Bei der Nachwahl für den Unterhaussitz in Batley/Spen in West-Yorkshire am Donnerstag letzter Woche erhielt die Labour-Kandidatin Tracy Babin 85 Prozent der abgegebenen Stimmen.
Die Wahl war notwendig geworden, weil die Parlamentsabgeordnete Jo Cox (Labour) im vergangenen Juni ermordet worden war. Die beiden etablierten Parteien Konservative und Liberale Demokraten hatten keine Gegenkandidaten gestellt, um ihren Respekt vor der Ermordeten zu demonstrieren. Kleine Parteien und die Faschisten erreichten zusammen lediglich knapp 10 Prozent der Stimmen.
H. G.-B.
Die britische Premierministerin Theresa May machte in der vergangenen Woche – nicht unerwartet – klar, wo sie sich positioniert, schob nach ihrer Parteitagsrede aufgekommenen Spekulationen über eine konservative „Arbeiterpartei“ den von ihren Auftraggebern erwarteten Riegel vor. Sie versicherte beim groß aufgemachten und in den Medien hochgehängten Treffen den Chef des japanischen Autogiganten Nissan der vollen Loyalität ihrer Regierung. Carlos Ghosn, Gewerkschaftsfeind und Peitschenschwinger bei Nissan – seine Fabrik in Sunderland exportiert 76 Prozent ihrer Produktion in EU-Staaten – war angetan: „Ich bin zuversichtlich, dass die britische Regierung alle Bedingungen schaffen wird, die es unserer Firma möglich machen, weiter in Großbritannien zu investieren“.
Der Medien-Hype um Mays Kniefall vor Nissan – 800 000 Arbeitsplätze sind im Königreich von der Automobilproduktion abhängig – drängte Berichte über Jeremy Corbyns „Umbau des Schattenkabinets“ genauso in den Hintergrund wie Meldungen über die Entwicklung der Labour-Partei selbst.
Mit mittlerweilen mehr als 650 000 Mitgliedern und weiterhin starkem Zuwachs ist Labour zur mitgliederstärksten politischen Partei Europas geworden und das unter Bedingungen, die von der „Financial Times“ als „parteiinterner Bürgerkrieg“ charakterisiert wurden.
Abgesehen vom Ad-absurdum-Führen des europaweiten Trends vor allem junger Menschen zur „Politikverdrossenheit“ und der Gegnerschaft zu Parteien ist die soziale Herkunft der neuen Labour-Mitglieder hochinteressant: Sie kommen zu großen Teilen aus der Arbeiterklasse. Seit Corbyns Amtsantritt als Labour-Vorsitzender sind der Partei weit über 100 000 Menschen beigetreten, davon gut die Hälfte jünger als 40 Jahre, etwa zwei Drittel davon sind Gewerkschaftsmitglieder.
Die Rechten in den eigenen Reihen hatten alles versucht, Corbyns Wiederwahl als Vorsitzender zu verhindern, ihr härtester Schlag war ein in zweiter Instanz erwirktes Gerichtsurteil, welches den „Supportern“, also Neuen, die noch nicht Vollmitglieder sind, das Wahlrecht absprach. Nach diesem „schändlichen Urteil“ (Corbyn) jubelte die rechte Presse, zahlreiche Demoskopen sagten seine Abwahl voraus. „Dieser Trick hatte genau die gegenteilige Wirkung“ sagte ein Aktivist der Unterstützergruppe „Momentum“ der UZ. „Die Leute standen an den Wahlkreisbüros Schlange, um sich als Vollmitglieder registrieren zu lassen“. Das Ergebnis ist bekannt (die UZ berichtete): Mit satten 62 Prozent der Wahlberechtigten übertraf Jeremy Corbyn alle Erwartungen.
Dieses erfolgreiche Agieren der britischen Oppositionspartei „gegen die Prognosen“ und alle Medientrends zieht sich wie ein roter Faden durch Corbyns Arbeit. Die von Gordon Brown und Tony Blair prognostizierte Katastrophe konnte seine erste Wahl nicht verhindern. Das Gezetere, der „harte Linke“ habe sich nicht genug für die EU engagiert und damit vor der Abstimmung über den EU-Austritt der „Lexit-Kampagne“ zugearbeitet, lief voll ins Leere. Totschweigen seitens der Medien ging auch nicht: Laut Presseabteilung der Parteizentrale veröffentlichten die Leitmedien im vergangenen Jahr nur knapp 8 Prozent der Labour-Medienerklärungen.
Der nächste Flop der Rechten in und um Labour ist programmiert: Die Drohung „moderater“ Parlamentsabgeordneter, unter dem Linken Corbyn nicht weitermachen zu wollen und mit Liberalen eine neue Partei zu gründen, ist dabei, sich in Luft aufzulösen, zahlreiche „Gegner“ haben sich bei der Umbesetzung des (politisch bedeutungslosen) Schattenkabinetts beworben und wurden auch berücksichtigt. Eine Austrittswelle aus der Partei ist nicht eingtreten.
Die Frage, ob die Wiedererstehung der Labour Party das Werk des „lovely guy“ (liebenswerter Kerl), des „working class kid“ (Kind der Arbeiterklasse), wie Jeremy Corbyn im Volksmund genannt wird, ist, oder ob Inhalte die Hauptrolle spielen, ist nicht eindeutig zu beantworten. Zwei Aspekte sind sehr deutlich:
H Corbyn kommt aus der Friedensbewegung, hat kompromisslos das Atomwaffenprogramm abgelehnt und verspricht eine Friedenspolitik unter Labour. Der Friedenswille vieler Menschen scheint eine neue Stimme zu finden.
H Er hat traditionelle Labour-Werte, das Verhältnis zur „Wiege der Partei“, den Gewerkschaften und eine hohe Gewichtung von produzierender Industrie, vom Staub befreit und scheut sich nicht, sich als Sozialist zu bezeichnen. Ungeachtet der vom Kapitalismus gesetzten Grenzen, an die Corbyn und seine Freunde stoßen werden, zeigt die Entwicklung der Labour-Partei was viele Menschen im Land ersehnen.