Anfang April feierte der „Club of Rome“ seinen 50. Geburtstag. Heute hat er lange nicht mehr solch einen großen Einfluss auf die öffentliche Debatte wie noch in den 70er und 80er Jahren.
Als vor 46 Jahren der erste Bericht des „Club of Rome“ „Die Grenzen des Wachstums“, finanziert von der Volkswagenstiftung, erschien, lauteten die Schlagzeilen der Presse in den kapitalistischen Metropolen „Computer berechnet Zukunft und gerät ins Zittern“, oder „Studie erkennt Katastrophe um 2100“ bzw. „Wissenschaftler warnen vor Welt-Katastrophe“.
Der Bericht sorgte für großes Aufsehen, fand Zustimmung, wurde aber auch sehr kritisch zur Kenntnis genommen, die Thesen der Wissenschaftler zu den aktuellen Problemen und der weiteren Entwicklung der Menschheit wurden angezweifelt. Auf die Protagonisten wurde zudem – wie auch später – Druck ausgeübt bestimmte Thesen zurückzunehmen. Und es gab entschiedene Gegner. Henry C. Wallich von der University of Yale bezeichnete am 13. März 1972 in einem Leitartikel in „Newsweek“ „Die Grenzen des Wachstums“ gar als „irresponsible nonsense“ (unverantwortlichen Unfug). Dem ersten Bericht folgten bis heute über 40 weitere – und viele Berichte anderer nationaler wie internationaler Gremien.
Was hatten die Autoren getan? Der Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ schien das bislang fest gefügte bürgerliche Weltbild zu erschüttern. Im Vorwort der deutschen Ausgabe betonte Eduard Pestel den Zweck der Publikation: Der „Club of Rome“ wolle durch die Veröffentlichung die politischen Entscheidungsträger in aller Welt zur Reflexion, d. h. zum Nachdenken, über die globale Problematik der Menschheit drängen: Es galt, möglichst viele Menschen wachzurütteln. (Dennis Meadows, „Die Grenzen des Wachstums. Bericht des „Club of Rome“ zur Lage der Menschheit“, Stuttgart 1972, S. 16/17)
Zur Geschichte
In den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wuchs bei einer Reihe von bürgerlichen Wissenschaftlern, Politikern und Unternehmern der Zweifel. Trotz der Wachstumsphase der Nachkriegsjahre und der sich seit den 50er Jahren vollziehenden wissenschaftlich-technischen Revolution entstanden auch in den entwickelten kapitalistischen Industrieländern neue soziale „Ungleichgewichte“ – während andere Regionen der Welt regelrecht „abgehängt“ wurden oder blieben. Ökologische Probleme wurden unübersehbar. Die Erschöpfung wichtiger Rohstoffressourcen war absehbar. All das ein Ergebnis menschlichen Tuns.
In Teilen des bürgerlichen Wissenschaftsbetriebs, auch bei einigen Unternehmern und Politikern, wuchs die Einsicht, dass man diese Probleme nicht mehr einzeln betrachten und „einzeln“, d. h. in einzelnen Ländern oder Regionen, lösen könne. Stattdessen müsse man die Komplexität und Wechselwirkung verschiedener natürlicher und gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse berücksichtigen, um politische und wirtschaftliche Entscheidungen ableiten zu können, die den konstatierten Entwicklungen weltweit „gegensteuern“ oder zur Lösung dieser Probleme beitragen.
Der „Club of Rome“ war nach einigen erfolglosen Anläufen im April 1968 in Rom gegründet worden. Heute verbirgt sich hinter der Bezeichnung ein Netzwerk formal unabhängiger, durch gemeinsame Ideen verbundener Organisationen und Institute.
Treibende Kraft bei der Gründung des „Club of Rome“ war 1968 der italienische Industrielle Aurelio Peccei (1908 – 1984). In den 60ern war er Mitglied der Firmenleitungen von Fiat und Olivetti, Präsident der Unternehmensberatung Italconsult. Mitte der 1960er bereiste er u. a. häufig die Sowjetunion, um dort im Auftrag des italienischen Autokonzerns Fiat eine Fabrik zu errichten.
Ende der 60er Jahre versuchte Peccei gemeinsam mit dem Schotten Alexander King, Direktor für Wissenschaft, Technologie und Erziehung bei der Pariser Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), in den entwickelten kapitalistischen Staaten Fachleute und Politiker zu gewinnen, um die Ursachen für die damals immer deutlicher werdenden „globalen Probleme“ der Menschheit aufzudecken und Lösungen dafür zu suchen. Und gewiss gab es dabei dann ab Anfang der 70er Jahre auch zunehmend Druck durch die Entstehung einer Umweltbewegung in den entwickelten kapitalistischen Industriestaaten.
Die Dramatik der Entwicklung wollten die damaligen Akteure mittels exakter Untersuchungen deutlich machen: Das bedeutete, neue Ergebnisse der Systemforschung – vor allem im Hinblick auf die dynamische Entwicklung von Systemen – zu nutzen und vielschichtige Berechnungen mit Hilfe von Computermodellen durchzuführen. Untersucht wurden komplexe, miteinander wechselwirkende Systeme: „Natur- oder Ökosystem“ und die Beziehungen von Mensch, Gesellschaft, Kultur,Technologie wurden in ihrer Wechselwirkung betrachtet. Bei der Auseinandersetzung mit einzelnen der weltweit stehenden Herausforderungen galt es den Zusammenhang mit anderen zu beachten.
Die Grenzen des Wachstums
Im ersten Bericht des „Club of Rome“ diente das benutzte Weltmodell – mit noch viel zu wenigen Faktoren und Gleichungen – der Untersuchung der Industrialisierung, des Bevölkerungswachstums, der Unterernährung, der Ausbeutung von Rohstoffreserven und der Zerstörung von Lebensraum. Verschiedene Szenarien wurden berechnet. Die Autoren kamen zu den folgenden Schlussfolgerungen:
- Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht (…)
- Es erscheint möglich, die Wachstumstendenzen zu ändern und einen ökologischen und wirtschaftlichen Gleichgewichtszustand herbeizuführen (…). Es könnte so erreicht werden, dass die materiellen Lebensgrundlagen für jeden Menschen auf der Erde sichergestellt sind und noch immer Spielraum bleibt, individuelle menschliche Fähigkeiten zu nutzen und persönliche Ziele zu erreichen.
- Je eher die Menschheit sich entschließt, diesen Gleichgewichtszustand herzustellen, und je rascher sie damit beginnt, umso größer sind die Chancen, dass sie ihn auch erreicht.“
Der Mehrheit der damaligen Akteure ging es dabei bei ihrer Kritik nicht etwa um die Überwindung des Kapitalismus. Den Schlüssel zur Rettung der Menschheit sahen sie letztlich nur in einer nötigen „neuen Geisteshaltung“. Aber: Weltweite Maßnahmen und internationale Zusammenarbeit seien zur Lösung der Probleme unbedingt nötig.
Es folgte heftige Kritik. Wissenschaftlich war diese durchaus berechtigt, z. B. insofern es Zweifel an der verwendeten Datenbasis, die Kritik am betrachteten Zeithorizont und an den verwendeten Methoden betraf. Bis heute wird den Protagonisten sogar vorgeworfen, Malthus‘ Thesen im Zusammenhang mit der Bevölkerungsentwicklung anzuhängen. Auch die Rechentechnik hatte damals lange nicht den Stand, solch umfassende Modelle zu berechnen.
1974 wurde der zweite Bericht vorgelegt (M. Mesarovic/E. Pestei, „Menschheit am Wendepunkt“, Stuttgart 1974). In ihm wurde versucht die globale Betrachtung des ersten Berichts zu differenzieren. „Nullwachstum“ wurde nicht mehr gefordert, sondern stattdessen „ein planvolles und kontrolliertes Wachstum“.
Das Verhältnis von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen, die Klassen, Klasseninteressen und Klassenwidersprüche, die ökonomischen und politischen Machtverhältnisse u. a. blieben – wie im ersten Bericht und in den folgenden – außer Betracht oder wurden nur erwähnt, aber nicht weiter analysiert. Damit wurden in den Berichten lediglich Erscheinungen beschrieben, aber keine tatsächlichen Erklärungen der gesellschaftlichen Ursachen der vor sich gehenden Entwicklungen gegeben. (Vgl. H. Hörz, Mensch contra Materie? Berlin 1976, siehe. hierzu auch die kritische Analyse von Peter Will „Globale Revolution“ zum Berichts des „Club of Rome“ von 1992 in den Marxistischen Blättern, Nr. 3/1993)
Doch in der Einleitung zu diesem zweiten Bericht wurde immerhin festgestellt, dass eine „Reihe brennender politischer Probleme, die sich in der militärischen und ideologischen Polarisierung zwischen den großen Weltmächten manifestieren“, im Text nicht erwähnt werden. „Es wäre jedoch falsch“, so die Verfasser, „daraus zu schließen, dass wir den Ernst einer solchen Gefahr für die menschliche Gemeinschaft unterschätzen. In der Tat, es gibt offenbar keinen kürzeren Weg zur Vernichtung der Menschheit als einen Atomkrieg zwischen den beiden Supermächten und ihren militärischen Blöcken. Aber selbst unter Ausschluss dieser Möglichkeit – man möchte nicht glauben, die Menschheit könnte so wahnsinnig sein, zielbewusst sich selbst auszulöschen – sind wir überzeugt, dass die fortwährende Eskalation der Rüstung ständig die Stabilität des Friedens herabsetzt, und dies im angeblichen Bemühen, das Gleichgewicht der Menschheit zu erhalten.“
Ausdruck imperialistischer Menschenverachtung?
Die Mehrheit der Linken, auch Marxisten, reagierte auf die ersten Berichte ablehnend. Die Aussagen wurden in Westeuropa und in den europäischen sozialistischen Staaten dabei als falsch verstandener, blinder Humanismus oder als bürgerliche Apologetik, soziale Demagogie, Beschwörung des Untergangs oder als reaktionäre Untergangsphilosophie der Bourgeoisie bezeichnet. Die „Grenzen des Wachstums“ galten zudem als Zeichen für eine sich ständig verschärfende Krise des Kapitalismus. Die Überlegenheit des Sozialismus bei der Beherrschung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts im Interesse der Menschheit wurde betont. Mahnungen aus den eigenen Reihen, die Ansätze ernst zu nehmen, wurden anfangs negiert.
Der bekannte Wirtschaftshistoriker Jürgen Kuczynski behauptete sehr optimistisch, alle Probleme, die die Autoren als fundamentale Weltprobleme aufgerollt hätten, seien in den „sozialistischen Ländern heute entweder überhaupt keine Probleme oder solche, die im Laufe der Zeit gelöst werden.“ (Vgl. J. Kuczynski, Das Gleichgewicht der Null, Zur Kritik der bürgerlichen Ideologie, Band 31, Berlin 1973). In ihrer Broschüre: „Qualität des Lebens – Ausweg oder Irreführung?“ fällten Hermann Grosse und Alfred Puschmann gar das Urteil, die Studie sei „nicht nur unwissenschaftlich, sondern zugleich Ausdruck imperialistischer Menschenverachtung“ (Berlin 1974).
Doch in Engels‘ Schrift „Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen“ heißt es: „Gegenüber der Natur wie der Gesellschaft kommt bei der heutigen Produktionsweise nur der erste, handgreiflichste Erfolg in Betracht; und dann wundert man sich noch, dass die entferntesten Nachwirkungen der hierauf gerichteten Handlungen ganz andre, meist ganz entgegengesetzte sind.“
Direkte und – zeitlich wie räumlich – entfernte „ungewollte“ bzw. entgegengesetzte „Nachwirkungen“ gibt es bei jedem menschlichen Tun. Nur langsam setzte sich unter Marxistinnen und Marxisten in den kapitalistischen Industrieländern – so auch in der DKP – wie in den sozialistischen Staaten die Erkenntnis durch, dass in den Berichten des „Club of Rome“ – wenn auch einseitig und wichtige gesellschaftliche Grundfragen sowie Widersprüche umgehend – durchaus Probleme benannt wurden, die nicht nur die kapitalistische Welt betrafen, sondern auch Entwicklungen im Sozialismus bzw. auf der ganzen Erde. Das musste berücksichtigt werden, aber ohne den Grundwiderspruch der kapitalistischen Gesellschaft und den zwischen den Gesellschaftssystemen auszublenden – wie es später unter dem Zeichen von „Perestroika“ und „Glasnost“ geschah –, für die Lösung aktueller Probleme, für Strategien der Gesellschaftsgestaltung und -veränderungen, für die Zukunftsplanung. In eigenen Untersuchungen und auch in internationaler Kooperation wurden Ergebnisse des „Club of Rome“ bestätigt oder korrigiert, neue gewonnen.
Aber auch der bürgerlich-humanistische Anspruch nicht weniger Autoren der Berichte des „Club of Rome“ forderte Respekt und Beachtung.
Hilflose Appelle
Übrigens: Als 2012, 40 Jahre nach „Die Grenzen des Wachstums“ ein Bericht mit dem Titel „2052: Eine globale Prognose für die nächsten vierzig Jahre“ veröffentlicht wurde, wurden die Ergebnisse wieder angezweifelt. Die „FAZ“ titelte am 10. Mai 2012 „Die Propheten des Untergangs“. Unterstellt wurde im Artikel von Philip Plickert: „Die Untergangspropheten im ‚Club of Rome’ misstrauen dem Markt (…) Sie wünschen planwirtschaftliche Vorgaben, vor allem in der Energie- und Klimapolitik.“ Zuvor hatte Plickert den Bericht ganz im Sinne des neoliberalen Mainstreams als unseriös abqualifiziert.
Andere machten aber darauf aufmerksam, dass sich viele der 40 Jahre zuvor noch mit Misstrauen und Spott bedachten Warnungen des „Club of Rome“ als berechtigt erwiesen hatten. Die Autoren des neuen Berichtes seien – wie die früherer Berichte – keine Endzeit- oder Untergangspropheten. Viele ihrer Warnungen wären begründet, wissenschaftlich belegt, auch wenn manche Fachkritik sich als richtig und eine Reihe Voraussagen sich als fehlerhaft herausstellt hätten.
Aber welche grundlegenden Lösungen haben die Spezialisten des „Club of Rome“ anzubieten? Bis heute nur hilflose Appelle an die Vernunft oder Forderungen nach einem „tiefgreifenden Wandel der Gesellschaft“ und zur „Umstrukturierung des industriellen Systems“ (vgl. „Der geplünderte Planet – Die Zukunft des Menschen im Zeitalter schwindender Ressourcen“, München 2013), aber keine Lösungsvorschläge, die über das System hinausweisen und auf eine wirkliche gesellschaftliche Alternative als Voraussetzung für weltweite Solidarität und gemeinsames Handeln verweisen, auch wenn die Protagonisten, nicht nur einmal, mit dazu beigetragen haben, die Folgen rücksichtsloser Ausbeutung und von Profitgier aufzuzeigen.