In Venezuela spitzt sich der Machtkampf zwischen Opposition und Regierung wieder zu

Putsch-Bilder zur Urlaubszeit

Von André Scheer

Glaubt man dem von internationalen Fernsehsendern und bürgerlichen Zeitungen verbreiteten Bild, steht Venezuela am Rande eines Bürgerkrieges. Andere Bilder widersprechen jedoch diesem Eindruck, etwa die von überfüllten Stränden während der Ostertage. Nicht weniger als zehn Millionen Menschen – ein Drittel der Bevölkerung des südamerikanischen Landes – verreiste über die Ostertage – und machte Urlaub an den Stränden, in den Nationalparks, bei Verwandten, im Ausland. Sieht so ein Land aus, in dem die Regierung gerade die demokratischen Verhältnisse beseitigt?

Im vergangenen Jahr ist Venezuelas Opposition mit dem Versuch gescheitert, Staatschef Maduro durch ein Amtsenthebungsreferendum zu stürzen. Seit Mitte Januar 2017 hätte ein solches Referendum keinen für die Opposition interessanten Effekt mehr. Am 10. Januar begannen die letzten zwei Jahre der Amtszeit Maduros – und die Verfassung legt fest, dass in diesem Zeitraum im Falle einer Amtsenthebung der Vizepräsident die Amtsgeschäfte übernimmt. Tareck El Aissami ist der Opposition aber fast ebenso verhasst wie Maduro.

Das von den rechten Parteien kontrollierte Parlament führte deshalb am 9. Januar eine Schmierenkomödie auf und erklärte, Maduro habe „sein Amt aufgegeben“, deshalb müsse es sofort Neuwahlen geben. Selbst Regierungsgegner schüttelten über diesen Unsinn den Kopf. Zudem haben die Beschlüsse der Nationalversammlung bereits seit Mitte vergangenen Jahres keine juristische Bedeutung mehr, weil sich das Parlamentspräsidium über ein Urteil des Obersten Gerichtshofs (TSJ) hinwegsetzt. Hintergrund ist eine Anfechtung des Ergebnisses der Parlamentswahl 2015 im Bundesstaat Amazonas. Die obersten Richter entschieden, dass die vier betroffenen Abgeordneten – drei der Opposition und einer der Regierungspartei PSUV – bis zum Abschluss des Verfahrens nicht an den Sitzungen des Parlaments teilnehmen dürften. Die drei Rechten ließen sich trotzdem vereidigen. Als Reaktion auf diese Missachtung des TSJ – der in seiner Funktion mit dem Bundesverfassungsgericht vergleichbar ist – beschlossen die obersten Richter, dass alle Beschlüsse des Parlaments ungültig sind, bis die drei suspendierten Abgeordneten aus der Arbeit der Legislative ausscheiden. Das gilt bis heute, auch weil eine endgültige Entscheidung über die Wahlanfechtung noch immer nicht getroffen wurden.

Die Blockade der Legislative behindert auch die Regierung, denn das Parlament muss etwa der Ernennung von Botschaftern oder wichtigen internationalen Handelsverträgen zustimmen. Um dieses Hindernis aus dem Weg zu räumen, beschlossen die Richter Ende März, dass sie selbst vorübergehend die der Legislative zustehenden Funktionen übernehmen. Der Schritt der Richter war nur konsequent, denn schon im vergangenen Oktober hatten sie angesichts des Verhaltens der Nationalversammlung angeordnet, dass die Regierung den Entwurf des Staatshaushalts nicht den Abgeordneten, sondern dem Gerichtshof vorzulegen habe.

Auf die Entscheidung der Richter im März reagierte eine internationale Koalition aus rechten Parteien und Medienkonzernen allerdings mit einem Aufschrei. Die Richter hätten einen Staatsstreich vollzogen, Maduro habe einen „Selbstputsch“ durchgeführt. Kritik gab es jedoch auch aus dem eigenen Lager. Nachdem sich sogar Generalstaatsanwältin Luisa Ortega Díaz kritisch über die Entscheidung geäußert hatte, berief Maduro den Verteidigungsrat ein, in dem Vertreter aller Staatsgewalten vertreten sind. Dort einigte man sich darauf, den Obersten Gerichtshof zu bitten, die fragliche Entscheidung noch einmal zu überdenken. Das taten die Richter und annullierten die fraglichen Passagen ihres Urteils.

Für die rechte Opposition war diese Uneinigkeit unter den verschiedenen Staatsgewalten das Signal, in die Offensive zu gehen. Nahezu täglich demonstrieren seither Regierungsgegner in Caracas. Die Beteiligung liegt zumeist bei wenigen tausend Menschen, auch wenn in westlichen Medien Phantasiezahlen gehandelt werden. So berichtete die Deutsche Presseagentur am 8. April von „50 000 Demonstranten“, während die Konkurrenz von der französischen AFP nur 4 000 Teilnehmer zählte.

Die Oppositionellen versammeln sich normalerweise im Westen der Hauptstadt, wo die von ihnen dominierten Mittelschichtsviertel liegen. Die Verwaltung des Municipio Libertador, der den Innenstadtbereich von Caracas umfasst, genehmigt den Regierungsgegnern jedoch nicht, in das Zentrum der Metropole zu marschieren – eine Konsequenz, die aus früheren Erfahrungen mit Kundgebungen der Rechten gezogen wurde, bei denen Einrichtungen von Behörden und Regierungsstellen attackiert wurden.

Trotz der Demonstrationsverbote für die Innenstadt rufen führende Oppositionspolitiker ihre Anhänger immer wieder auf, in das Zentrum zu marschieren. Auf dem Weg dorthin stoßen sie dann auf Sperren der Nationalgarde und der Polizei. Diese werden von militanten Oppositionellen, die sich mit Helmen und Gasmasken auf die Auseinandersetzungen vorbereitet haben, angegriffen. Die Sicherheitskräfte reagieren mit Tränengas und Knüppel­einsätzen. Immer dabei sind auch die Kamerateams diverser Fernsehsender, die dann die ihnen passenden Bilder über den Sender geben.

Die Strategie der Rechten ist, durch die Bilder von prügelnden Polizisten international den Eindruck zu erwecken, in Venezuela halte sich eine von der gesamten Bevölkerung abgelehnte Regierung nur noch mit brutaler Gewalt an der Macht. So soll der Boden für einen Staatsstreich bereitet werden. Doch bislang deutet wenig darauf hin, dass sich relevante Teile des venezolanischen Militärs zu einem solchen Abenteuer bereitfinden könnten. Die Hoffnung der Rechten richtet sich deshalb auf die USA, etwa auf den Chef des für die Lateinamerika zuständigen Southern Command der US-Armee. Admiral Kurt W. Tidd sprach am 6. April vor einem Senatsausschuss davon, dass die Lage in Venezuela eine „regionale Antwort“ erforderlich machen könnte.

Die Regierung versucht bislang, die Proteste der Opposition auszusitzen und fordert sie auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Offenbar wartet man in Caracas darauf, dass die Erdölpreise wieder steigen, um mehr finanziellen Spielraum zu haben. Damit aber gerät Venezuela immer mehr in eine Phase der Stagnation – von dem noch im Wahlkampf 2013 versprochenen „Aufbau des Sozialismus“ ist nichts mehr zu sehen.

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"Putsch-Bilder zur Urlaubszeit", UZ vom 21. April 2017



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