Betr.: Auseinandersetzung über Sexarbeit, UZ vom 21.8.2015 bzw. „Verbot der Prostitution…“, UZ vom 28.8.2015,

Proletarische Sexualpolitik

Von Tim Engels, Düsseldorf

Ohne dem Frauenarbeitskreis, zumal als Teil des „hässlichen Geschlechts“ (Marx), zu nahe treten zu wollen, möchte ich dafür werben, nicht den (pseudo-)feministischen Forderungen à la Alice Schwarzer und Merkel anheim zu fallen, sondern im Gegenteil, wie es auch andere Linke (z. B. Ulla Jelpke) fordern, die Rekrimi­nalisierung der Prostitution als weitere Stigmatisierung der betroffenen – vor allen – Frauen abzulehnen. Ein Verbot ohne Kriminalisierung der Prostituierten wird nicht zu haben sein. Die Folge davon wäre, die betroffenen Menschen in der Illegalität weitaus größeren Gefahren im Hinblick auf Menschenhandel und Zwangsprostitution auszusetzen. Und dies, obwohl der Arbeitskreis selbst feststellt, dass es vornehmlich die sozioökonomischen Verhältnisse seien, die Menschen zur Prostitution zwängen. Schließlich dürfte ein Verbot auch die Sexualkriminalität im Übrigen begünstigen; Opfer wären wiederum vor allen Kinder und Frauen.

Statt die Prostituierten „in einen Opferdiskurs“ (C. Möhring) zu zwingen, sollten wir ohnehin unsere Politik nicht ohne die Betroffenenverbände entwickeln (beispielsweise Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen e. V.). Und ich meine, wir sollten die ganze Problematik um Patriarchat und Sexismus, was uns früher ja eher als kleinbürgerlich erschien, in der ganzen Partei in gehöriger Zeit diskutieren, bevor ein Parteitag dazu entscheidet.

Dass die Prostitution, erst recht nicht die illegale, im Sozialismus nicht einfach verschwindet, sondern in der Leistungsgesellschaft, sei es auch eine sozialistische, offenbar fortbesteht, dürfen wir heute als empirisch gesicherte Erkenntnis annehmen.

Auch bei diesem Komplex sollten wir der marxistischen Analyse und Dialektik den Vorzug vor bürgerlicher (Doppel-)Moral geben. Und wenn wir das Moralisieren hier lassen: was genau unterscheidet eigentlich Geschlechtsorgane beim Vernutzen in Ausbeutungsverhältnissen von anderen (inneren) Organen? (Intimität, die es nicht ist, wäre wiederum moralisch; offenbar kann man sich von ihr frei machen.) Das hat nichts damit zu tun, dass ich tatsächlich nicht bereit bin, „meinen Arsch hinzuhalten“, um die rhetorische Frage einer Genossin, die sie mir in dieser Auseinandersetzung stellen ließ, zu beantworten –, aber unter einer Staublunge möchte ich genauso wenig leiden.

Und wer meint eigentlich und warum, dass es in der von uns erstrebten Gesellschaft der Freien und Gleichen, in der auch die Sexualität von ihrer Warenförmigkeit befreit sein wird, keinen Tausch mehr mit sexuellen Handlungen gäbe? Was ist mit behinderten und kranken Menschen, die diese gerne in Anspruch nähmen?

Es wird künftig nicht um weniger gehen, als auch die Sexualität vom Kapitalismus zu befreien – allerdings „Hand in Hand mit dem Mann ihrer Klasse“ (Zetkin), was die proletarische Frauenbewegung seit je her vom Feminismus, der m. E. deshalb per se bürgerlich ist, unterschieden hat.

„Sexualität könnte dann vielleicht wieder zusammen mit Lebensfreude und Genuss gedacht werden.“ (Ulrike Heider, Vögeln ist schön, Rotbuch, Berlin 2014, zu beziehen über Neue Impulse Bestellservice, das ich hiermit dringend zur vertiefenden Lektüre empfehle.)

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"Proletarische Sexualpolitik", UZ vom 11. September 2015



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