UZ: Am 17. Oktober ist ein 39jähriger Mann in einem Bielefelder Krankenhaus gestorben, gegen den die Polizei zuvor mit Pfefferspray vorgegangen war. Handelt es sich bei diesem Vorfall einzig um einen bedauerlichen Einzelfall?
Jasper Prigge: Es ist nicht wirklich wichtig, ob ich diesen Fall als Einzelfall betrachte oder nicht. Fakt ist, dass es bereits mehrere Todesfälle infolge von Pfeffersprayeinsätzen durch Polizeibeamte gab. Beispielsweise ist in der Nacht zum 24. Juni 2010 ein junger Mann in Dortmund verstorben. Wie offenbar auch der Mann aus Bielefeld, hatte auch er zuvor Kokain konsumiert. Der „Spiegel“ hat in der Vergangenheit über weitere Fälle berichtet. Das reicht meines Erachtens aus, um zu fordern, den Einsatz mit diesem gefährlichen Reizstoff einzustellen.
UZ: Pfefferspray wird jedoch mittlerweile selbst im Drogeriemarkt DM für die breite Bevölkerung angeboten …
Jasper Prigge: Diese Entwicklung halte ich für fatal. Da wird eine Waffe als „Tierabwehrspray“ neben Hautcreme verkauft. Als ob es nötig oder normal wäre, bewaffnet herum zu laufen. Die eigene Sicherheit verbessert sich durch ein Mitführen dieses Sprays aber nicht. Vielmehr wiegen sich die Leute in falscher Sicherheit. Die meisten Menschen können mit einem solchen Spray ja nicht einmal fachgerecht umgehen. Es reicht ein kleiner Windstoß und der Reizstoff landet im eigenen Gesicht und nicht etwa in dem des Angreifers. Die handelsüblichen Pfeffersprays besitzen auch nicht die Sprühkraft wie die der Polizei. Im Übrigen zeigen die eingangs erwähnten Fälle, wie lebensbedrohlich Pfefferspray unter gewissen Umständen wirken kann.
UZ: Gilt das nur für Konsumenten von Drogen oder auch für andere Bevölkerungsgruppen?
Jasper Prigge: Die Gefahr ist für einige Gruppen überdurchschnittlich groß. Besonders für Konsumenten chemischer Drogen und Menschen, die auf die Einnahme Psychopharmaka angewiesen sind. Natürlich aber auch für Menschen mit Asthma, allergischen Erkrankungen, oder Personen mit Herz- und Kreislauferkrankungen.
UZ: Etablierte Politik, Polizei und Behörden bestreiten das hingegen …
Jasper Prigge: Und zwar zu Unrecht. Ich kann mich an eine Anhörung im Landtag erinnern, bei der auch die NRW-Landesregierung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen dies getan hat. Unsere damalige Landtagsfraktion hatte als einzige ein Verbot von polizeilichen Pfeffersprayeinsätzen gefordert. Und das war auch richtig. Denen, die die Gefahr des Reizstoffes leugnen, sei die als „Verschlusssache“ eingestufte Broschüre des Polizeitechnischen Institutes (PTI) der Deutschen Hochschule der Polizei aus Münster empfohlen. Verschiedene Medien haben über diese Broschüre, die den Titel „Handhabungshinweise für Reizstoff-Sprühgeräte mit Pfefferspray“ trägt, bereits berichtet. Anhand dieser wird durchaus deutlich, dass sich die Polizei in vielen Fällen nicht einmal an die eigenen Handlungshinweise hält.
UZ: Gibt es denn keinerlei Organisationen, die Ihre Sicht auf die Dinge teilen?
Jasper Prigge: Doch – und zwar im In- und Ausland. Vertreter der FDP-nahen liberalen Ärzte warnten etwa vor Pfeffersprayeinsätzen. Unsere Bundestagsabgeordnete Karin Binder arbeitet kontinuierlich an dem Thema. Amnesty International hat sich gegen Pfefferspray positioniert. Auch das renommierte California Pacific Medical Center aus San Francisco.
UZ: Wie ließe sich ein Verbot von Pfefferspray dann durchsetzen?
Jasper Prigge: Meine Partei hat sich immer dafür stark gemacht und wird dieses Thema auch im nächsten Landtag ansprechen. Es wäre ja schon einmal ein Anfang gemacht, wenn Todesfälle im Nachgang an Pfeffersprayeinsätze statistisch erfasst und die Gesundheitsgefahren endlich vernünftig erforscht würden. Aber selbst das lehnten SPD und Bündnis 90/Die Grünen in NRW in der Vergangenheit ja ab. Hier muss der politische Druck deutlich erhöht werden. Und zwar vor allem auch von Medizinerinnen und Medizinern und Bürgerrechtsorganisationen.
Man darf ja nicht vergessen, wie groß die Gefahr tatsächlich ist. Ich möchte in diesem Zusammenhang an Pfeffersprayeinsätze bei Demonstrationen und Protesten erinnern. Da wurden ja etwa bei Demonstrationen gegen „Stuttgart 21“ oder die anlässlich des Tages der Arbeit massenweise Demonstranten von der Polizei eingenebelt. In diesen Situationen sind weder Erste Hilfe-Maßnahmen, die bei Komplikationen vorgeschrieben sind, möglich. Noch können die Beamten feststellen, wie viele Drogennutzer oder chronisch Erkrankte sich unter den Demonstrantinnen und Demonstranten befinden.
UZ: Die Polizei hat trotzdem mehrfach gefordert, Pfefferspray auch künftig einsetzen zu dürfen und will nun sogar mit sogenannten Tasern, also Elektroschockpistolen ausgerüstet werden. Wären Taser eine Alternative zu Pfefferspray?
Jasper Prigge: Mit Sicherheit nicht. Damit würde ein weiteres potentiell tödlich wirkendes Einsatzinstrument eingeführt. In den USA sind bereits Dutzende Menschen infolge von Tasereinsätzen verstorben. Diese Pistolen sind kein Spielzeug. Diese Waffen, mit denen Metalldrähte mit Widerhaken abgefeuert werden, die sodann einen 50 000 Volt starken Stromstoß in den Getroffenen absondern, der dessen Muskulatur lähmt und ihn bewegungsunfähig zu Boden fallen lässt, sind hochgradig gefährlich. Während der Einsatz dieser Waffen in den USA Alltag ist, sind in der Bundesrepublik nur Sondereinsatzkommandos in Nordrhein-Westfalen und einigen anderen Bundesländern mit der Waffe ausgerüstet.
Wir wollen hingegen eine Demokratisierung der Polizei. Eine weitere Aufrüstung der Polizei lehnen wir ab. Man kann gesellschaftliche Konflikte wie etwa um „Stuttgart 21“ nicht einfach mit dem Griff zu irgendeiner Waffe lösen. Das sollte auch den anderen Parteien klar sein.