Am 12. September vermeldete die gewerkschaftsnahe „Hans Böckler Stiftung“, der vom Institut für Makroökonomie und Konjunktur (IMK) geführte Konjunkturindikator sei „auf Rot“ gesprungen: Das Risiko für eine umfassende Rezession der bundesdeutschen Wirtschaft sei über die 50-Prozent-Wahrscheinlichkeitsmarke gerutscht.
Fast gleichzeitig fand in Berlin die sogenannte Generaldebatte des Deutschen Bundestages statt, der in erster Lesung den von der Bundesregierung vorgelegten Haushalt 2020 zu beraten hatte. Das eigentlich Erstaunliche dieser Debatte war, dass die der IMK-Analyse zugrundeliegenden Trends eine Randrolle spielten. Dabei ist jedem klar: Der Staatsapparat hängt im Kapitalismus am Tropf der außerhalb des Staatsapparates generierten Geldströme. Von ihnen zapft er – vor allem durch Verbrauchssteuern und gleich danach durch direkte Besteuerung der Einkommen der abhängig Beschäftigten – einen erklecklichen Teil ab, von dem er den staatlichen Repressionsapparat und einige Maßnahmen zur Abfederung der dem Kapitalismus eigenen Produktion von Ungleichheit finanziert. Schwächen sich die Geldströme ab, versiegen dem Staat die Einnahmequellen. Die jetzt noch erreichten 360 Milliarden Euro sind auf ihrer Ausgabenseite ein Indikator, wo Prioritäten gesetzt werden und wie sie sich zu verschieben beginnen. Darüber hatte die UZ am 6. und 13. September bereits berichtet: Angesichts der schon länger zurückgehenden Steuerschätzungen sind einige soziale Projekte wie das der „Respekt-Rente“ auf Warteschleife gesetzt worden, während der Wehretat sich über eine Steigerung von 4 Prozent auf nun fast 45 Milliarden Euro freuen darf. Sieben Milliarden Euro fließen allein im kommenden Jahr, so will es die Bundesregierung, in neue Waffensysteme.
Haushaltsdebatten sind in gewisser Weise immer Routineveranstaltungen. Die diesjährige Debatte aber nahm bizarre Züge jenseits jeder Realität an. Über weite Strecken debattierte das Parlament Klimafragen – die sich im Haushalt überhaupt nicht abbilden. Die größte Oppositionspartei – die „Alternative für Deutschland“ (AfD) – nahm diese Schwerpunktsetzung zum Anlass, sich als Gegner der Verantwortung bundesdeutscher Politik für den Klimawandel und damit aller bereits diskutierten Belastungen für Arbeiter und Angestellte zu profilieren. Sie nutzt damit, wer kann es ihr verübeln, die Steilvorlage, die ihr das herrschende Parteienkartell für das weitere Wachstum als die vermeintliche Systemopposition liefert.
In dieses herrschende Parteienkartell unbedingt hinein möchte die bisher noch außen vor gehaltene Partei „Die Linke“, deren Fraktionsvorsitzender Dietmar Bartsch in Richtung SPD formulierte, er habe „die Hoffnung, dass ein Mitte-Links-Bündnis möglich wird. Das wäre gut für unser Land, Europa und die Welt.“ Das Wort „wäre“ klingt wie „hätte, hätte Fahrradkette“ – die jüngsten Wahlen haben die Basis für solche Hoffnungen weiter schrumpfen lassen, egal welche Tänze um ein solches Bündnis im Bundestag aufgeführt werden.
Es war insgesamt eine Debatte, die von den heraufziehenden Gewitterwolken gänzlich unbeeindruckt schien. In dem Moment, wo die „Mechanismen der sozialen Marktwirtschaft“ nicht nur aus Sicht des IMK nicht mehr funktionieren, beschwört Kanzlerin Angela Merkel genau diese Mechanismen als den Orientierungspunkt für alle Maßnahmen zur Bewältigung der „Menschheitsherausforderung“ Klimawandel. Dieses Pfeifen unter dunklen Wolken hat Züge der Wirklichkeitsverweigerung.
Ändern wird sich an dem vorgelegten Plan bis zu seiner Verabschiedung im November voraussichtlich nichts mehr. Auch das gehört zum Ritual bürgerlicher Parlamente: Vorlage Haushaltsplan, Fensterreden in der ersten Lesung, Durchjagen der Einzeletats im Haushaltsausschuss, dann weitgehend unveränderte Verabschiedung in dritter Lesung. Business as usual – und draußen im Lande schnürt sich der Krisenknoten immer fester zusammen.