Weltweit werden im Jahr etwa 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel vernichtet

Produziert für die Tonne

Von Bernd Müller

Die Landwirtschaft bringt immer mehr Lebensmittel hervor, aber ein immer größer werdender Teil findet nicht den Weg auf den Teller. Derzeit ist es – weltweit – gut ein Drittel, und dieser Anteil könnte noch beträchtlich steigen, wenn Schwellenländer wie China und Indien den westlichen Ernährungsstil übernähmen, stellt das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) in einer kürzlich veröffentlichten Studie fest. Damit wird indirekt eine Untersuchung des World Wide Fund For Nature (WWF) aus dem letzten Jahr bestätigt, die in Deutschland massive Verschwendung von Lebensmitteln nachweist.

Ein umsichtigerer Umgang mit Lebensmitteln könne zur Ernährungssicherheit beitragen. „Die Lebensmittelverschwendung zu verringern ist ein Beitrag zur Bekämpfung von Hunger, gleichzeitig vermindert dies durch die Minderung von Treibhausgasen aber auch Klimafolgen wie stärkere Wetterextreme oder Meeresspiegelanstieg“, sagte die Leitautorin der PIK-Studie, Ceren Hic. Global sei das Angebot an Nahrungsmitteln ausreichend, um den durchschnittlichen Bedarf zu decken, dennoch hätten einige Entwicklungsländer weiterhin mit Unterernährung und Hunger zu kämpfen. Das Problem sei die ungleiche Verteilung – und die Verschwendung. „Gleichzeitig ist die Landwirtschaft einer der größten Treiber des Klimawandels, mit einem Anteil von circa 20 Prozent der gesamten Emissionen im Jahr 2010“, erklärte Ko-Autor Prajal Pradhan.

Weltweit werden im Jahr etwa 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel vernichtet, sagte Jürgen Kropp, Ko-Autor und stellvertretender Leiter des PIK-Forschungsbereichs Klimawirkung und Vulnerabilität. Während Lebensmittelverluste überwiegend auf weniger effiziente landwirtschaftliche Infrastrukturen in Entwicklungsländern zurückgingen, ist die Lebensmittelverschwendung dagegen eher ein Thema in reichen Ländern.

Die Nahrungsmittelversorgung effizienter und klüger zu gestalten, ist auch für Deutschland eine Herausforderung. Die Angaben darüber, welche Mengen jedes Jahr verschwendet werden, schwanken. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen spricht von rund elf Millionen Tonnen Lebensmitteln im Wert von rund 25 Milliarden Euro. Das entspräche etwa 275 000 LKW-Ladungen, und würde man die LKW hintereinander aufstellen, ergäbe die Kolonne eine „Strecke von Düsseldorf nach Lissabon und zurück“. Nach Angaben des Sozialverbandes „Die Tafeln“ seien es rund 20 Millionen Tonnen genießbarer Lebensmittel, die jedes Jahr vernichtet würden.

Der WWF-Deutschland gibt die Menge in seiner Studie „Das große Wegschmeißen“ aus dem letzten Jahr mit 18 Millionen Tonnen an, was immerhin ein Drittel der gesamten Nahrungsmittelproduktion Deutschlands entspricht. Davon wären „bereits heute 10 Mio. vermeidbar“. Rechnete man diese vermeidbare Menge in die Fläche um, die notwendig wäre für deren Erzeugung, käme man auf „eine Fläche von über 2,6 Millionen Hektar mit Agrarrohstoffen angebaut, nur um diese nach der Ernte irgendwo entlang der Wertschöpfungskette zu entsorgen“.

Die Gründe für die Verschwendung hierzulande sind vielfältig. Der WWF hat gezeigt, dass rund 61 Prozent der Verluste irgendwo auf dem Weg vom Produzenten zum Großverbraucher entstehen, und „je näher am Verbraucher, desto höher sind die Verluste auf der jeweiligen Ebene und umso höher ist das Vermeidungspotenzial“.

Das beginnt damit, dass in der Landwirtschaft Salate untergepflügt werden, „weil sie in Form, Farbe oder Größe abweichen oder zu niedrige Preise erzielen“, wissen die Verbraucherzentralen und geben weitere Beispiele: Beim Hersteller würde „eine Überproduktion vernichtet, weil bei schlechtem Wetter weniger Grillwürste bestellt wurden“, der Handel „entsorgt Lebensmittel kurz vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums“ oder „Kantinen müssen Buffetreste aus hygienischen Gründen“ entsorgen.

Vermeidbar wären die meisten Verluste. Der WWF gibt an, dass im Groß- und Einzelhandel bis zu 90 Prozent und bei den Großverbrauchern bis zu 70 Prozent der Verluste nicht sein müssten.

Beim Endverbraucher landen die restlichen 39 Prozent oder fast sieben Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll, und dieser Anteil wäre ebenfalls zum allergrößten Teil vermeidbar. Allerdings sei hierzulande aus der Wertschätzung von Lebensmitteln „inzwischen eher eine Geringschätzung geworden“, schreibt der Bundesverband der Verbraucherzentralen. Seit 1950 seien die Lebensmittelausgaben immer weiter gesunken. Machten sie damals noch rund 50 Prozent des Haushaltseinkommens aus, so seien es heute nur noch 9,5 Prozent. Im Kampf um Marktanteile würden die Supermarktketten bewusst die Geiz-ist-Geil-Mentalität schüren, wodurch die Lebensmittel in ihrem Wert immer weiter herabgesetzt würden. Gleichzeitig stehen Burger oder Tiefkühlpizza hoch im Kurs. Hektik und Zeitmangel im täglichen Leben hätten dazu geführt, dass immer mehr Fast Food konsumiert wird.

Diese Art der Versorgung mache heute schon 30 Prozent der Ausgaben für Lebensmittel aus – mit steigender Tendenz. Das wiederum führe dazu, dass Kenntnisse und Kompetenzen in der Auswahl von Lebensmitteln, deren Lagerung und Zubereitung auf der Strecke bleiben.

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"Produziert für die Tonne", UZ vom 15. April 2016



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