Generalstreik in Italien
Rund 40000 Menschen demonstrierten letzten Samstag in Rom gegen die italienische Regierung und für ein „Nein“ beim Verfassungsreferendum am 4. Dezember. Nach Angaben der Gewerkschaften des USB (Unione Sindicale di Base) streiktenam Tag zuvor landesweit 1,3 Millionen Arbeiter und Angestellte. Schwerpunkt der Streiks waren die Verkehrsbetriebe, indenen die mit der USB verbundenen Gewerkschaften stark vertreten sind.
Die traditionellen Gewerkschaftsbünde hatten nicht zum Streik aufgerufen. Die USB zeigte sich zufrieden mit der Beteiligungund sieht darin die „Rückkehr des politischen Streiks, den wir in unserem Land lange verloren hatten“ .
Am 4. Dezember stimmt Italien in einem Referendum über eine Reform des Senats ab. Das Meinungsforschungsinstitut Ixe sieht mit 35 bis 38 Prozent jeweils für ein „Si“ (Ja) oder „No“ ein Kopf an Kopf-Rennen voraus, bei dem etwa 27 Prozent sich noch nicht entschieden hätten.
Auf dem Stimmzettel ist das Ziel klar formuliert: „Überwindung des Zweikammersystems, Reduzierung der Zahl der Senatoren, Begrenzung der Kosten zur Verwaltung der Institutionen“. Statt der bisher 315 soll es nur noch 100 Senatoren geben, die keine Diäten mehr erhalten. Sie werden nicht gewählt, sondern aus Vertretern der Regionen und Bürgermeistern großer Städte gestellt. Hinzu kommen zwei vom Staatspräsidenten auf Lebenszeit ernannte Senatoren und die ehemaligen Staatspräsidenten. Sie haben das Recht über Gesetze mit zu bestimmen, können aber nicht mehr durch Vertrauens- bzw. Misstrauensvotum über die Regierung entscheiden. Die Senatsreform gilt als wichtigste Verfassungsänderung seit 1945. Da bei der Abstimmung in Parlament und Senat darüber keine Zweidrittelmehrheit zustande kam muss darüber nun das Referendum entscheiden.
Der Ausgang des Referendums dürfte vor allem durch die Minderheit (Linke und Mitte) in Renzis sozialdemokratischem Partito Democratico (PD) entschieden werden, von denen viele derzeit mit „No“ (Nein) stimmen wollen. Außerdem lehnen die Kritiker das von Renzi durchgesetzte neue, Italicum getaufte Wahlgesetz ab, das der Partei, die 40 Prozent Wählerstimmen erreicht, einen Siegerbonus von 340 der insgesamt 630 Sitze im Parlament zugesteht. Da es keine Listenverbindungen zulässt, haben kleinere Parteien kaum eine Chance, die 3 Prozent-Sperrklausel zu überspringen und werden aus dem Parlament ausgeschlossen.
Diese Widersacher haben sich, was die Senatsreform betrifft, in eine widerspüchliche, kontraproduktive Situation manövriert. Da Renzi bei einer Ablehnung zunächst seinen Rücktritt angekündigt hatte, wollte ihm die PD-Minderheit, vor allem die Parteilinke, mit einem „No“ (Nein) für seine autoritäre, rechte und gewerkschaftsfeindliche Politik einen Denkzettel verpassen und ihn danach zum Rücktritt als Partei-und Regierungschef zwingen. Das Paradoxe besteht nun darin, dass der 1946/47 als Kompromiss aus der Monarchie in modifizierter Form übernommene Senat eine Hauptursache für die politische Lähmung und Instabiltät des Landes ist. Seit 1945 gab es 63 Regierungen. Die Verabschiedung von Gesetzen zog sich durch langwierige Prozeduren oft über Jahre hin. Mit der Senatsreform setzt der zum Sozialdemokraten mutierte frühere rechte Christdemokrat Renzi eine progressive Reform des bürgerlich-parlamentarischen Systems in Gang. Obendrein macht er Einsparungen im Haushalt in Höhe von Milliarden Euro geltend.
Die Gegensätze in der PD versucht das rechtsextreme Lager – Forza Italia von Ex-Premier Berlusconi, die rassistische Lega Nord und die aus der früheren Alleanza Nazionale hervorgegangenen faschistischen Fratelli (Brüder) Italiens – auszunutzen und fordert nach einer Niederlage den Rücktritt Renzis. Angesichts schlechter Umfragewerte von kaum 20 Prozent sind sie von vorgezogenen Neuwahlen abgerückt und setzen auf eine Destabilisierung und eine Übergangsregierung unter ihrer Einbeziehung. Renzi warnt seine PD-Minderheit, ein „No“ sei „eine Unterstützung für die Rechte. Auch die Protestbewegung Fünf Sterne (M5S), die ebenfalls für ein „No“ trommelt, profitiere von der PD-Opposition.
Der Premier zieht alle Register. Er hat er ein Komitee für „Si“ gebildet, dem er selbst vorsteht. Seine gesamte Regierung ist auf Wahlkampftournee. Zum Italicum hat er Änderungen zugesagt, allerdings erst nach dem Referendum. Vor der Debatte über den Haushalt 2017 attackiert er wieder einmal die „fragwürdigen bürokratischen Regeln“ der EU, die in „hektischer Unbeweglichkeit“ verharre. Mit einem „Si“ werde auch Italiens Stellung gegenüber der EU gestärkt. Im neuen Haushalt sagt er Rentenerhöhungen für die ärmsten Schichten zu, für den Wiederaufbau in der im August von einem Erdbeben betroffenen Region in den Abruzzen hat er mit 4,5 Milliarden Euro die zunächst geplanten Hilfsgelder fast verdoppelt. Mit der Betonung der Bedeutung des Referendums unterstützt der eigentlich zur Zurückhaltung verpflichtete Staatspräsident Sergio Mattarella ein „Si“. Dass das Verfassungsgericht einen Einspruch von M5S und Linken in der PD gegen das Referendum zurückgewiesen hat, kommt Renzi auch zugute.