlich den Geist von 1914 atmen. Und er ist nicht allein. Mit dem Erfolg bei der Bundestagswahl sehen die kursbestimmenden Kreise in der „Linken“ den Moment gekommen, um sich endgültig von unnötigem Ballast wie Friedenspolitik und Klassenfrage zu befreien. Da wird auch der kommenden Merz-Regierung schon einmal die Hand ausgestreckt. „Wenn wir uns jetzt darauf einigen – und da ist die Linke immer mit dabei – die Schuldenbremse kommt weg, dann braucht es gar keine Sonderschulden“, erklärte „Cheffriedenstaube“ Jan van Aken erst kürzlich dem „Rundfunk Berlin-Brandenburg“.
Wer schlau ist, stellt sich dumm. So wundert es auch nicht, dass die Führungsriege der Linkspartei den Eindruck erwecken will, eben nur für die Abschaffung der Schuldenbremse, aber nicht für die Aufrüstung zu sein. Man wolle „Investitionen in die soziale und zivile In-frastruktur ermöglichen“, heißt es in einer Erklärung des Parteivorstands. Nur dass diese sozialen Reformen beim besten Willen nicht zu erwarten sind. „Die Linke“ kann Friedrich Merz den Schlüssel zum Bundeshaushalt in die Hand drücken, aber – und das weiß auch Jan van Aken – nicht über die Verteilung des Geldes mitentscheiden. Was soll da herauskommen bei einer Regierung, die schon vor ihrer Inthronisierung täglich nach neuen Fantastilliarden für die Hochrüstung schreit?
Anstatt den außerparlamentarischen Widerstand gegen die Kriegspolitik zu stärken, arbeitet „Die Linke“ an der Illusion, sie könnte den vermeintlichen Finanznotstand der Kriegstreiber ausnutzen, um sozialen Fortschritt durchzusetzen. Damit fällt die Führung um van Aken auch den eigenen Mitgliedern in den Rücken, die sich beim letzten Parteitag für eine Unterstützung des Berliner Appells ausgesprochen haben. Das Vorpreschen der Gysis und van Akens ist ein Putsch von oben – und es ist zu befürchten, dass er erfolgreich ist. In der neuesten Erklärung zum Ukraine-Krieg hat die Mehrheit des Parteivorstandes schon nachgezogen und nicht nur Russland die Alleinschuld am Krieg zugeschustert, sondern auch noch gefordert, dass ausgerechnet die imperialistische EU als „Friedensmacht“ auftreten soll.
Einen Platz an der Sonne bekommt man nicht durch Nörgelei. Wer den linken Flügel des NATO-Lagers bilden möchte, muss sich zusammenreißen. „Natürlich wird die Linke auch künftig gegen Anträge der Regierung stimmen, wenn sie falsch sind“, lautet der letzte Satz der Erklärung des Parteivorstandes. Mehr Opposition ist gerade nicht drin.