Plastikbeutel und Kaffeebecher

Von Klaus Wagener

Die Berichte des UN-Klimarates werden immer alarmierender. Die Bewegung „Fridays for Future“ ist in dem einen Jahr, in dem sie existiert, zu einer breiten internationalen Bewegung geworden, die Zehntausende auf die Straße bringt. Spätestens mit der Veröffentlichung des Videos „Die Zerstörung der CDU“ des „Influenzers“ Rezo (15,7 Mio. Klicks) ist den Großkoalitionären in Berlin schlagartig klar geworden, dass sie dabei sind, ihren Einfluss auf einen Teil der Jugend zu verspielen.

Aktions-PR ist also angesagt. Natürlich will niemand dort die Profite derer antasten, die an der Klimazerstörung bestens verdienen. Und niemand will über die Ursachen der katastrophalen Lage aufklären, in der wir stecken. So gibt es ein „Klimakabinett“ ohne Initiativen und Beschlüsse. Aber nun soll es zumindest so aussehen, als würde etwas passieren.

Die Aufgabe ist gewaltig. Es geht um Klimaneutralität bis spätestens Mitte des Jahrhunderts – also um die Senkung des „CO2-Fußabdrucks“ auf Null. Das zu erreichen setzt einen gesamt-gesellschaftlichen Umbau voraus, der in etwa mit den Umwälzungen seit der industriellen Revolution vergleichbar ist. Es geht um einen weitgehenden produktionstechnischen und -strukturellen, städtebaulichen, verkehrspolitischen, energietechnischen, agrarindustriellen und ernährungspolitischen Umbau, der tatsächlich eine neutrale Klimabilanz möglich machen könnte. Stattdessen will die Umweltministerin Plastiktüten und Kaffeebecher verbieten, die CDU-Chefin eine Abwrackprämie für Ölheizungen. Man diskutiert über Zertifikate-Handel und die Einführung einer CO2-Steuer.

Wenn es darum geht, den Menschen mit dem ökomoralischen Zeigefinger mehr Geld aus dem Portemonnaie zu ziehen, dann sind sich CDU und SPD schnell einig. So sind die Strompreise seit dem Jahr 2000 auf etwa das Doppelte gestiegen, ohne dass das den Ausstieg aus der Braunkohleverstromung signifikant beschleunigt hätte. Die Gewinne der Energie-Riesen in zweistelliger Milliardenhöhe sind für Berlin ohnehin sakrosankt. Ebenso wie die der Autokonzerne, die aus ihrem gewaltigen Umweltbetrug nahezu keine Konsequenzen ziehen mussten. Der Verkehrsminister bezeichnet ein Tempolimit als Irrsinn. Die Landwirtschaftsministerin präsentiert sich als Werbedame des Nestlé-Konzerns und als Lobbyistin der Agrar- und Turbofleisch-Industrie. Der Kanzlerin und ihrem Finanzminister geht es um die Rettung der schwarzen, wahlweise auch grünen Null. Es ist an Tristesse nicht zu überbieten.

Ein Beispiel: Der Verkehr ist in der Bundesrepublik für etwa 20 Prozent der Klimagas-Emissionen verantwortlich, er müsste aus vielerlei Gründen drastisch reduziert und von Mineralöl- oder Kohlestrom-getriebenen individuellen Pkw- und Lkw-Verkehren vor allem auf regenerative Energie nutzende Kollektivsysteme, Eisenbahnen, Fahrräder und ähnliches umgestellt werden.

Allein der Personenverkehr beträgt 3,2 Milliarden Kilometer pro Tag. Die gegenwärtigen Kapazitäten des ÖPNV – sein Anteil am Verkehrsaufkommen liegt bei rund 10 Prozent – sind nicht darauf ausgelegt, tatsächlich einen ökologisch relevanten Teil des Individualverkehrs zu übernehmen. Beim Güterverkehr sieht es eher noch miserabler aus. Hier wären nicht schöne Worte, sondern Investitionen in mehrstelliger Milliardenhöhe notwendig, um die Lage zu bessern. Statt über die grüne Null wäre über Abgaben für jene Großkonzerne zu diskutieren, die an unserem riesigen „CO2-Fußabdruck“ zig Milliarden verdienten.

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"Plastikbeutel und Kaffeebecher", UZ vom 16. August 2019



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