Aufklären und Konsequenzen ziehen in Göttingen

Polizeiüberwachungsskandal

Von Toto Lyna

Am 16.6. erfuhr die Öffentlichkeit von einer massiven kriminellen Tätigkeit eines Wiederholungs- und Überzeugungstäters. Ausgerechnet ein Polizist, der vorher schon intern gegen diese Praktiken protestiert hatte, ging nach seiner Pensionierung an die Öffentlichkeit:

Die Göttinger Politische Polizei (4. Fachkommissariat) sammelt seit Jahren verschiedene Daten über linke Aktivistinnen und Aktivisten aus Göttingen. Legal? Keine Spur! Die Anzahl der Betroffenen geht wohl nach ersten Einschätzungen in die Hunderte bis sogar zu tausend Menschen, die gesammelten Daten betreffen auch Fotos, Informationen von Arbeitsplätzen, die Wohnanschrift, Religionszugehörigkeit, den Familienstand usw. Oder sogar, wie die taz berichtet, eine Person würde bei REWE einkaufen. Geschnüffelt wurde auf politischen Veranstaltungen, Demonstrationen, im Social Media und laut der Frankfurter Rundschau aus angeblich gelöschten Datenvorräten früherer Sammelaktionen. Dazu gezielte Spionage von Privatpersonen, so dass zusätzlich Informationen über ihre Bewegungsprofile erstellt werden konnten. Fahren Sie Fahrrad oder gehen eher zu Fuß, benutzen Sie den Bus und wann, mit wem haben Sie sich getroffen?

Präventiv wirkt schlimmer

Diese Überwachung war mit keiner Strafverfolgung verbunden, sondern „präventiv“ und umfasste auch „nicht-extremistische“ Kräfte, wie Mitglieder der Grünen Jugend, von denen ein Porträt steckbrieflich auf eine Wand gepinnt wurde. Ein Skandal in der Tiefe und Breite für die konkret Betroffenen und ihre politischen Zusammenhänge. Aber auch für die Polizei und die politischen Verantwortlichen im niedersächsischen Innenministerium. Schlimmer: die Opfer dieser kriminellen Tätigkeit wurden nicht durch die Polizei informiert. Jetzt seien die Daten laut Polizei gelöscht, so dass sie das Ausmaß ihrer Überwachung nicht erfahren können. Aber ein Vertrauen auf die tatsächliche Löschung ist optimistisch bis blauäugig, denn sowohl in der aktuellen wie den alten Skandalen hat die politische Polizei Zugriff auf offiziell „gelöschte“ Daten. Wer kann jetzt mit Sicherheit sagen, dass die Daten umfassend gelöscht und vernichtet worden sind und nicht wieder in paar Jahren erneut erscheinen? Schlimmer: Gab es eine Weitergabe der Informationen an den niedersächsischen Verfassungsschutz? Wenn ja, was ist mit den dort gelandeten Daten? Wir wissen dabei, dass die Göttinger Politische Polizei ein Wiederholungstäter ist, der aus antidemokratischer und antikommunistischer Überzeugung handelt, in einem Land in dem die KPD immer noch verboten ist. Ein weiteres Problem für die Polizei und den politischen Verantwortlichen, der niedersächsische Innenminister Pistorius (SPD), ist die Verfolgung des mutigen, mittlerweile pensionierten Polizisten, der nun selber wegen vermeintlicher Erpressung von Strafverfolgung betroffen ist. Vorwurf: Er soll seine rückwirkende Beförderung gefordert haben.

Auflösung der politischen Polizei

Der Göttinger Polizeisumpf muss ausgetrocknet werden, die Überwachung von demokratisch-antifaschistischen Kräften mit noch legalen und erst recht illegalen Mitteln muss endgültig aufhören. Das kann nicht durch ein „Versprechen“ der Polizei, eine interne, intensive Aufklärungsarbeit zu leisten, passieren. Es muss durch eine strukturelle Änderung geschehen: Wir fordern die Auflösung der politischen Polizei und des Verfassungsschutzes, die Bestrafung aller beteiligten Einzelpersonen und die Absetzung der politischen Verantwortlichen auf Landesebene, aber auch eine sofortige Einstellung des Strafverfahrens gegen den pensionierten Kollegen und eine öffentliche und unabhängige Aufklärung durch Vertreter der gesellschaftlichen und demokratischen Kräfte. Einer Aufklärung durch polizeiliche Behörden können wir nicht vertrauen!

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"Polizeiüberwachungsskandal", UZ vom 30. Juni 2017



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