In Thailand halten die Demonstrationen an

Prunk, Protest und Pandemie

„Nieder mit dem Feudalismus“ – im Nieselregen von Bangkok hallt die Parole wie ein Weckruf über den Campus der liberal aufbegehrenden Thammasat-Universität im Herzen des buddhistischen Königreiches. Dem Ruf folgten am 20. September je nach Darstellung zwischen zwanzig- und vierzigtausend Menschen. Die politischen Aktionen dauern an – mittlerweile ist ein Großteil des 70 Millionen Einwohner umfassenden Landes, auch die klerikal-konservativen ländlichen Teile, von den Protesten erfasst. Es kommt tagtäglich zu kreativen Formen des Widerstandes, im Netz, der Schule und Universität oder auf der Straße – die Polizei reagierte bisher auffallend passiv.

An besagtem Tag hatte die Opposition, dominiert durch studentische Aktivisten rund um die Gruppe „Free Youth“, zu einem Protestzug hin zum verwaisten königlichen Areal aufgerufen. Die Demonstration wurde kurz vor dem Eintreffen am Palast durch Sicherheitskräfte gestoppt. Mit jugendlichem Mut übergab die von westlichen Medien zum Gesicht der Proteste stilisierte Soziologiestudentin und Aktivistin Panusaya Sithijirawattanakul, Einpeitscherin der „United Front of Thammasat“-Gruppe sowie der Spross einer liberalen Mittelstandsfamilie, einen Brief mit zehn Forderungen an einen Vertreter des thailändischen Königshauses. In einem Land, in dem Majestätsbeleidigung eine schwere, mit bis zu 15 Jahren Haft zu ahndende Straftat darstellt, ein undenkbarer Tabubruch – der Inhalt besitzt Sprengkraft.

Es sind weitreichende Reformvorstellungen hinsichtlich der opulenten Monarchie skizziert worden: Einschränkung der politischen Macht, demokratische Reformen, die Abschaffung der drakonischen Strafmaße sowie die Kontrolle der königlichen Finanzen. Die Thailänderinnen und Thailänder haben den wohlhabendsten Monarchen der Welt, sein Vermögen wird auf 40 Milliarden Dollar geschätzt, per Gesetz brachte er Dutzende Milliarden aus der königlich-staatlichen Vermögensverwaltung in seinen Privatbesitz.

Während der 68-jährige in seiner Amtszeit zwei Militärregierungen goutierte, lebt das Gros im Elend. Die thailändische Wirtschaft ist ein Schatten ihrer selbst – der Tourismus in Folge der Pandemie zum Erliegen gekommen, das infrastrukturelle Drehkreuz Bangkok (südostasiatische Nummer 2 nach Singapur) einem Provinzflughafen gleich und die zuliefernde Produktion im Textil- oder Elektroniksektor zwischenzeitlich eingebrochen. Unterdessen wurde bekannt, dass Rama X. rund 38 Flugzeuge und Hubschrauber besitzt – deren Unterhalt kostet Millionen.

Die Proteste, wie in den deutschen Monopolmedien geschehen, als Aufschrei der Jugend gegen einen prassenden Monarchen zu inszenieren, greift jedoch zu kurz. Im Blickfeld der Demonstranten stehen neben den kapitalistischen Verwerfungen im verarmten „Tigerstaat“ auch die Militärjunta unter Prayuth Chan-ocha. Der ehemalige General versuchte zu Beginn die Proteste staatsmännisch auszusitzen, tauschte Uniform gegen Anzug, um in ungewohnt defensiver Manier zu beschwichtigen. Zunächst wolle man das Virus überstehen, um zu einem späteren Zeitpunkt über Politik sprechen zu können, ließ sich der Putschist zitieren. Das Parlament fror den Kauf von U-Booten sowie den 28-Milliarden-Dollar Deal zum Bau eines Kanals ein.

Diese Taktik ist leicht durchschaubar und verfängt in der Protestbewegung nicht, getroffen aber haben insgesamt 15 Verhaftungen bekannter junger Demokratieaktivisten (zuletzt traf es den 22-jährigen Studenten Parit Chiwarak, charismatisch-korpulenter Vorsitzender der Studierendenunion der Thamassat-Universität). Staatlich organisierte Gewalt hat in Thailand eine traditionsreiche Geschichte – schon 1973 (Massenaufstand), 1976 (Massaker Thammasat Universität) oder 1992 („Schwarzer Mai“) wurden Proteste mitunter tödlich unterdrückt. Zwei Faktoren geben Kampfeszuversicht: Zum einen sind die antiroyalistischen Anhänger des ehemaligen Premierministers Thaksin zu den Demonstrationen gestoßen, zum anderen gibt es eine anlaufende internationale Solidarität.

Die Bundesregierung hält sich bewusst bedeckt – Thailand liegt im zentralen geopolitischen Interesse und ist ein wertvoller Absatzmarkt. Die Maskerade dürfte fallen, denn alleine im letzten Jahr exportierten deutsche Konzerne Waren im Wert von mehr als 5 Milliarden Euro nach Thailand, das damit auf Platz 10 liegt – nach Angaben des Auswärtigen Amtes sind rund 600 deutsche Unternehmer vor Ort aktiv (primär: Elektrotechnik, Elektronik, Nahrungsmittel und Textilien). Zusammenfassend: die Stimmung ist explosiv, die Wirtschaft am Boden, die Politik unfähig, der Monarch im Ausland – die Lage schreit nach Veränderung.

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"Prunk, Protest und Pandemie", UZ vom 2. Oktober 2020



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