UZ: Über 30 000 Menschen haben mittlerweile den Aufruf „Abrüsten statt Aufrüsten“ unterschrieben. Damit protestieren sie gegen Pläne der Bundesregierung, die Rüstungsausgaben nahezu zu verdoppeln. Reicht eine Unterschriftensammlung tatsächlich aus, um die Aufrüstung zu verhindern?
Willi Hoffmeister: Ob das ausreicht? Wer will das vorab beurteilen. Ich weiß nur eins, und das war in all den Jahrzehnten bei betrieblichen und sozialen Auseinandersetzungen unsere Losung: „Wer kämpft kann verlieren, wer nicht kämpft hat schon verloren!“ Nur wer sich bewegt kann etwas bewegen und je mehr Menschen den Aufruf unterschreiben umso größer wird der Druck auf die aufrüstungsgeile Regierung. Der Krefelder Appell mit seinen rund fünf Millionen Unterschriften zu Beginn der 1980er Jahre ist dafür ein gutes Beispiel. Aber ein richtiger Schuh wird erst daraus, wenn – und da bin ich wieder bei der Bewegung – 1983 die fünf Millionen „Krefelder“-Unterschreiber vor Kanzler Kohls Amtssitz in Bonn ihr Biwak aufgeschlagen hätten. Dann, so meine feste Überzeugung, wäre der von der Regierung Schmidt initiierte „NATO-Doppelbeschluss“ von der Nachfolgeregierung Kohl nicht beschlossen worden.
UZ: Der Rüstungsetat soll insgesamt um satte 30 Milliarden Euro erhöht werden. Fehlt dieses Geld dann nicht im zivilen Bereich?
Willi Hoffmeister: Jeder Euro kann nur einmal ausgegeben werden. Entweder für Butter oder für Kanonen. Wir erleben gerade, begleitet von einem riesigen Medienrummel, wie die „kaputtgesparte“ Bundeswehr bejammert wird. Dabei stieg der Rüstungsetat von 1999 bis 2017 von 24,3 auf 37 Mrd. Euro. So wird versucht, die 70 Prozent rüstungsunwilligen Bundesbürger zu beeinflussen. Wenn in den nächsten Jahren weitere rund 30 Milliarden Euro dem Sektor „Kanonen“ zugeordnet werden, wird das noch mehr zu Lasten des Sozialetats gehen.
UZ: Wofür würdest du das Geld verwenden?
Willi Hoffmeister: Es gibt sicher genug Löcher, die gestopft werden müssten. Die Unterschriftenkampagne „Abrüsten statt Aufrüsten“ fordert, dieses Geld nicht für die unsinnigsten Produkte, für Material zum Töten auszugeben. Ich möchte sie da ausgeben, wo sie direkt dem Leben und der friedlichen Zukunft dienen. So zuerst den von der Bundesrepublik nie erfüllten Anteil der Entwicklungshilfe ab sofort einzuzahlen. Die Rüstungsproduktion würde ich generell einstellen und den in der Rüstungsproduktion freiwerdenden Arbeitskräften Hilfe zur Umschulung leisten.
UZ: Ist es nicht völlig unglaubwürdig, derart viel Geld für Rüstung und Waffen aufzuwenden und zugleich auf knappe Kassen zu verweisen?
Willi Hoffmeister: Es ist schon bezeichnend, dass die „Sucht“ nach immer mehr und immer gefährlicheren Waffen denkende und sich als zivilisiert bezeichnende Menschen erfasst, sobald sie etwas Macht in die Hände gelegt bekommen. Glaubt Frau Merkel oder ihre Waffenministerin denn allen Ernstes, mit immer mehr Waffen Frieden oder auch nur Sicherheit zu schaffen? Das Gegenteil ist doch der Fall. Das arme Kuba hat mit seinem medizinischen Kräften in vielen Ländern Hilfe geleistet und das reiche Deutschland hat nicht einmal für seine eigenen Bürger genügend Pflegepersonal. Hat mal jemand ausgerechnet, wie viele Pflegekräfte ein Panzer „verschlingt“?
UZ: Führt die anhaltende Aufrüstung Deutschlands und der Einsatz deutscher Waffen am Ende nicht auch zu höheren Flüchtlingszahlen?
Willi Hoffmeister: „Deutsche Waffen, deutsches Geld, morden mit in aller Welt!“ Wie wahr der Spruch immer noch ist. Mit der Entstehung der Bundesrepublik Deutschland und mit der Unterstützung der Westalliierten gelang es den Kanonenkönigen an Rhein und Ruhr, wieder Fuß zu fassen und das für sie lukrative Waffengeschäft wieder unter ihre Fittiche zu bekommen. Adenauers Wiederbewaffnungspolitik bot ihnen den ersten Absatzmarkt, der aber bald ihren Profitansprüchen nicht mehr genügte. Heute gibt es keine kriegerische Auseinandersetzung mehr, wo nicht deutsche Waffen mittöten. Vielen Menschen in den Kriegsgebieten bleibt da als letzter Weg die Flucht. Es wäre an der Zeit, auf Kosten der Waffenproduzenten den Geflüchteten einen lebensgerechten Verbleib zu gewährleisten.
UZ: Du hast dich über Jahrzehnte hinweg in der Friedensbewegung und in den Gewerkschaften engagiert. Ist die Forderung nach Abrüstung in den Gewerkschaften wieder verstärkt Thema?
Willi Hoffmeister: Die Gewerkschaften sind die größte Friedensbewegung, hat mir mal ein Funktionär der IG Metall gesagt. Ich bin über 60 Jahre Mitglied und habe unterschiedliche Erfahrungen damit gemacht. Es gab immer Funktionäre und Vorstandsmitglieder, die den Teil der besonders engagierten gewerkschaftlichen Friedensbewegten unterstützten, und es gab auch Zeiten, wie in den 80er Jahren, wo bei der Vielfalt gewerkschaftlicher Arbeit viel Kraft in Friedensarbeit eingebracht wurde. Die jetzigen Abrüstungsbeschlüsse des DGB Nord und Niedersachsen setzen in der Vorbereitungszeit des nächsten DGB-Kongresses ein starkes Zeichen. Da die Rüstungsbeschäftigten überwiegend in der IG Metall organisiert sind, ist besonders erfreulich, dass der letzte Gewerkschaftstag wichtige Beschlüsse zur Rüstungskonversion gefasst hat.
Nur eins bleibt: Umgesetzt werden müssen diese vor Ort. Des Weiteren gibt es eine Reihe gewerkschaftlicher Initiativen und die Anzahl von gewerkschaftlichen Unterzeichnern des Abrüstungsaufrufs zeigt eine große Zustimmung.
UZ: Du bist einer der Gründungsväter der Ostermarschbewegung. Sind die in Kürze wieder anstehenden Märsche der Friedensbewegung nicht der geeignetste Ort, die Themen Frieden und soziale Gerechtigkeit zusammenzubringen?
Willi Hoffmeister: Mein Mitwirken bestand 1961 darin, beim ersten Ostermarsch Ruhr meine Füße zu bewegen. Wobei wir wieder beim Bewegen wären. Ich behaupte mal, dass die Ostermärsche immer ein Spiegelbild der sozial- und friedenspolitischen Begebenheiten und Forderungen waren und auch sein werden. Dazu ein Zitat aus dem diesjährigen Aufruf zum Ostermarsch Rhein-Ruhr: „30 Milliarden Euro, die im zivilen Bereich fehlen, so bei Schulen und Kitas, sozialem Wohnungsbau, Krankenhäusern, öffentlichem Nahverkehr, kommunaler Infrastruktur, Alterssicherung, ökologischem Umbau, Klimagerechtigkeit und internationaler Hilfe zur Selbsthilfe. Militär löst keine Probleme. Schluss damit. Eine andere Politik muss her. Militärische Aufrüstung stoppen, Spannungen abbauen, Perspektiven für Entwicklung und soziale Sicherheit schaffen.“
Die Friedensbewegung und somit auch die Ostermärsche waren nie eine Ein-Punkt-Bewegung und auch in der Schwerpunktsetzung stets unterschiedlich bei aller antimilitaristischer Ausrichtung. „Atomwaffen abschaffen“ war immer ein Thema und ich glaube, dass die Unterschriftenkampagne „Abrüsten statt Aufrüsten“ den diesjährigen Märschen und den kommenden Wochen und Monaten eine breite, richtige und notwendige Stoßrichtung geben wird. Die Frage steht: „Butter oder Kanonen?