Drei Monate vor der Präsidentschaftswahl in Frankreich sieht sich die Regierung Macron gezwungen, Trostpflaster gegen Energiearmut zu verteilen. Angesichts hoher Energiepreise fürchtet sie die Wut der Straße. Die Frage nach der Kaufkraft bleibt Umfragen zufolge das wichtigste Thema für Wähler.
Neben hohen Kosten für Benzin und Diesel belasten die galoppierenden Preise für Strom und Erdgas viele Franzosen. Die Strompreise steigen seit zwanzig Jahren unaufhörlich. War die Kilowattstunde 2011 im Grundtarif noch für 0,1168 Euro zu bekommen, kostet sie mittlerweile 0,1740 Euro. Eine Megawattstunde Gas kostete vor einem Jahr 18 Euro, jetzt liegt der Preis bei 68 Euro. Und der Preis für bleifreies Benzin stieg im selben Zeitraum um 15 Prozent.
Premierminister Jean Castex hatte am 30. September vergangenen Jahres angekündigt, die Preise für Strom und Gas über den Winter hinweg bis April zu deckeln. Der Preis für Erdgas, den die Energieversorger ihren Privatkunden bis dahin in Rechnung stellen können, darf den Anfang Oktober 2021 geltenden Tarif nicht übersteigen. Der reglementierte Strompreis für private Verbraucher durfte in diesem Zeitraum nur einmal erhöht werden, und zwar im Februar diesen Jahres um 4 Prozent.
Zusätzlich verteilte die Regierung im letzten Dezember „Energieschecks“ über 100 Euro an 5,8 Millionen Haushalte mit geringem Einkommen. Ein „Inflationsausgleich“ in Höhe von ebenfalls 100 Euro wird dieser Tage an alle Franzosen überwiesen, die weniger als 2.000 Euro netto pro Monat verdienen – das sind 38 Millionen Bürger.
Maßnahmen wie diese seien allerdings weit davon entfernt, den vielen Millionen Menschen zu helfen, deren Versorgung mit Energie nicht mehr sichergestellt sei, kritisiert der Gewerkschaftsbund CGT. Er sieht ein strukturelles Problem: Die Privatisierung des Energiewesens. Die Unterwerfung der Energiepreise unter das „Gesetz des Marktes“ sei der wesentliche Grund für die rasant steigenden Preise. CGT wie auch die Französische Kommunistische Partei (PCF) fordern deshalb, die Energieversorgung wieder zu verstaatlichen und dem Profitprinzip zu entziehen.
Für zusätzliche Wut sorgte ein Dekret der französischen Regierung vom 13. Januar, das die Elektrizitätsgesellschaft Électricité de France (EDF) zwingt, in diesem Jahr 20 Prozent mehr als geplant ihres Atomstroms an private Konkurrenten zu verkaufen – zum staatlich regulierten Preis von 46,20 Euro pro Megawattstunde. Der Großhandelspreis dafür liegt zur Zeit bei gut 300 Euro. Zu diesem Preis wird EDF selbst einkaufen müssen. Wegen Problemen bei der Wartung stehen einige ihrer Atomkraftwerke zur Zeit still.
Vier Gewerkschaften, darunter die Fédération Nationale des Mines et de l’Énergie (FNME-CGT), hatten die Beschäftigen der EDF deshalb zum Streik am 26. Januar aufgerufen. Man protestiere, so Fabrice Coudour, Bundessekretär der FNME-CGT, gegen diese „skandalöse Entscheidung“, die geeignet sei, EDF zu zerstören.
Immer wieder gibt es kleinere Protestaktionen in der Energiefrage von der Kommunistischen Partei und Gewerkschaften wie der CGT. Man möchte das Thema nicht den Gelbwesten überlassen, die sich nach der Corona-Flaute langsam wieder formieren. Das Thema Energieversorgung hat Sprengkraft. „Schauen Sie, was in Kasachstan passiert, das ist ein guter Hinweis darauf, was passieren kann, wenn die Energiepreise explodieren, das ist politisch gefährlich“, äußerte sich Finanzminister Bruno Le Maire Anfang des Jahres. Diesen Winter muss auch er sich warm anziehen.