Am 28. Januar 1972 beschlossen die Ministerpräsidenten und der SPD-Bundeskanzler Willy Brandt, der heute noch verbunden wird mit dem Ausspruch „mehr Demokratie wagen“, die Berufsverbote.
„Insbesondere mithilfe der ‚Regelanfrage‘ wurden bundesweit etwa 3,5 Millionen Bewerberinnen und Bewerber von den Einstellungsbehörden auf ihre politische ‚Zuverlässigkeit‘ durchleuchtet. Diese Behörden erhielten ihre ‚Erkenntnisse‘ insbesondere vom ‚Verfassungsschutz‘, welcher in dieser Zeit insgesamt 35.000 Dossiers über politisch Andersdenkende fertigte. In der Folge des ‚Radikalenerlasses‘ kam es in der damaligen Bundesrepublik zu 11.000 offiziellen Berufsverbotsverfahren, 2.200 Disziplinarverfahren, 1.250 Ablehnungen von Bewerbungen und 265 Entlassungen. (…) Zur Abwehr angeblicher Verfassungsfeinde sollten ‚Personen, die nicht die Gewähr bieten, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten‘, aus dem öffentlichen Dienst ferngehalten beziehungsweise entlassen werden. Formell richtete sich der Erlass gegen ‚Links- und Rechtsextremisten‘, in der Praxis traf er aber vor allem politisch Aktive des linken Spektrums: Mitglieder kommunistischer, sozialistischer und anderer linker Gruppierungen, bis hin zu Friedensinitiativen. Den Betroffenen wurden fast ausnahmslos legale politische Aktivitäten, wie die Kandidatur bei Wahlen, die Teilnahme an Demonstrationen oder das Mitunterzeichnen politischer Erklärungen vorgeworfen. (…)
Systemkritische und missliebige Organisationen und Personen wurden an den Rand der Legalität gedrängt, die Ausübung von Grundrechten wie der Meinungs-, Organisations- und Versammlungsfreiheit wurde behindert, bedroht und bestraft. Bis weit in die 1980er-Jahre vergiftete die Jagd auf vermeintliche ‚Radikale‘ das politische Klima. Statt Zivilcourage und politisches Engagement zu fördern, wurden Duckmäusertum erzeugt und Einschüchterung praktiziert.
Während das Bundesverfassungsgericht keinen Verfassungsverstoß feststellte, wurde die Praxis der Berufsverbote vom Europäischen Gerichtshof (für Menschenrechte) und weiteren internationalen Institutionen als völker- und menschenrechtswidrig verurteilt.“
Diese Zusammenfassung stammt aus einem Entschluss des Niedersächsischen Landtags, der vor fünf Jahren mit den Stimmen von SPD und Die Grünen verabschiedet wurde. Es gab sogar eine Entschuldigung – allerdings keine Entschädigung.
In der Koalitionsvereinbarung der Ampelparteien heißt es: „Um die Integrität des Öffentlichen Dienstes sicherzustellen, werden wir dafür sorgen, dass Verfassungsfeinde schneller als bisher aus dem Dienst entfernt werden können.“ Genannt werden: „Rechtsextremismus, Islamismus, Verschwörungsideologien und Linksextremismus“. Diese trübe Totalitarismusbrühe wird weiterhin dazu führen, dass die Geheimdienste definieren, wer Verfassungsfeind ist.
Instrumente zur Erneuerung der Berufsverbotepraxis liegen griffbereit in der Schublade. Vorerst werden andere Mittel bemüht, den gesellschaftlichen Fortschritt zu bremsen.
Wir dokumentieren hier den Fall des Stuttgarter Postbeamten Hans Peter. Weitere Infos unter: berufsverbote.de
Hans Peter, geboren 1930, seit 1947 in der Gewerkschaft organisiert, kam nach einer Ausbildung als Elektroinstallateur Anfang 1951 zur Deutschen Bundespost und wurde bis 1954 zum Fernmeldehandwerker ausgebildet. 1959 „Beamter auf Lebenszeit“, wurde er über verschiedene Stufen bis 1971 zum Technischen Fernmeldehauptsekretär befördert. Die Deutsche Bundespost war Teil der öffentlichen Verwaltung und zuständig für den Post- und Briefverkehr sowie das Fernmeldewesen und verfügte über ein eigenes Sparkassensystem. Die Mehrzahl der Beschäftigten war verbeamtet.
Erstmals 1972 wurde Hans Peter von Vorgesetzten auf sein politisches Engagement bei der DKP angesprochen. Per Telefon wurde ihm später mitgeteilt, dass man den Eindruck habe, er stehe auf dem Boden der Verfassung.
Fünf Jahre später erhielt er einen Brief, dass seine Tätigkeit für die DKP ein Dienstvergehen sei, da diese Partei „verfassungsfeindliche“ Ziele verfolge. Ein Vorermittlungsverfahren wurde eröffnet, in dem Hans Peter fünfmal verhört wurde. Es lagen keinerlei Verfehlungen vor.
Am 15. November 1978 wurde er als „Sicherheitsrisiko“ versetzt. Kurz darauf wurde ein förmliches Disziplinarverfahren mit dem Ziel der Entfernung aus dem Dienst eingeleitet. Da es in der „Anschuldigungsschrift“ nicht um die Person und das Verhalten Hans Peters ging, sondern um die DKP, setzte das Bundesdisziplinargericht das Verfahren vorübergehend aus. Es verlangte eine eigene Untersuchung über die „Verfassungsfeindlichkeit“ der DKP. Es kam zu weiteren Vernehmungen, in deren Verlauf Hans Peter eine Kandidatur zur Kommunalwahl 1979 und die Funktion in der Kreisrevisionskommission der DKP vorgeworfen wurden.
Das Verfahren endete im März 1980 mit einem Freispruch. Allerdings folgte das Gericht nicht den Thesen der Verteidigung, sondern versah den „Freispruch“ mit dem Hinweis, dass eine unentschlossene Haltung des Dienstherrn vorgelegen habe und diese führe zur Nachsicht gegenüber dem Bediensteten.
Gegen diesen Freispruch legte die Bundesregierung Revision ein und gewann vor dem Bundesverwaltungsgericht. Im Oktober 1981 wurde Hans Peter entlassen.
„Dass es zu diesem Urteil kommen konnte, verschuldet allein die SPD/FDP-Bundesregierung. Sie trägt die Verantwortung für die Entlassung Hans Peters aus dem Dienst“, arbeitete die Initiative „Weg mit den Berufsverboten“ in einer Erklärung vom 6. November 1981 heraus. Gemeint war das damalige Bundeskabinett von Helmut Schmidt (1918 bis 2015). Auch das Stuttgarter Bündnis verurteilte das „Gesinnungsurteil gegen Hans Peter“. „Kommt jetzt eine Säuberungswelle?“, fragte der „Spiegel“ in seinem Bericht vom 2. November 1981.
Zuvor war Hans Peter am 30. Juli 1981 noch folgendes „Angebot“ unterbreitet worden: Er solle nach 30 Dienstjahren „freiwillig“ aus dem Beamtenverhältnis ausscheiden, einen Angestelltenvertrag unterschreiben, seine Einstufung als „Sicherheitsrisiko“ hinnehmen und sich deshalb in das 60 Kilometer entfernte Rottenburg am Neckar (Landkreis Tübingen) versetzen lassen. Garantien irgendwelcher Art gab es keine. „Ich hätte einen Einkommensverlust von monatlich 200 DM hinnehmen müssen, eine berufsfremde Tätigkeit ausüben müssen, hätte keinerlei berufliches Fortkommen mehr gehabt, keine Zusicherung für meine weitere berufliche Sicherheit, keine Garantie, dass ich meine Weltanschauung und meine Tätigkeit für die DKP (…) nicht aufgeben soll.“
Hans Peter hatte daher sowohl die Erpressung mit dem „freiwilligen“ Angestelltenvertrag als auch die Versetzung abgelehnt. „Es ist uns klar“, schrieb er zusammen mit seinem gleichermaßen betroffenen Kollegen Hans Meister an den Postminister, „dass hinter diesem Angebot auch der Versuch steckt, diese Ablehnung gegen uns zu wenden, damit Politik gegen uns zu machen. Als ‚Beweis‘, dass wir Kommunisten ‚Märtyrer‘ für unsere Sache bräuchten. Als Beweis, dass wir an einer ‚Lösung‘ der Berufsverbote nicht mitarbeiten wollten. In diese Ecke lassen wir uns nicht stellen. (…) Dass wir dieser Erpressung nicht nachgeben, hat mit Märtyrertum nichts zu tun. Wir verteidigen damit unsere Ehre als Bürger und Beamte dieses Staats, aber auch unsere Ehre als Mitglieder einer politischen Bewegung, die am Zustandekommen dieses Grundgesetzes großen Anteil hat, die im antifaschistischen Widerstandskampf die größten Opfer gebracht hat.“
Von dem Schlag der gerichtlich verfügten Entlassung erholte sich der unehrenhaft aus dem Dienst gejagte, damals 51-jährige Hans Peter nie mehr. Er konnte nicht mehr arbeiten – was auch und wo auch –, bekam weder Arbeitslosengeld noch Pension und kam nicht klar mit dem, was ihm angetan worden war. Den Lebensunterhalt verdiente seine Frau Ruth Peter (geboren 1933) als Sekretärin bei der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA). Am 12. Februar 1990 starb Hans Peter, 59-jährig, und am 13. März 1992 auch Ruth Peter.