UZ: Der Leipziger Polizeipräsident Bernd Merbitz hat vor wenigen Tagen festgestellt, dass in Sachsen eine gegen Flüchtlinge gerichtete Pogromstimmung herrsche. Hat er recht?
Volker Külow: Es sollte alle Demokratinnen und Demokraten aufrütteln, wenn ein Polizeipräsident einen solchen Begriff benutzt, um die Stimmung in Sachsen zu beschreiben. Und ja, Bernd Merbitz hat recht. Wir haben es nicht nur in Sachsen mittlerweile mit einem überdurchschnittlichen Anstieg neofaschistischer und rassistischer Gewalt zu tun, vor der niemand die Augen verschließen kann.
UZ: Aber die sächsische Staatsregierung verschließt doch offenkundig die Augen, oder etwa nicht?
Volker Külow: Die CDU-geführte Staatsregierung verschließt nicht nur die Augen. Sie ist vielmehr mitverantwortlich an dieser Stimmungslage. Sachsen ist im Vergleich mit anderen Bundesländern sicherlich auch ein Sonderfall. Man darf nicht vergessen, dass die hiesige CDU selbst in der eigenen Partei als anfällig für nationalistische Politik gilt. Auch, dass die Christdemokraten in Sachsen seit dem Ende der DDR die Landesregierung anführen, ist keineswegs ohne Spuren geblieben. Gleiches gilt für die rassistische Propaganda, die in den vergangenen zwei Wahlperioden von der neofaschistischen NPD ausging, die bis zur letzten Landtagswahl noch im Parlament vertreten war.
UZ: Und wie ist der zunehmenden Gefahr von Rechts beizukommen?
Volker Külow: Der Kampf gegen Rechts hat viele Facetten. Eine davon ist, dass wir einen Aufstand der Zuständigen brauchen. Ich erwarte von den Sicherheitsbehörden, klare Kante gegen Rassismus und Neofaschismus zu zeigen. Und das ohne Wenn und Aber! Das Verharmlosen der Probleme bringt niemandem etwas. Die etablierte Politik, allen voran die CDU, muss außerdem aufhören, sich als Stichwortgeber für Rassistinnen und Rassisten zu betätigen. Ich erwarte von den Verantwortlichen, dass sie endlich in vollem Umfang ihren Aufgaben nachkommen.
UZ: Und diese wären?
Volker Külow: Die wären beispielsweise, den Schutz der Flüchtlinge und ihrer Unterkünfte zu gewährleisten. Es kann doch nicht sein, dass selbsternannte „besorgte Bürger“ Menschen bedrohen, die nichts mehr besitzen, außer das, was sie auf der Haut tragen.
UZ: Andererseits sollten die Sorgen der Bevölkerung aber doch Ernst genommen werden?
Volker Külow: Es ist die Aufgabe der Politik, Sorgen der Bevölkerung Ernst zu nehmen und das tue ich auch vollumfänglich. Man kann beispielsweise Sorge vor Mietsteigerungen, vor dem Verlust seines Arbeitsplatzes oder auch vor Krieg und Gewalt haben. Rassistische Hetze gegen Hilf- und Schutzsuchende hat jedoch nichts mit berechtigten Sorgen zu tun, sondern mit Menschenverachtung und Hass. Glauben diese „Pegida“- und AfD-Anhänger denn tatsächlich, dass sie auch nur einen Cent von dem Geld bekommen würden, welches nun in die Flüchtlingshilfe gesteckt wird? Doch bitte nicht im Ernst. Wären sie halbwegs bei Verstand, würden sie außerdem nicht zum Hass gegen die Schwächsten aufstacheln, sondern gegen die Politik demonstrieren, die seit Jahren eine Umverteilung von Unten nach Oben, imperialistische Kriege und staatliche Verarmungsprogramme für breite Teile der Bevölkerung betreibt.
UZ: „Pegida“ hatte am vergangenen Wochenende in verschiedenen Metropolen der EU aufgerufen. Der Erfolg war eher mäßig. Kann es „Pegida“ gelingen, kontinuierlich rechte Straßenaufmärsche in verschiedenen Metropolen der Europäischen Union zu organisieren?
Volker Külow: Nicht nur aufgrund des Erstarkens der Rechten und der Zuspitzung der Flüchtlingsdebatte kann das durchaus gelingen. Die Gefahr besteht real. Aber das ist in diesem Zusammenhang keineswegs die einzige Frage, die sich für Antifaschisten stellen sollte. Die rassistischen und national-chauvinistischen Positionen von „Pegida“ sind doch schon heute in weiten Teilen in der Regierungspolitik mancher EU-Staaten angekommen. Ich will an dieser Stelle etwa auf Ungarn, oder Polen verweisen. Auch in anderen Ländern, wo die extremen bzw. gemäßigten Rechten noch nicht an der Regierung sind, stellt sich das Problem doch. Mit dem Front National in Frankreich, mit Rechtsaußen-Parteien in Belgien, Österreich, der Schweiz und auch mit dem Fakt, dass die AfD hier mittlerweile als drittstärkste Kraft in den Bundestag einziehen würde.
UZ: Welche Verantwortung trägt die politische Linke an dieser Entwicklung?
Volker Külow: Zumindest keine Unbedeutende. Wer über Jahre hinweg zu wenig die Interessen der Lohnabhängigen und Prekarisierten aktiv und durchsetzungsstark auf der Straße vertreten hat, braucht sich von dieser Entwicklung nicht überrascht zeigen. Die politische Linke hat in den vergangenen Jahren zu oft in ihrem Kämmerlein gesessen und sich mit sich selbst beschäftigt bzw. Illusionen über den Charakter des gegenwärtigen Kapitalismus und die herrschenden Klassenmachtverhältnisse gepflegt. Die Fragen von Krieg und Frieden, nach sozialer Gerechtigkeit, nach dem zutiefst neoliberalen Charakter der EU usw. wurden kaum aus einer Klassenperspektive betrachtet, dadurch gingen die eigenständigen systemoppositionellen Merkmale schrittweise verloren. Und in eben dieses selbstverschuldete politische Vakuum sind Rechte vorgedrungen und haben den Linken ihre politischen Kernelemente abspenstig gemacht. Darüber kann man nun weiter jammern, wie das viele tun. Man kann das Zepter des Handelns auch wieder in die Hand nehmen und Konsequenzen aus seinen eigenen Verantwortlichkeiten ziehen. Dazu fehlen jedoch mehrheitlich die notwendigen Einsichten und mancherorts wohl auch der Wille. Die politische Linke macht es sich hier zu einfach: Schuld sind nicht immer nur die andern, auch man selbst trägt Verantwortung. Es hilft auch nichts, sich nur gegenseitig zu erzählen, wie wichtig die Solidarität mit Flüchtlingen ist. Natürlich müssen humanitäre Positionen in der Asyl- und Flüchtlingsfrage verteidigt werden. Mit „Refugees-Welcome“-Ansteckern allein wird die europäische Rechte kaum zu stoppen sein. Nur der entschiedene Kampf gegen die „kannibalische“ Weltordnung und die mit ihr untrennbar verbundene imperialistische Politik des Regime-Change kann uns aus der Defensive führen.
UZ: Sie werden unter anderem bei „Rotes Zelt antifaschistischer und antikapitalistischer Gruppen und Organisationen“ beim kommenden UZ-Pressefest auftreten und an einer Podiumsverantaltung zum Thema Rassismus und „Pegida“ teilnehmen. Werden Sie dort auch so kritisch mit der politischen Linken ins Gericht gehen?
Volker Külow: Selbstverständlich. Warum denn auch nicht? So kritisch finde ich meine Äußerungen übrigens auch gar nicht. Wer jetzt noch nicht verstanden hat, dass wir uns den gesellschaftlichen und politischen Realitäten endlich vorbehaltlos stellen müssen, organisiert sich schließlich die eigene künftige Bedeutungslosigkeit. Denkverbote haben noch niemanden weitergebracht und das klare Benennen von Ursachen, damit verbundenen Wirkungen und eigenen Verantwortlichkeiten, sollten doch die Grundlage linker Politik sein. Das kann man übrigens sehr schön bei Lenin lernen, dessen vor 100 Jahren entstandenes Buch „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ ich zusammen mit einem Kollegen in einer kritischen Neuausgabe zur Leipziger Buchmesse veröffentlichen werde. Vielleicht klappt es ja beim UZ-Pressefest auch mit einer Buchvorstellung. Ich freue mich jedenfalls auf die verschiedenen Diskussionen und hoffe darauf, dass diese fruchtbar verlaufen und uns alle nach vorne bringen werden.