Bei der Bahn stehen Tarifverhandlungen an und die Vorsitzenden der Gewerkschaften Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG und die Lokführergewerkschaft GDL haben eine harte Tarifauseinandersetzung angekündigt.
Das wird dem Verkehrsministerium nicht passen. Dort gibt es bereits seit längerem Pläne, das Streikrecht im Verkehrswesen massiv einzuschränken, denn es gebe viel zu viele Streiks und davon seien viel zu viele Menschen und Unternehmen betroffen. Streiks gingen sogar mit „großen Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung einher“, wie es in einem Bericht des Beirats des Ministeriums heißt.
Die „substantiellen gesamtwirtschaftlichen Kosten“ kann die Versammlung von Professoren allerdings nicht nachweisen, wie eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) kritisiert. Die tatsächliche Höhe der Kosten durch Streiks im Verkehrswesen sei schwer zu beziffern. Die Berechnungen von Unternehmen seien kaum nachvollziehbar und es sei unklar, welche bzw. wessen Kosten eigentlich gemeint seien, da nicht zwischen privaten und öffentlichen Kosten unterschieden werde.
Dem Bericht des Verkehrsministeriums mangelt es daher auch an Zahlen. Er verlegt sich deshalb lieber auf derbe Vokabeln und absurde Vergleiche– so werden Passagiere und Unternehmen durch Streiks angeblich „in Geiselhaft“ genommen. Denn was passiert, wenn der Bahnreisende plötzlich Auto fahren muss? Das statistische Todesrisiko für PKW-Nutzer je Milliarden Personenkilometer liege um den Faktor 42 höher als für einen Bahnreisenden. Zitat: „Aus verfassungsrechtlicher Sicht ergibt sich daraus ein latenter Konflikt zwischen der Ausübung des Grundrechts der Koalitionsfreiheit einerseits und den potenziellen Gefährdungen des Schutzgutes Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit andererseits.“ Streiks bei der Bahn können tödliche Folgen haben, deshalb muss das Streikrecht eingeschränkt werden – das ist kein Scherz, sondern bitterer Ernst.
Das Problem der Regierung sei nämlich, dass durch den hohen Organisationsgrad von „Spezialisten“ wie Lokführern und ihrer offensiven Streiktaktik ein Konkurrenzkampf unter den Gewerkschaften entbrannt sei, der dazu führe, dass „die Arbeitskampf- und Tarifstrategien der Spartengewerkschaften immer häufiger auch von den Großgewerkschaften nachgeahmt werden“, wie es im Bericht heißt.
Wer sich an die unglaubliche Hetze gegen GDL-Chef Weselsky erinnert, weiß, dass es hier um politische Fragen geht. Lokführer, Piloten und Kabinenpersonal führten neben den Erziehern Aufsehen erregende Arbeitskämpfe und stießen keineswegs auf Ablehnung in der Bevölkerung, sondern auf Akzeptanz bis Solidarität.
Die „Experten“ des Ministeriums sammeln in ihrem Bericht die Einschränkungen des Streikrechts in anderen Ländern und fordern dann neben Notfallplänen und längeren Ankündigungsfristen vor allem eine Zwangsschlichtung, die vor Beginn eines Streiks eingeleitet werden soll. Bei Nichteinigung muss sich der Schlichter für das letzte Angebot einer der beiden Seiten entscheiden. Das soll den „Druck auf beide Seiten erhöhen, eine Einigung im Vorfeld zu erzielen“. Außerdem solle Streik nicht mehr als „höhere Gewalt“ klassifiziert und Kundenrechte bis zu Schadensersatzforderungen ausgeweitet werden, damit Streiks richtig teuer werden.
Die FES-Studie meint, diese Eingriffe seien nicht zu rechtfertigen und eine „Gefährdung des Gemeinwohls“ zu verneinen. Die BRD sei nie eine Streikrepublik gewesen und sei auch jetzt keine.