Den Wert eines Menschen erkennt man oft an seinen Feinden. Und wenn die medialen Sturmgeschütze der bürgerlichen Demokratie einen Kommunisten als „Nervensäge der Nation“ (Spiegel), „übelster Demagoge der DDR“ (Tichys Einblick) oder „Goebbels der SED“ (Welt) beschimpfen, ist sicher, dass er etwas richtig gemacht hat.
Der so geschmähte Karl-Eduard von Schnitzler verantwortete als Chefkommentator des Deutschen Fernsehfunks die Sendung „Der Schwarze Kanal“, deren erste Folge am 21. März 1960 ausgestrahlt wurde. Bis 1989 sollten allwöchentlich über 1.500 Episoden folgen, die Schnitzler größtenteils selbst konzipierte und moderierte, wobei er Ausschnitte von BRD-Sendern durch polemische Kommentare in ihren politökonomischen Zusammenhang stellte. Schnitzler nannte dies „Konterpropaganda“, denn im westdeutschen Fernsehen lief bereits seit 1958 „Die Rote Optik“, wo das Programm des DDR-Fernsehens antikommunistisch kommentiert wurde. So erklärte Schnitzler es als sein Ziel, „der Wahrheit vom Kopf, auf den sie vom westdeutschen Fernsehen gestellt wird, auf die Füße zu verhelfen“.
Letztendlich widmete sich „Der Schwarze Kanal“ aber weniger dem West-TV selbst als den Herrschenden, die darin zur Sprache kamen – von revanchistischen Politikern über kriegshungrige Militärs bis zu den Baronen der Industrie. Dies war besonders während der 1960er Jahre der Fall: Die westdeutsche Regierung behauptete ihre „Alleinvertretung“ auch für die Bürger der DDR, alte Nazi-Eliten setzten mit demokratischen Lippenbekenntnissen ihre Karrieren fort und „Vertriebenenverbände“ forderten wieder ein Deutschland bis an die Memel. Was klingt wie eine schlechte kommunistische Karikatur, war in der Nachkriegs-BRD Alltag. Schnitzler zeigte die ganze Verlogenheit dieser Figuren, aber auch ihre potenzielle Bedrohlichkeit für den Neuanfang im Osten, wenn etwa Adenauer zugab, dass von der Sowjetunion keine Kriegsgefahr ausgehe, aber Westdeutschland trotzdem mehr Mittel in die Kriegsvorbereitung stecken müsse: „Dieser Mann ist nicht nur ein lügnerischer Störenfried, er ist ein gefährlicher Störenfried.“
Schnitzler wusste, wovon er sprach. Geboren im Revolutionsjahr 1918 als Sohn einer großbürgerlichen Familie, die Diplomaten, Bankiers und spätere Nazi-Kriegsverbrecher umfasste und für ihre Verdienste um das imperialistische Deutschland 1913 mit dem Adelstitel belohnt worden war, kannte er die Bourgeoisie in- und auswendig. Schon als Jugendlicher beging Schnitzler „Klassenverrat“, wurde Kommunist und Antifaschist, bis er nach erster journalistischer Tätigkeit für die Briten 1947 in die sowjetische Besatzungszone ging und bald prominente Positionen in Rundfunk und Fernsehen übernahm.
Als Brandt seine „neue Ostpolitik“ begann, machte Schnitzler im Schwarzen Kanal klar, dass diese „im Wesentlichen darin besteht, dass man sich dem veränderten Kräfteverhältnis anzupassen versucht, dass man auf die weiche, konterrevolutionäre Tour versuchen will, was man mit offener, direkter militärischer Gewalt nicht erreichen kann“. Deshalb verlagerte „Der Schwarze Kanal“ seinen Fokus vom westdeutschen Führungspersonal hin zur Kritik des imperialistischen Systems, von der Schere zwischen Reichtum und Arbeitslosigkeit bis zu kulturindustriellen Auswüchsen wie dem völkischen Kitschsänger Heino.
Als die UdSSR unter Gorbatschow die Kapitulation vor dem Imperialismus hinter schönen Parolen vom „europäischen Haus“ und „Glasnost“ versteckte und damit auch in der Bevölkerung der DDR Anklang fand, wurde „Der Schwarze Kanal“ wieder weitaus bissiger in der Verteidigung des Erreichten gegen die feindliche Umarmung durch die BRD. Diejenigen, die sich von den Parolen von „friedlicher Revolution“ und „blühenden Landschaften“ blenden ließen, sahen Schnitzler nur noch als Miesmacher, der die Reklamebilder des goldenen Westens mit Fakten störte. Am infantilsten brachte dies Wolf Biermann zum Ausdruck, als er 1989 sang: „Hey Schnitzler, du elender Sudel-Ede / Sogar, wenn du sagst, die Erde ist rund, / Dann weiß jedes Kind, unsere Erde ist eckig / Du bist ein gekaufter, verkommener Hund.“ Einen Monat vorher war „Der Schwarze Kanal“ abgesetzt worden und einen Monat später leitete die SED-PDS im Zuge ihrer antikommunistischen Säuberung ein Ausschlussverfahren gegen Schnitzler ein. Er beschloss, selbst auszutreten und sich der DKP anzuschließen.
Heute weiß jeder ehemalige DDR-Bürger aus eigener Erfahrung, dass die imperialistische Erde tatsächlich so rund ist, wie Schnitzler sie zeigte, und nicht eckig, wie bürgerliche Ideologen behaupten: Arbeitslosigkeit, entvölkerte Landstriche und Kriegseinsätze in aller Welt kennt man jetzt aus eigener Anschauung. Schnitzlers Worte aus seiner letzten Sendung bleiben gültig: „Der Revanchismus bleibt uns erhalten. Der Klassenkampf geht weiter. Also auch die aktuelle streitbare Polemik.“ Diese führte er mit den Essaybänden „Der rote Kanal“ und „Provokationen“ sowie im „RotFuchs“ und den „Weißenseer Blättern“ weiter.
Die linke Pastorin Renate Schönfeld sprach 2001 bei Schnitzlers Beerdigung: „Das Kapital hat für einige Zeit gesiegt und wir waren nicht wachsam genug. Aber er wusste: Die 70 Jahre Sozialismus sind Teil der Geschichte der Menschheit geworden. Sie ruhen wie Samen in der Erde, der, wenn die Bedingungen und die Zeit reif sind, aufgehen wird.“ Zum Dank bekam Schönfeld eine Hetzkampagne von Springers „Bild“ serviert: „Hat diese Pfarrerin den lieben Gott verraten?“, „Sie sprach ‚Sudel-Ede‘ heilig!“ Man sieht: Der Klassenkampf geht weiter – und Konterpropaganda bleibt nötig.