Im Vorfeld des für Ende Juni nach Erfurt einberufenen Bundesparteitages der kleinsten der im Bundestag vertretenen Parteien füllen sich gegenwärtig Listen mit Kandidatenvorschlägen und Ordner mit Positionspapieren. Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Diether Dehm hat in der UZ vom 20. Mai einen kenntnisreichen Überblick über die verschiedenen Strömungen dieser um ihre parlamentarische Existenz ringenden Partei gegeben. Ihr ehemaliger hessischer Fraktionsvorsitzender Willi van Ooyen hat in der „jungen Welt“ die Messlatte realistisch niedrig gehängt: „Für die Partei geht es darum, zu den programmatischen Positionen zurückzukommen, die eigentlich die Basis ihrer Politik sein sollten. Ich halte es für leichter, die Linke zu reaktivieren, als Grüne oder Sozialdemokraten.“
Viel Hoffnung für eine solche Rückkehr zur „Basis ihrer Politik“ aus den Zeiten der Wahlerfolge im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts besteht nicht. Das hat strukturelle Gründe, die Ekkehard Lieberam in einem Artikel für die aktuelle Ausgabe der „Marxistischen Blätter“ so formulierte: „Es bildet sich … eine wachsende Schicht von ‚Berufspolitikern und Parteiangestellten‘. Diese ‚Sozialschicht‘ ist unter den Bedingungen der heutigen Politik- und Parteienfinanzierung jeweils ungleich größer als im deutschen Kaiserreich. Sie ist Träger der ‚Integrationsideologie‘. Gegenüber den Lohnarbeitern entwickelt sie eigene Interessen, die die Partei allmählich zur ‚Staatspartei‘ werden lassen. Im Wahljahr 2021 war diese Tendenz in der Linkspartei bereits so stark, dass diese den Bundestagswahlkampf vor allem als Regierungspartei im Wartestand führte.“
Transparent wäre es, wenn alle Delegierten des Parteitags hinten auf dem Rücken ein Zeichen oder eine Zahl tragen würden, aus denen hervorgeht, ob sie entweder selbst ein parlamentarisches Amt bekleiden oder bei welchen Abgeordneten sie ihre Brötchen verdienen oder ob sie Angestellte des Parteiapparates sind. Vermutlich trügen mehr als die Hälfte, wahrscheinlich mehr als zwei Drittel von ihnen ein solches Preisschild auf dem Rücken. Diejenigen, die politische Arbeit ehrenamtlich betreiben und keine eigenen finanziellen Interessen damit verbinden, sind eine hoffnungslose Minderheit.
Es ist daher auch nur von begrenztem Erkenntniswert, die Debatten, die es in Erfurt geben wird, besonders aufmerksam zu verfolgen und ihre Verläufe danach zu analysieren. Die Entscheidungen fallen entlang der verschiedenen Preisschilder und MdB/MdE/MdL-Teamzugehörigkeiten an anderen Stellen. Zu hoffen wäre dennoch, dass die gegen die NATO gerichteten Kräfte in dieser Partei inhaltlich und personell in Erfurt nicht ganz untergehen, damit zumindest in den Protokollen des Deutschen Bundestages künftige Generationen noch studieren können, dass die deutsche Kriegsbereitschaft im Jahr 2022 nicht ganz so geschlossen war, wie das die Medienlandschaft glauben machen lässt. Dominiert wird diese Partei aber längst von solchen fest in das System integrierten Personen wie dem thüringischen Ministerpräsidenten oder den Berliner Senatoren.
Die in den letzten Monaten gezeigte Ernsthaftigkeit der Kommunistischen Partei dieses Landes, die Kriegsfrage nüchtern zu analysieren und präzise Antworten auf die neue Lage zu finden, die Stabilisierung ihrer Mitgliederzahlen, die Ausstrahlung des mit ihr verbundenen Jugendverbandes, das bescheidene Hinzugewinnen von Stimmen bei den Wahlen in NRW, die Fähigkeit, juristische Angriffe abzuwehren und nicht zuletzt die Stärke, im August als ganz kleine Partei in Berlin ein ganz großes Fest auf die Beine zu stellen zeigt in zarten Ansätzen die Möglichkeit auf, die Antwort auf den weiteren Niedergang der einstigen Hoffnung nicht bei SPD und Grünen, sondern eben auch bei den Kommunistinnen und Kommunisten dieses Landes zu suchen. Wenn die marxistischen Kräfte in der Partei „Die Linke“ noch eine Weile die Fahnen hochhalten können, bis dieser Erholungsprozess der kommunistischen Partei weiter fortgeschritten ist, wäre das gut.