Keine Lösung in Sicht für die Probleme der Weltwirtschaft. Der Internationale Währungsfonds (IWF), gegründet 1944 als ein Steuer- und Koordinierungsinstrument zwischen den kapitalistischen Staaten, lädt zwei Mal im Jahr zum Treffen seiner Aufsichtsorgane ein. Das Treffen im Frühjahr findet immer in Washington, dem Sitz der Behörde, statt. Geladen sind die Finanzminister und Notenbankgouverneure der Anteilseigner-Staaten. Sie beraten nicht nur über die Kredite, die der IWF an bedürftige Staaten aushändigt, sondern vor allem über die aktuellen Probleme der Weltwirtschaft.
Den Ton setzt die volkswirtschaftliche Abteilung des IWF selbst. Sie liefert eine Lagebeurteilung, die bei diesem Treffen am vergangenen Wochenende düsterer als gewöhnlich ausfiel. Das Wachstum der Weltwirtschaft nehme weiter ab, wird konstatiert. Das treffe aktuell besonders auf die so genannten großen Schwellenländer zu (die so heißen, weil sie angeblich an der Schwelle zum voll entwickelten Kapitalismus stehen), also vornehmlich China, Indien, Brasilien, Russland etc. Der IWF-Ausblick macht keinen Hehl daraus, dass die alten, etablierten kapitalistischen Länder schon seit der Finanzkrise 2007/08 langsamer wachsen als zuvor. Die Schwellenländer hätten sich zunächst diesem Trend entziehen können und ein paar Jahre lang auch nach der Finanzkrise hohe Wachstumsraten aufgewiesen. Mittlerweile aber mache die nicht ausreichende Nachfrage in den entwickelten Industrieländern auch den Schwellenländern zu schaffen. Chinas Wachstum gehe erheblich zurück. Brasilien und Russland befinden sich bereits in der Rezession, das heißt ihre Wirtschaft schrumpft.
Dass die Wachstumsrate der Weltwirtschaft mit 3 bis 3,5 Prozent zu gering sein soll, kommt einem in Europa/Deutschland zunächst sonderbar vor. Schließlich lag in der Eurozone/Deutschland das Wachstum der volkswirtschaftlichen Gesamtleistung in den Jahren seit der Finanzkrise im Durchschnitt der Länder zwischen minus ein und plus zwei Prozent, kam also der Stagnation ziemlich nahe. Aber in Europa wächst die Bevölkerung kaum, während sie in den meisten Schwellenländern, aber auch in den USA, noch erheblich zunimmt. Insgesamt reicht ein Wachstum von 3,5 Prozent weltweit nicht aus, um den jährlichen Produktivitätszuwachs plus Bevölkerungswachstum auszugleichen. Das heißt: Pro Kopf gerechnet wird die Menschheit zur Zeit ärmer. Oder anders ausgedrückt: der Kapitalismus befindet sich weltweit in einer Krise.
So drückte sich allerdings keiner der in Washington tagenden Finanzminister aus. Die düstere Lagebeurteilung aber machten sich viele zu eigen. Als Lösungsvorschlag für die Misere hat sich ein Washingtoner Konsens herausgebildet, der überall geduldig vorgetragen wird. Er besteht aus drei Teilen: Erstens müsse die Geldpolitik weiter locker bleiben. Zweitens sollten die weniger hoch verschuldeten Staaten (wie zum Beispiel Deutschland) Investitionsprogramme finanzieren und damit die darniederliegende Nachfrage stimulieren. Drittens sollen alle Staaten weitere „Strukturreformen“ durchführen. Damit ist gemeint, was Deutsche in Form der Schröderschen Agenda 2000 zu hassen gelernt haben, nämlich eine Lohn- und Sozialkostensenkung auf breiter Front. Wie bei niedrigeren Löhnen weltweit die Nachfrage stimuliert werden soll, bleibt das Geheimnis der Washingtoner Konsensualisten.
Nur einer machte sich die düstere Lagebeurteilung nicht zu eigen. Es war unser ureigener Finanzminister, der tapfere Wolfgang Schäuble. Er wandte sich „vehement“, wie es in bewundernden Korrespondentenberichten in deutschen Zeitungen heißt, gegen das Ansinnen, Deutschland müsse – im Interesse der Weltwirtschaft – fiskalische Spielräume zur Finanzierung eines Infrastrukturprogramms nutzen. Dergleichen wird links von der SPD auch in Deutschland selbst gefordert. Tatsächlich ist der Überschuss Deutschlands in der Leistungsbilanz 2015 auf einen neuen Rekordwert von 250 Mrd. Euro geklettert. Das entspricht mehr als 8 Prozent, gemessen am BIP (Bruttoinlandsprodukt). So viel Sachverstand kann man sogar den Finanzministern der Welt zutrauen, dass sie Herrn Schäuble darauf hingewiesen haben, dass mehr Importe nach Deutschland nicht nur diesem Land, sondern auch anderen wohltun könnten. Mit Vernunft allein allerdings kann man Schäuble nicht überzeugen.