Die Repression gegen Argentiniens gesellschaftliche Bewegungen hat sich mit der Festnahme von vier Aktivisten der Organisation „Tupac Amaru“ in der Provinz Jujuy verschärft. Die Festgenommenen sind drei Frauen und der Ehemann von Milagro Sala, der Anführerin dieser Bewegung. Sala macht sich stark für die Ureinwohner-, Frauen- und Genossenschaftsinitiativen.
Sechs weitere Tupac-Amaru-Mitglieder sind verhaftet worden, seit die politische Rechte Argentiniens mit der Wahl von Mauricio Macri zum Staatspräsidenten die Macht zurückerobert hat. Die Verhaftungen bestätigen das Klima verschärften Vorgehens gegen Aktivisten.
Milagro Sala sitzt seit Januar 2016 im Gefängnis. Die Anschuldigungen gegen sie sind schwer aufrechtzuerhalten, doch die argentinische Justiz ist heute – wie auch in einigen Nachbarländern – eine Art mächtige politische Partei neuen Typs. Diese Eigenschaft teilt sie mit dem Medienapparat, mit dem die Justiz gemeinsam daran gearbeitet hat, die Volksregierungen von Brasilien, Paraguay, Venezuela und eben auch Argentinien zu durchlöchern, des Landes, in dem die ehemalige Präsidentin Cristina Fernández trotz ihrer Popularität von einem Richter angeklagt wird, der der US-Botschaft nahe steht.
Die jüngsten Verhaftungen von Tupac-Amaru-Mitgliedern fanden statt, als die Polizei gegen eine Demonstration von Arbeitern von Ledesma anging, des größten Zuckerrohrunternehmens des Landes. Das war in der Stadt Libertador General San Martín in Jujuy, die von einem Parteigänger des Präsidenten Macri, Gerardo Morales, regiert wird. So machen die Polizeikräfte des Gouverneurs Morales klar, dass Macri an die Macht kam, um vor allem die Interessen der Großgrundbesitzer zu verteidigen.
Die Repression und die Festnahmen ereigneten sich Tage vor dem traditionellen „Marcha del Apagón“ (etwa: Marsch der Stromsperre), der in der Stadt Libertador General San Martín Zehntausende zusammenbringt. Jahr für Jahr wird so an die Festnahme und Entführung von 400 Bewohnern der Stadt während der Diktatur erinnert. Der Strom wurde dabei abgeschaltet, um Menschen verschleppen zu können. Nach dieser „Noche del Apagón“ (Nacht der Stromsperre) im Jahr 1976 blieben dreißig Menschen „verschwunden“, darunter der Bürgermeister. Die jährliche Demonstration, die von landesweiter Bedeutung ist, fand trotz der steigenden Repression statt und brachte wieder Tausende zusammen, nun allerdings unter der Losung: „Freiheit für Milagro Sala!“
Jujuy ist die rückständigste argentinische Provinz mit der größten sozialen Ungleichheit. Im kleinen lokalen Machtkern sind Familien wie die von Carlos Pedro Blaquier, einem Zuckerbaron, der wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit während der letzten Diktatur angeklagt war. Nach der Einführung Macris in das Amt des Präsidenten wurde das Verfahren gegen ihn eingestellt, das ihn als Verantwortlichen für die in der „Noche del Apagón“ begangenen Verbrechen benannte. Deshalb gab es neben den Plakaten, die Freiheit für Milagro forderten, auch solche, auf denen „Mörder Blaquier“ geschrieben stand.
In der Provinz Jujuy organisierte Tupac Amaru mit Milagro Sala an der Spitze die Massen und schuf Arbeitskooperativen, Modellschulen, Gesundheitszentren, Fabriken und große Wohnkomplexe. Eine Familienwohnung, die von einem Privatunternehmen in Jujuy gebaut wird, kostet dreimal so viel wie eine von der „Tupac“ gebaute. Die Organisation beschäftigt zudem mehr Menschen und stellt die Wohnungen schneller fertig.
Jujuy liegt an der Grenze zu Evo Morales’ Bolivien. Es ist also nicht verwunderlich, dass hier eine Bewegung wuchs, in der die Forderungen der Ureinwohnerschaft, die einen erheblichen Bevölkerungsanteil in der Region stellt, von Bedeutung sind. Als Beispiel: Das große Viertel, das die „Tupac“ in Alto Comedero baute, besitzt neben Schwimmbädern, Kinos und Fabriken einen Nachbau des Tiahuanaco-Tempels, der so etwas wie die heilige Stadt der andinen Völker Boliviens ist.
Eine solche Kraft wird von den Kräften um den Präsidenten Mauricio Macri, den Begünstiger des Kapitals und der Finanzspekulation, als Gefahr sehen.
Milagro Sala ist eingesperrt, so wie ein Dutzend ihrer Kampfgefährten. Im In- und Ausland haben sich „Komitees zur Befreiung von Milagro Sala“ gegründet.