Aufrüstung und Übergang zur Kriegswirtschaft – das scheint zumindest für bestimmte Kapitalfraktionen eine Option zur Bewältigung der aktuellen Krise zu sein. Wie sonst soll man die jüngsten Äußerungen aus dem Institut der deutschen Wirtschaft interpretieren? „Nur von Diskussionen über erhöhte Verteidigungsausgaben haben die Hersteller nicht viel. Jetzt müssen die Rüstungsausgaben schnell und deutlich erhöht werden. Die Industrie benötigt langfristige Perspektiven, die mit Bestellungen unterlegt sind“, so Klaus-Heiner Röhl. Er ist Rüstungsexperte am Institut der deutschen Wirtschaft und bezieht sich auf das neue, mehrere hundert Milliarden Euro schwere Aufrüstungsprogramm, das die Bundesregierung in spe ins Spiel gebracht hat.
Es sei mehr Tempo bei der Beschaffung notwendig, aber auch bei Strukturreformen zur Vergrößerung der Bundeswehr. Außerdem müssten die Kapazitäten ausgeweitet werden durch Einbeziehung bislang ziviler Industriebetriebe oder Neuerrichtung von Produktionsstätten, so Röhl in der vergangenen Woche. Denn Rüstung bestehe schon lange nicht mehr nur aus Panzern und Kampfjets. Eine vergrößerte Bundeswehr benötige auch mehr Lkw und leicht gepanzerte Geländefahrzeuge, die die Autoindustrie zügig liefern könnte. Insbesondere der Branchenführer Rheinmetall habe aufgrund vieler internationaler Zukäufe und eine unterausgelastete Automobilzuliefersparte beste Möglichkeiten, die Produktion noch weiter zu steigern, meint Röhl.
Auch der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie sieht großes Potenzial in der Autoindustrie. Aktuell böten freiwerdende Ressourcen in der Automobil- und Automobilzulieferindustrie in Deutschland besondere Chancen für einen schnellen Aufbau von Rüstungskapazitäten, insbesondere im Bereich größerer Serien, sagte deren Hauptgeschäftsführer Hans Christoph Atzpodien. „Anstatt einen volkswirtschaftlichen Schaden durch den Abschwung der Auto-Konjunktur zu beklagen, sollten wir versuchen, Produktionseinrichtungen und vor allem Fachkräfte aus dem Automobilsektor möglichst verträglich in den Defence-Bereich zu überführen“, wirbt Atzpodien bei den Gewerkschaften für die geplante Kriegswirtschaft.
Zudem zeige der Krieg in der Ukraine die wachsende Bedeutung von Drohnen, die auch von anderen Herstellern als denen von Kampf- und Schützenpanzern entwickelt werden und zum Teil auch von Start-ups angeboten werden könnten. Doch damit nicht genug: Wachstumspotenzial gebe es auch bei Unternehmen, die zu künstlicher Intelligenz und elektronischer Kriegsführung forschen. „Es gibt einige kleinere Unternehmen, wie zum Beispiel Helsing aus München, die im Bereich der Cybersicherheit und der elektronischen Kriegsführung auch immer stärker gefragt sind“, argumentierte kürzlich Aylin Matlé, die für die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik zu „Sicherheit und Verteidigung“ forscht.
Angesichts des beispiellosen Auftragsbooms prognostizierte Rheinmetall-Chef Armin Papperger jüngst in der „WirtschaftsWoche“ für sein Unternehmen „ein Potenzial zwischen 300 und 400 Milliarden Euro bis zum Jahr 2030“. Aber auch anderen deutsche Rüstungsfirmen wie dem Getriebefabrikant Renk, dem Lenkflugkörper-Hersteller Diehl oder der Panzerbauer KNDS winken stattliche Gewinne.
Damit solche Profite langfristig realisiert werden können, ist es mit Aufrüstung allein nicht getan. Um die Nachfrage nach Rüstungsgütern dauerhaft sicherzustellen, müssen diese auch in Kriegen verbraucht werden. Das hat auch der politische Überbau verstanden, doch nur wenige sprechen es so deutlich aus wie BND-Chef Bruno Kahl, der letzte Woche in einem Interview in der „Deutschen Welle“ erklärte, dass ein Kriegsende in der Ukraine vor dem Ende des laufenden Jahrzehnts nicht wünschenswert sei. Manche mögen schockiert sein über den unmissverständlichen Ruf aus dem Staatsapparat nach Fortsetzung des tausendfachen Mordens. Andere berufen sich schlicht auf das in „unserem“ Wirtschaftssystem garantierte Recht auf „unternehmerische Freiheit“.