„Mir gefallen die kommunistischen Ideen“ – der russische Präsident zwischen Antikommunismus und Wahlkampf

Putin und sein Parteibuch

Von Willi Gerns

Linkswende Wladimir Putins?“ Unter dieser Überschrift veröffentlichte die „Swobodnaja Pressa“ am 26. Januar einen Beitrag von Andrej Iwanow zu den Ausführungen Präsident Putins auf dem Forum der Gesamtrussischen Volksfront (GRVF). Deren Ziel bestand offenbar darin, der Empörung, die seine wenige Tage zuvor während der Sitzung des Rates für Forschung und Bildung gegen Lenin geführte Attacke in Teilen der russischen Öffentlichkeit ausgelöst hatte (siehe UZ v. 29.1.), Wind aus den Segeln zu nehmen.

Auf dem Forum verzichtete Putin zwar nicht auf Kritik an Lenin. So kritisierte er Repressalien der Bolschewiki gegen die Konterrevolution in den ersten Jahren der Sowjetmacht und den Austritt Sowjetrusslands aus dem ersten Weltkrieg. Ebenso hielt er seinen Vorwurf, Lenin habe „eine Atombombe“ unter die Sowjetunion gelegt, dem Wesen der Sache nach aufrecht. Er machte deutlich, dass er mit Blick auf die seinerzeitigen Differenzen zwischen Stalin und Lenin in der Frage des staatlichen Aufbaus der künftigen Sowjetunion die Idee Stalins, dass die übrigen Subjekte der künftigen UdSSR auf der Grundlage von Autonomierechten beitreten sollten, für richtig hält. Die Idee Lenins, „einer völligen Gleichberechtigung“ der künftigen Unionsrepubliken „einschließlich des Rechts auf Austritt aus der Sowjetunion“ lehnte er dagegen erneut kategorisch mit der Feststellung ab: „Das war genau dieser Sprengsatz mit Zeitzünder unter dem Gebäude unserer Staatlichkeit.“

Beschwichtigen

Junge Pioniere in der sowjetischen Tradition

Junge Pioniere in der sowjetischen Tradition

( RIA Novosti archive / CC-BY-SA 3.0)

Zugleich war Putin jedoch bemüht, durch gewisse positive Bezüge auf die Sowjetzeit über seine Ausfälle gegen Lenin empörte Anhänger zu beschwichtigen. So stellt Iwanow in seinem eingangs genannten Beitrag fest, der Präsident habe die Diskussion über eine mögliche Umbettung Lenins aus dem Mausoleum faktisch für beendet erklärt, indem er betonte, es sei nötig, „keinerlei Schritte zu unternehmen, die unsere Gesellschaft spalten würden.“

Zudem habe Putin sich ausführlich zu den sowjetischen Erfahrungen der Organisation der Volkswirtschaft geäußert, über die eine erbitterte Diskussion im Gang ist. Er habe zwar festgestellt, dass die Planwirtschaft zu unempfindlich für technologische Veränderungen gewesen sei, insgesamt jedoch deren Prinzipien gutgeheißen: „Die Planwirtschaft hat gewisse Vorzüge. Sie bietet die Möglichkeit, die gesamtstaatlichen Ressourcen auf die Erfüllung der wichtigsten Aufgaben zu konzentrieren. So wurden die Fragen des Gesundheitswesens gelöst, worin zweifellos ein Verdienst der kommunistischen Partei jener Zeit besteht. So wurden die Fragen des Bildungswesens gelöst – zweifellos ein Verdienst der kommunistischen Partei jener Zeit. So wurden die Fragen der Industrialisierung hinsichtlich der Verteidigungsindustrie gelöst. Ich denke, wenn es keine Konzentration der gesamtstaatlichen Ressourcen gegeben hätte, hätte die Sowjetunion sich nicht auf den Krieg mit dem nazistischen Deutschland vorbereiten können“, sagte Putin.

Gute Idee …

Positiv habe der Präsident sich auch über sein persönliches Leben in der Sowjetunion geäußert. „Wie Millionen sowjetischer Bürger, mehr als 20 Millionen, war auch ich Mitglied der Kommunistischen Partei der UdSSR. Und ich war nicht nur Mitglied der Kommunistischen Partei, sondern arbeitete fast 20 Jahre in der Organisation, die Komitee für die staatliche Sicherheit der UdSSR hieß. Und diese Organisation ist die Erbin der Tscheka, wie das bewaffnete Organ der Partei genannt wurde … Im Unterschied zu vielen Funktionären habe ich das Parteibuch nicht weggeworfen, es nicht verbrannt.“

Offen habe Putin erklärt, auch heute noch an linken Ansichten festzuhalten. „Bis heute gefallen mir kommunistische und sozialistische Ideen. (…) Die Ideen sind gut: Gleichheit, Brüderlichkeit, Glück.“

… überhaupt nicht umgesetzt

Glaubwürdig sind diese Bekundungen des russischen Präsidenten nicht. Trägt er mit seinen fast unbegrenzten Vollmachten doch die Hauptverantwortung für die schreiende soziale Ungerechtigkeit in seinem Land. So werden die Lasten der gegenwärtigen Krise in voller Härte den Arbeitern und Angestellten, den Arbeitslosen, den Rentnerinnen und Rentnern, den Bauern und kleinen Gewerbetreibenden aufgebürdet. Ein immer größerer Teil von ihnen wird an oder unter die Armutsgrenze gedrückt. Zugleich bleiben die Oligarchen und andere Superreiche ungeschoren und der Kapitalflucht ins Ausland werden keine Schranken gesetzt.

Eher abzunehmen ist Putin ein anderer Aspekt für seine positiven Bemerkungen zur Sowjetzeit, die Iwanow so formuliert: Es handele sich um einen Aufruf, „die Führungskräfte früherer Zeiten nicht zu brandmarken und nicht zu vergöttern, sondern als untrennbaren Teil der einheitlichen Geschichte unseres Vaterlands zu betrachten.“

Linke Wähler werben

Andere russische Publizisten und Politologen heben zusätzliche Gesichtspunkte als Gründe für die positiven Aussagen Putins zur Sowjetzeit hervor. So stellt der wissenschaftliche Mitarbeiter des Instituts für Philosophie der Russischen Akademie der Wissenschaften, Wladimir Schewtschenko, fest: „2012 siegte Wladimir Putin bei den Wahlen dank der linken Wählerschaft. Für ihn stimmten die Industriestädte. Nach soziologischen Forschungen werden in diesen Städten sozialistische Werte geachtet. Der Aufruf Putins ist eindeutig: Er soll die Wählerschaft auf die nächsten Wahlen vorbereiten. Seine Worte auf dem Forum der GRVF sind ein Appell an die linke Wählerschaft.“

Und Prof. Sergej Tschernjachowski vom Lehrstuhl Geschichte und Theorie der Politik der Staatlichen Universität Moskau bemerkt: „Gegenwärtig ist seine Stütze die sogenannte „Krim-Koalition“. Zweifellos hat die Mehrheit der dazu gehörenden Menschen eine sowjetische Mentalität, die auf die sowjetischen Werte orientiert ist. Nach den Fakten aller soziologischen Umfragen ist der weitaus größte Teil der Gesellschaft für das sowjetische Staatsmodell, ein großer Teil der Gesellschaft tritt für die staatliche Planung ein. Etwa zwei Drittel werten die Rolle Lenins in der Geschichte positiv, mehr als die Hälfte sieht die Rolle Stalins positiv. Und diese Menschen sind der Grundstock jener Koalition, die Putin im Kampf um die nationale Souveränität Russlands und im Kampf um soziale Gerechtigkeit unterstützt.“

Stützpfeiler

Resümierend betont Tschernjachowski: „Heute sind die sowjetische Mentalität und das Ansehen Lenins Verbündete Putins. Ein Widerspruch besteht darin, dass diese Tatsache nicht vollständig begriffen und anerkannt ist. Der Stützpfeiler im Kampf um die nationale Souveränität, das ist die sowjetische Mentalität.“

Unter diesen Gesichtspunkten kann man die Ausfälle Putins gegen Lenin durchaus als ein Spiel mit dem Feuer bezeichnen. Das kann umso problematischer für ihn sein, als neben dem Kampf um die nationale Souveränität Russlands auf dem Hintergrund der Wirtschaftskrise mit ihren wachsenden Belastungen für die einfachen Menschen die Frage der sozialen Gerechtigkeit eine zunehmende Rolle spielt. Und da sieht es mit den Zustimmungsraten zur Wirtschafts- und Sozialpolitik Putins offenbar deutlich anders aus als auf dem erstgenannten Feld.

So stellte der Direktor des Instituts für Probleme der Globalisierung, Michail Dejagin, in einem am 21. Januar in der „Swobodnaja Pressa“ erschienenen Beitrag Zahlen einer von ihm vorgenommenen Umfrage im russischen Netz vor. Danach unterstützten fast 90 Prozent der Menschen in der Russischen Föderation die Außenpolitik ihres Präsidenten. Zugleich lehnten fast 80 Prozent der Befragten seine Personalpolitik und die von ihm öffentlich gebilligte sozial-ökonomische Politik ab. Natürlich ist eine solche Befragung nicht repräsentativ, dennoch sollten die Ergebnisse beim russischen Präsidenten und seinem Umfeld eigentlich die Alarmglocken läuten lassen. Die prowestliche Opposition in Russland und ihre ausländischen Förderer werden daraus sicher Schlüsse ziehen.

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"Putin und sein Parteibuch", UZ vom 5. Februar 2016



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