Frank Schumann, Margot Honecker: Post aus Chile. Die Korrespondenz mit Margot Honecker, edition ost, Berlin 2016, 336 Seiten, brosch., mit Abb. 16,99 Euro, ISBN 978–3-360–01879-3
Im Grunde ist es eine Binsenwahrheit, aber leider scheint sie noch nicht in die Köpfe aller Rezensentinnen und Rezensenten vorgedrungen zu sein: Eine Buchrezension ist eine Rezension, nicht mehr, aber auch nicht weniger. In den folgenden Ausführungen kann es daher nicht eine moralische Bewertung, nicht um ein Scherbengericht über Leben, Wirken und Ansichten von Margot Honecker oder Frank Schumann gehen. Vielmehr geht es darum, den potentiellen Käufer- bzw. Leserkreis dieses soeben in der Eulenspiegel-Verlagsgruppe erschienenen Werkes sachlich darüber zu informieren, was ihn zwischen den beiden Buchdeckeln erwartet und was nicht.
Der Herausgeber Frank Schumann hat in den Jahren von 2010 bis 2016 einen regen Mail-Austausch mit Margot Honecker in ihrem chilenischen Exil gepflegt. Dieser Briefverkehr wird in dem Buch „Post aus Chile“ mit dem Einverständnis Margot Honeckers, das sie Frank Schumann schon zu Lebzeiten erteilt hat, der Öffentlichkeit zu weiten Teilen zugänglich gemacht. Das Ganze ist chronologisch aufgebaut und, abgesehen von einem kurzen Vorwort Frank Schumanns und kurzen Erläuterungen zu einem Teil der Personen, von denen die Rede ist, unkommentiert abgedruckt.
Der ein oder andere Leser mag eventuell eine Kapiteleinteilung oder eine Ordnung nach Sachbereichen vermissen, letztlich entspricht aber die gewählte Form wohl am angemessensten dem wiedergegebenen Inhalt. Sechs Jahre Korrespondenz zwischen Frank Schumann und Margot Honecker, das bedeutet inhaltlich einen Austausch zwischen zwei Personen, die durch gemeinsame Erfahrungen, Erlebnisse, Meinungen und Beurteilungen miteinander verbunden waren. Darüber hinaus handelt es sich durch die Veröffentlichung in Buchform aber auch um eine Quellschrift für eine zukünftige DDR-Forschung, von der derzeit überhaupt nicht die Rede sein kann. Gemeint ist hiermit eine seriöse, wissenschaftliche Befassung mit einem wichtigen Teil der deutschen Geschichte, die auch 26 Jahre nach dem Ende der DDR allenfalls in „minimalsten“ Ansätzen in Angriff genommen worden ist. Insbesondere auf Seiten „westlicher“ Wissenschaftler scheint in dieser Hinsicht bis dato keinerlei Interesse zu bestehen (bzw. kein Sponsorengeld von dritter Seite zu winken).
Sensationelle, voyeuristische Gelüste befriedigende „Enthüllungen“ finden sich in „Post aus Chile“ nicht, auch wenn von der Boulevardpresse versucht worden ist, dergleichen hinein zu konstruieren. Was in diesem Buch allerdings tatsächlich enthüllt wird, ist die Art und Weise, wie schmierige Schreiberlinge, Fernsehredakteure und Journalisten versucht haben (und versuchen), sich durch unlautere Praktiken auf Kosten von Margot Honecker und/oder Frank Schumann öffentliche Aufmerksamkeit oder sogar beträchtlichen finanziellen Gewinn zu erschleichen. Hier nennt das Buch in der Tat enthüllend „Ross und Reiter“. Welch unrühmliche Rolle hier auch öffentlich-rechtliche Fernsehsender gespielt haben (und spielen), das zu erfahren ist regelrecht schockierend, die Realität überholt hier den besten Krimi. Der Leser darf gespannt sein.
Weniger spannend, aber eben zur Dokumentation einer langjährigen Korrespondenz mit dazu gehörend, ist der sich ständig wiederholende (glücklicherweise immer sehr kurze) Austausch über das Wetter, die Dauer der Postsendungen (in diesem Fall zahlreicher Bücher von Berlin nach Chile), Krankheiten und dergleichen.
Sehr interessant zu lesen ist wiederum die Beurteilung konkreter (welt-) politischer Ereignisse und Trends, sowohl von Seiten Margot Honeckers, die dies alles mit großem Interesse bis zuletzt per Internet verfolgt hat, als auch von Seiten Frank Schumanns. Dass all dies häufig mit Vokabular aus den Zeiten der DDR erfolgt, kann nicht verwundern, schließlich haben sich beide lange Jahre ihres Lebens in diesem Sprachspiel bewegt bzw. es, besonders im Falle Margot Honeckers, auch mitgeprägt.
Der Gewinn, den der Leser bzw. die Leserin aus dem Buch zieht, wird und muss unterschiedlich ausfallen.
Diejenigen, die die DDR-Zeit selbst miterlebt haben, werden zahlreiche Personen und Ereignisse, von denen in den Briefen die Rede ist, kennen und werden manches Detail entdecken, das ihnen so noch nicht bekannt war und mit diesem Wissen manches vielleicht rückblickend anders beurteilen als vorher.
Wer diese Zeit nicht selbst mitgemacht hat, sei es vom Geburtsjahrgang her oder als Bürger der BRD, wird Unmengen von Neuem darüber erfahren – aber eben nicht, weil das Werk eben nicht voll von „sensationellen Enthüllungen“ ist, sondern weil die jüngere Generation, aber vor allem der durchschnittliche „Wessi“ nach Abzug der bekannten Vorurteile und Kolportagen schlicht so gut wie nichts über die DDR weiß.
Fazit: Dieses Buch kann nur nur jedermann zur Anschaffung und vor allem zum Lesen empfohlen werden. Merke: „Nichts Neues“ finden nur die, die sich selbst schon längst für allwissend halten.