Wahl in Hamburg? Die CDU am Ende knapp 2 Prozent vor der Linkspartei? Fast spielte das bei den Christdemokraten am Wochenende keine Rolle. Thüringen, der dortige Landesverband und sein „Stabilitätspakt“ mit Bodo Ramelow und dessen Linkspartei überlagerten alles. So schilderte es jedenfalls die FAZ am Montag. Die Ankündigung am vergangenen Freitag aus Erfurt, Ramelow werde am 4. März mit Stimmen aus der CDU-Fraktion im Landtag wieder zum Ministerpräsidenten gewählt, brachte die mühsam unter dem Deckel gehaltene Krise in der Gesamtpartei zum Ausbruch. Montagmittag stand fest, dass Annegret Kramp-Karrenbauer schneller als geplant den Parteivorsitz los wird und ein Sonderparteitag am 25. April ihren Nachfolger bestimmen soll. Innerhalb weniger Stunden war aus der Partei, die bisher im Vergleich zur SPD der Stabilitätsanker in der Merkel-Koalition zu sein schien, ein zerstrittener Haufen geworden, in dem sich seit Dienstag noch drei mögliche Bewerber für den Parteivorsitz und die Kanzlerschaft einen Kampf bis aufs Messer liefern werden.
Stabilität des parlamentarischen Systems sieht anders aus. Die Situation ist auch für CDU-Gegner unerfreulich: Die Krise der Parteien kann sich jederzeit bis in die Regierungstätigkeit fressen, das heißt vorgezogene Neuwahlen und einen Kanzler herbeiführen, der anders an die Krisenhäufung herangeht als Angela Merkel. Klar ist: Die AfD kann davon profitieren. Das Verhältnis der CDU zu ihr wird unausgesprochen oder offiziell das Thema der kommenden Wahlkämpfe – für die regulären Landtagswahlen im Jahr 2021 in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern steht das fest. Weil SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil das am Wochenende thematisiert hatte, warf ihm Kramp-Karrenbauer eine „Schmutzkampagne“ vor und forderte ihn auf, sich für oder gegen die Koalition zu entscheiden. Klingbeil keilte zurück.
Der Reihe nach. Selten war in der FAZ, immer noch eine Art Zentralorgan der beiden Unionsparteien, eine derart drastische Schilderung aus dem Inneren der CDU über das zu lesen, was sich nach dem „Stabilitätspakt“ von Erfurt zutrug: „Am Samstag herrschte in der CDU-Führung in Berlin – aber auch in den Landesverbänden der Partei – die pure Wut. Sofort war klar, dass die Berliner Führung dazu niemals ja sagen wird. In einer Schaltkonferenz von Generalsekretären und Geschäftsführern der CDU-Landesverbände mit dem Adenauer-Haus kam es zu ungewöhnlich deutlichen Ansagen in Richtung der Parteifreunde in Erfurt: Solche Überlegungen seien zu unterlassen, es gebe schließlich einen Parteitagsbeschluss, der das ausschließt.“
Und weiter: „Die Thüringer CDU wurde überrascht von der Heftigkeit des Widerstands, der sich am Samstagvormittag in telefonischen Schaltkonferenzen auch durch Brüllen sowie die Forderung insbesondere westdeutscher Landesverbände an Paul Ziemiak, ‚unbedingt draufzuhauen’, Bahn gebrochen haben soll.“
Nach den Schreianfällen hätten dann die Thüringer verkündet, Ramelow „nicht aktiv“ mitwählen zu wollen, woraufhin dieser der FAZ gesagt habe: „Wir haben nie über eine aktive Unterstützung durch die CDU gesprochen.“ Er sei „völlig zuversichtlich“. Die Ankündigung Mike Mohrings über „Bild am Sonntag“, Anfang März neben dem Fraktions- auch den Landesvorsitz aufgeben zu wollen, hatte am Montag schon ihren Nachrichtenwert verloren. Jetzt ging es um die Gesamtpartei.
Vorläufiges Fazit: Die Strategie der Höcke-AfD, die anderen Parteien und das parlamentarische System insgesamt vorzuführen, geht auf. Die Krise hat Berlin erreicht, ob Ramelow am 4. März gewählt wird oder nicht, wird zur Fußnote. Der nun beginnende Machtkampf in der CDU wird sich vor allem um die Frage drehen, in welchem Maß die Partei mit der AfD kungelt. Thüringen war ein Katalysator.