Die Opel-Kollegen können sich nicht auf eine besinnliche Vorweihnachtszeit freuen. Seit zwei Monaten wird in Rüsselsheim mit dem Entwicklungsdienstleister Segula Technologies über Details zum Verkauf von Teilen des Entwicklungszentrums verhandelt. Mehr als 2 000 Kolleginnen und Kollegen aus allen Bereichen der Fahrzeug- und Antriebsstrangentwicklung sollen davon betroffen sein. Das Ziel, das das französische Familienunternehmen Segula damit verbindet, ist der Aufbau von Kompetenzen zur Entwicklung ganzer Fahrzeuge in einem in Rüsselsheim lokalisierten Technologiepark. Damit stünde dieses neue Unternehmen in direkter Konkurrenz zum Opel-Entwicklungszentrum – mit deutlich niedrigerer Gehaltsstruktur. Ein Verkauf hätte somit Auswirkungen auf die ganze Opel-Belegschaft.
Das Management lässt keine Zweifel daran aufkommen, dass sie diesen Deal durchziehen wollen – und das so schnell wie möglich. Seit Bekanntgabe der konkreten Verkaufspläne beschränkt sich ihre Kommunikation darauf zu erklären, dass ihr Vorgehen alternativlos sei. Dabei ist völlig unklar, wie der Verkauf umgesetzt werden soll. Belastbare Zahlen und Informationen über ein mögliches Wirtschaftskonzept werden nicht vorgelegt. Und Segula ist mehr als dubios: Der eng mit PSA verzahnte Entwicklungsdienstleister ist in Deutschland als nicht-sozialplanpflichtige GmbH angemeldet. Wenn sich keine substanzielle Gegenwehr bildet, könnte Segula als billige Auffanggesellschaft dienen, um die aus PSA-Sicht überteuerten und schwer kündbaren Ingenieure aus Rüsselsheim loszuwerden. Ähnlich wurde bei PSA auch in Frankreich vorgegangen: Nach der Auslagerung von Entwicklungsarbeiten an Segula und Altran wurden die dort beschäftigten Kollegen schnell mit Änderungskündigungen oder direkten Entlassungen entsorgt. Für die Opelaner geht es also an die Substanz.
PSA gibt den scharfen Ton der Auseinandersetzung vor: Sie pfeifen auf Mitbestimmung und die sogenannten Sozialpartner und nehmen nicht mal mehr den Versuch vor, die Beschäftigten von ihren Plänen zu überzeugen. Stattdessen wird auf Einschüchterung und die blanke Macht des Stärkeren gesetzt. Als Zeichen, wie sich der Wind für die Mitbestimmungsstrukturen gedreht hat: beim GBR-Vorsitzenden wird der rechtzeitige Eingang von Krankmeldungen überprüft, um einen Abmahn- und Kündigungsgrund zu finden und Anwälte des Managements prüfen jede Entscheidung des BR auf formale Fehler. Sie betreiben Union-Busting wie aus dem Lehrbuch.
In dieser Situation entwickelt sich nun endlich Widerstand. So lange das Opel-Management keine störende Unruhe befürchten muss werden sie ihr Verkaufsprogramm durchziehen. Mit gewerkschaftlich organisierter Unruhe könnte Segula allerdings den Appetit an den Opel-Ingenieuren verlieren. Deshalb war Vorstandschef Lohscheller auch alles andere als erfreut, als er an den etwa 500 Kollegen aus dem Entwicklungszentrum vorbeimusste, die in einem Demonstrationszug unter dem Motto „Keine Zerschlagung von Opel“ zur Betriebsversammlung marschiert waren. Auch das gellende Pfeifkonzert gegen die Personalchefin Anke Felder wird das Management wenig gefreut haben. Es war ein kräftiges Zeichen, dass die Opelaner keinerlei Lust haben, an einen Dienstleister verkauft zu werden.
Eine Vollversammlung der IGM bei Opel in Rüsselsheim hat eine Resolution gegen den Verkauf beschlossen und damit ein erstes öffentliches Lebenszeichen gegeben. Darin heißt es: „Angesichts der vor uns liegenden Herausforderungen und Bedrohungen ist es nun umso wichtiger zusammen zu stehen, zusammen zu halten und sich in der IG Metall zusammen zu schließen. Den Behauptungen des Managements müssen wir entgegensetzen: Ein Verkauf ist nicht alternativlos, Arbeit gibt es innerhalb und außerhalb des Konzerns genug und Opel ohne ein vollständiges Entwicklungszentrum kann nicht erfolgreich sein.“
Mit Flugblättern, Aktionen und Versammlungen versuchen aktive Vertrauensleute nun die eigenen Reihen zu schließen und die Friedhofsruhe zu stören. Denn der Gegner ist stark und nur mit ge- und entschlossener Gegenwehr wird es möglich sein, PSA auch nur irgendetwas abzutrotzen. Das ist eine neue Lektion für viele Kollegen, denen IGM-Apparat und Betriebsrat bisher in schöner Stellvertretermanier die „Rundum-Sorglos-und-Stillhalte-Pakete“ serviert haben. Jetzt müssen die Kollegen lernen, sich selbst zu bewegen und dabei die gewerkschaftlichen Strukturen entwickeln, die sie brauchen, um kämpfen zu können.
Um den Niedergang nicht nur zu verwalten, sondern echten Widerstand zu entwickeln, muss nämlich gleichzeitig die zweite Front der Auseinandersetzung eröffnet werden: der Kampf für eine (klassen-)kämpferische Gewerkschaft.