Berufsverbote-Konferenz der GEW in Kassel

Politische Bildung nötig

Von Gerrit Brüning

Auch 45 Jahre nach dem vom damaligen Bundeskanzler Willy Brandt und den Ministerpräsidenten der Bundesländer herausgegebenen Radikalenerlass „steht die Aufarbeitung noch aus“, wie es Marlis Tepe, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), auf der am 28.10.2017 stattgefundenen Berufsverbote-Konferenz in Kassel konstatierte. Denn mit ihren Verfolgten tut sich die Bundesrepublik insgesamt nach wie vor schwer. Daran ändert auch Brandts spätes Eingeständnis, dass die Berufsverbote ein „Irrtum“ gewesen seien, nichts. Dass Brandt diesen Fehler im Nachhinein freimütig zugab, verweist jedoch auf die – auf der Konferenz durch den Zeithistoriker Dominik Rigoll herausgearbeitete – Tatsache, dass es sich beim Erlass weniger um eine Herzensangelegenheit, sondern vielmehr um eine machtpolitische Notwendigkeit gehandelt hatte: So habe die SPD-FDP-Regierung gegenüber der Union einerseits, aber auch gegenüber allzu linken (Stamokap-)Jusos andererseits signalisieren können, dass es – im Gegensatz zu anderen westeuropäischen Ländern – in der Bundesrepublik kein Zusammengehen von Sozialdemokraten und Kommunisten geben würde. Dabei sei man sich durchaus des „Hauptfeinds“ bewusst gewesen, denn obwohl beispielsweise auch Mitglieder maoistischer K-Gruppen betroffen gewesen seien, hätten sich die Berufsverbote hauptsächlich gegen Mitglieder der DKP und  Organisationen wie MSB Spartakus und SDAJ gerichtet. Ein erfolgreiches Berufsverbot gegen alte und neue Nazis, die nach der „Logik“ der Totalitarismusdoktrin vom Radikalenerlass auch hätten betroffen sein müssen, habe es nach dem Forschungsstand Rigolls hingegen nicht gegeben – auch weil diese selbst noch in der bundesdeutschen Justiz etabliert gewesen seien oder zumindest gute Kontakte in diese unterhielten hätten.

Dass sich die GEW endlich des Themas annimmt und die Rehabilitierung der Betroffenen erreichen will, ist daher umso wichtiger. Denn die Bemühungen um Aufarbeitung begannen erst vor wenigen Jahren – mit einer Resolution des GEW-Hauptvorstands vom März 2012 und dem darauffolgenden Gewerkschaftstag – wirklich Fahrt aufzunehmen. Wohl auch deshalb, weil die „Gesinnungsschnüffelei“ und die Abwehr angeblicher „Verfassungsfeinde“ nicht allein auf staatliche Stellen, vor allem Verfassungsschutz und Justiz, beschränkt blieb, sondern sich auch die DGB-Gewerkschaften (inklusive der GEW) fleißig an der Kommunistenhatz beteiligten. Wer dem bürgerlichen Staat als Feind galt, wurde – nahezu automatisch – auch aus der Gewerkschaft gedrängt. Dementsprechend ist eine gewerkschaftliche Kritik am Radikalenerlass und seinen Folgen auch eine unvermeidliche, schmerzhafte Selbstkritik.

Bei aller Vergangenheitsaufarbeitung- und Bewältigung darf außerdem nicht vergessen werden, dass die Berufsverbote noch keineswegs in allen Bundesländern Vergangenheit sind. Die GEW hatte mit Kerem Schamberger einen aktuell Betroffenen nach Kassel eingeladen. Der Kommunikationswissenschaftler berichtete auf der Konferenz darüber, wie ihm – auf Betreiben des bayerischen Verfassungsschutzes – im Jahr 2016 eine Anstellung als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) hätte verweigert werden sollen. Schambergers Mitgliedschaft in der DKP und in anderen, ihr traditionell nahestehenden „linksextremistischen“ Organisationen seiausschlaggebend gewesen. Die LMU habe sich jedoch „im konkreten Einzelfall“ anders entschieden, da sie nach einer eigenen Befragung bei ihrem Bewerber keine „Verfassungsfeindlichkeit“ habe feststellen können.

Auch wenn die bayerische Vorgehensweise sicherlich die radikalste ist, ist die hinter den Berufsverboten steckende Gesinnungsschnüffelei des Verfassungsschutzes auch in anderen Bundesländern längst nicht überwunden. Nach aktuellem Urteilsspruch nordhessischer Richter darf auch Silvia Gingold weiterhin für ihre friedenspolitischen und antifaschistischen Aktivitäten vom Inlandsgeheimdienst bespitzelt werden. Dass das Kasseler Verwaltungsgericht dabei noch den Kapitalismus zum Bestandteil der „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ erklärte, kann wirklich nur noch als Posse bezeichnet werden.

In der Abschlussrunde der Berufsverbote-Konferenz schlug vor allem David Salomon, Professor für Politikwissenschaft aus Hildesheim, den inhaltlichen Bogen zur Beziehung zwischen der historischen Aufarbeitung der Berufsverbote und der politischen Bildung an Schulen und Hochschulen. Er stellte fest, dass das im medialen Diskurs gemalte Geschichtsbild über die Bundesrepublik eine durchgängige Abfolge von Erfolgsgeschichten sei, wobei unter anderem der Radikalenerlass als politische Verfolgungsgeschichte ausgeblendet würde. Politische Bildung, argumentierte Salomon, setze bei der Irritation solcher Geschichtsbilder an, wie es etwa durch die Darstellung der Geschichte der Berufsverbote geschehen könne. Lehrkräfte hätten dann die Aufgabe zur politischen Mündigkeit, zur Kritik- und Widerstandsfähigkeit zu erziehen und nicht dem Vermitteln einer (antikommunistischen) Staatsräson zu dienen.

Für die Ausbildung solcher Lehrkräfte, für die Erziehung junger Menschen in solchem Geist bräuchte es dann jedoch weder Berufsverbote noch Spitzel.

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"Politische Bildung nötig", UZ vom 3. November 2017



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