Die für vergangenen Freitag fest eingeplante Grundgesetzänderung wurde in letzter Minute doch noch verschoben. Die Fraktionsvorsitzenden von SPD Thomas Oppermann und CDU/CSU Volker Kauder mussten noch einmal Gespräche führen und präsentierten anschließend einen tollen Kompromiss. Die Autobahnprivatisierung, gegen die sich breiter Widerstand gerichtet hatte, wird ausgeschlossen. Es soll demnach folgende zusätzliche Privatisierungsschranke ins Grundgesetz eingefügt werden: „Eine Beteiligung Privater im Rahmen von Öffentlich-Privaten Partnerschaften ist ausgeschlossen für Streckennetze, die das gesamte Bundesautobahnnetz oder das gesamte Netz sonstiger Bundesfernstraßen in einem Land oder wesentliche Teile davon umfassen.“ Wunderbar umständlich und wunderbar an der Sache vorbei.
Und wunderbar so formuliert, dass das eigentliche Vorhaben der Koalitionäre erhalten bleibt: Der Kern der Grundgesetzänderung bleibt unangetastet. Dort soll weiterhin stehen:
„Die Verwaltung der Bundesautobahnen wird in Bundesverwaltung geführt. Der Bund kann sich zur Erledigung seiner Aufgaben einer Gesellschaft privaten Rechts bedienen.“
Die Bürgerinitiative „Gemeingut in Bürgerinnenhand“ sagt dazu, der neue Vorschlag der Koalitionsspitzen ändere so gut wie nichts. „Also schon wieder eine Privatisierungsschranke, die nichts taugt.“ Die Frage stelle sich, ob die Koalitionsspitzen ihre eigenen Abgeordneten hinters Licht führen wollten, heißt es. Auch mit der neuen Regelung würden ÖPP (die notorischen Öffentlich-Privaten Partnerschaften) weiterhin massiv befördert. Mit dem Finanzprodukt ÖPP könne sich jeder Hedgefonds, der genug Geld hat, dann in Deutschlands Autobahnnetz zusammenkaufen, was ihm für seine Zwecke passt.
Kauder und Oppermann waren erfolgreich wie immer, als sie den Medienvertretern gegenüber behaupteten, die Privatisierung der Fernstraßen sei vom Tisch. Ähnliches war am Tag darauf im Fernsehen zu hören und in den Zeitungen zu lesen. Auch die CDU gab sich als Gegnerin der Privatisierung von Autobahnen. Aber gleichzeitig setzen die beiden Parteien die Privatisierung mit kosmetischen Veränderungen erneut aufs Gleis, um in zwei Wochen abstimmen zu lassen – das heißt am Ende der nächsten Woche.
Dann soll eine große Grundgesetzänderung beschlossen werden, die den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern neu regelt. Im Herbst letzten Jahres hatten sich die Regierungen von Bund und Ländern auf einen Kompetenzzuwachs für den Bund geeinigt – mit folgenden Eckpunkten: Der Bund übernimmt die Führung bei der Steuerverwaltung, er erhält künftig mehr Kontroll- und Steuerungsrechte, darf den Kommunen bei Investitionen in den Schulbau „helfen“ und darf statt der Länder künftig die Fernstraßen planen. Der Deal mit den Ländern, den Finanzminister Wolfgang Schäuble ausgehandelt hat, sieht zum Ausgleich für den Kompetenzzuwachs vor, dass die Länder statt des bisherigen Finanzausgleichs zwischen den Ländern aus der Bundeskasse jährlich fast 10 Mrd. Euro mehr erhalten. Daran lässt sich erkennen, wie wichtig der Bundesregierung die geöffneten Privatisierungsmöglichkeiten bei den Fernstraßen und den Investitionen der Kommunen in den Schulbau sind. Unwillige und klamme Kommunen kann der Bund künftig dazu zwingen, sich der Vorabfinanzierung durch ÖPP zu bedienen.
Man könnte meinen, es könne den Bürgern ziemlich egal sein, wer die Autobahnen plant, so lange es einigermaßen zügig, kostengünstig und unter Rücksichtnahme auf Umweltschutz und Bürgerinteressen geht. Anders sehen es aber die Politiker. Sie legen offensichtlich Wert darauf, dem Geldkapital, bestehend aus Banken, Versicherungen und Investment-Fonds eine weitere lukrative Anlagemöglichkeit zu sichern. Im Grundsatz geht es darum, das Staatsfinanzierungsgeschäft nicht nur auszuweiten, sondern lukrativer zu gestalten. Der Staat als Schuldner ist sicher, aber er bringt auch wenig Rendite. Zehnjährige Bundesschuldtitel (Anleihen) rentieren zur Zeit mit gerade mal 0,4 Prozent. Wenn nun der Staat (einschließlich der Länder und Kommunen) den Bau von Straßen, Schulen und Krankenhäusern etc. nicht mehr selbst unternimmt, sondern an Dritte delegiert, müssen diese für ihre Schulden mehr bezahlen als Schäuble. Das ist keine Kleinigkeit. Nimmt man über die Jahre hinweg ein Finanzvolumen für die Fernstraßen von etwa 150 Mrd. Euro an, dann addiert sich eine konservativ geschätzte Zinsdifferenz von vielleicht 3 Prozentpunkten zu Mehrkosten für die Öffentliche Hand (und entsprechende Gewinne der Privaten) von 4,5 Mrd. Euro im Jahr. Wie weit diese Vorhaben in der Summe oder einzeln staatlich und wie weit privat organisiert werden, kann abgestuft geregelt werden. Dazu gerade dienen die Öffentlich-Privaten Partnerschaften.
Im konkreten Fall wurde vereinbart, dass der Bund die Planung und Finanzierung der Straßen einer privatrechtlich organisierten Gesellschaft überträgt, der „Bundesfernstraßengesellschaft“ oder „Infrastruktur-GmbH“. Weder die Gesellschaft noch die Straßen, die auf diesem Weg gebaut werden, müssen deshalb in privatem Eigentum sein. Das war auch nie in der Überlegung. Wichtig ist den Urhebern des Planes nur, dass die Gesellschaft privatrechtlich organisiert ist, um den Einfluss der Parlamente auszuschalten.
Wir verdanken den Plan einem Dream-Team, bestehend aus Sigmar Gabriel (damals noch Wirtschaftsminister), Alexander Dobrindt (Verkehr) und dem durchsetzungsstarken Wolfgang Schäuble (Finanzen). Die drei Minister hatten schon im August 2014 eine „Expertenkommission“ eingesetzt, bei der Vertreter der Finanzkonzerne in der Mehrheit waren. Sie legte alsbald die Planung vor, die jetzt kurz vor der Verwirklichung und Genehmigung durch den Gesetzgeber steht. Es lag den Tätern – den drei oben Genannten und ihrer Chefin – sehr viel daran, ihren Klienten, dem Finanzkapital, dieses Dauergeschenk überreichen zu können. Deshalb wurde das Vorhaben und die dazu nötige Grundgesetzänderung in die Verhandlungen zum Länderfinanzausgleich und der Verteilung der Steuereinnahmen versteckt. Es besteht kein Grund, warum die Bürger des Landes sich diese weitere Plünderung der Staatskassen gefallen lassen sollten.