Referat der 9. PV-Tagung: Parteiengefüge und Klassenkräfte

Pervertierte Rebellion

Manfred Sohn, Vorsitzender der Marx-Engels-Stiftung, referierte auf der Tagung des Parteivorstands der DKP am vorletzten Wochenende zu den Veränderungen im Parteiengefüge – nicht nur im Zusammenhang mit dem Aus der Ampel-Koalition. Sie sind Ausdruck stabiler Klassenverhältnisse, wobei die Herrschenden allerdings vor der Aufgabe stehen, den Übergang vom Neoliberalismus zur Kriegswirtschaft vorzubereiten. Wir dokumentieren eine gekürzte und für UZ bearbeitete Fassung des Referats. Es wird vollständig in DKP-Intern veröffentlicht:

Die Instabilität parlamentarischer Kräfteverhältnisse und allgemeiner von Parteien und ihrem Verhältnis zueinander darf nicht zu der irrigen Annahme einer Instabilität der Klassenkräfte führen. Klassen sind zumindest in unserer Etappe – also im ersten Quartal des 21. Jahrhunderts – in den imperialistischen Ländern stabiler als die ihre Inte­ressen widerspiegelnden Parteiengebilde.

Die Klassenstrukturen etwa von Deutschland, Japan, Frankreich, Italien oder Britannien ähneln sich weit stärker als ihre jeweilige politische Verfasstheit und ihre jeweiligen Parteienausprägungen. In dem Auf und Ab der dortigen Parteien ist diese Ähnlichkeit und Parallelität schwerer zu verorten als in ihren jeweiligen Klassenstrukturen.

Dieses Verhältnis der unterschiedlichen Varianzbreite von Klassen- und Parteienstrukturen gilt nicht nur auf der geografischen, sondern auch auf der Zeitachse. In Frankreich und Italien etwa hat es in den letzten 50 Jahren tiefe Umbrüche der Parteienstruktur gegeben – bei weitgehender Stabilität der Klassenkonstellation und der ihr entsprechenden Kräfteverhältnisse der Klassen. Wenn wir hier in Deutschland jetzt möglicherweise vor einem tiefen Umbruch der Parteienlandschaft stehen, darf das nicht zu dem Trugschluss veranlassen, wir stünden vor einem Umbruch der Klassenstrukturen.

Was allerdings gegenwärtig ins Rutschen gerät, ist die Stellung von mitgliederstarken Parteien im bürgerlichen Herrschaftssystem selbst. Das gilt auch für Deutschland.

Historische Entwicklung

Im Kaiserreich und noch mehr im Gefolge der Novemberrevolution widerspiegelten sich in Deutschland Klassenkämpfe vor allem in Massenparteien. Das betraf nicht nur die KPD, die in ihren besten Zeiten rund 300.000 Mitglieder zählte. Die SPD hatte bereits 1906 rund 380.000 Mitglieder, 1914 eine Million und 1922 nach dem Übertritt der Rest-USPD rund 1,2 Millionen Mitglieder. Aber auch Parteien wie das „Zentrum“ hatten eine Mitgliederzahl, die nach unterschiedlichen Quellen zwischen 200.000 und 300.000 schwankte. Zu diesen Zahlen der Mitgliedschaft der Parteien kamen die von Massenorganisationen – nicht nur im Gewerkschaftsbereich: Der Arbeiter- und Sportbund hatte 570.000, die Freidenker hatten 600.000 Mitglieder. Diese Vereine und Bünde waren – häufig miteinander konkurrierend – eng verknüpft mit den ihnen nahestehenden Parteiorganisationen in Deutschland.

Diese historische Erfahrung führte dazu, dass der „Parlamentarische Rat“ in Westdeutschland im Grundgesetz gleich nach dem Abschnitt über die unveräußerlichen Grundrechte und dem Artikel 20, der die Republik als sozialen und demokratischen Rechtsstaat definiert, den Parteien mit Artikel 21 einen eigenen Artikel widmete und damit ihre zentrale Bedeutung für den ganzen politischen Machtapparat hervorhob. Insofern ist es gerechtfertigt, die Entwicklungen dieser Parteien sehr aufmerksam zu verfolgen.

Parteienforschung

Wir stehen dabei in der Tradition marxistischer Parteienbeobachtung und -forschung – können das heute aber nur mit beschämend weniger Kräften tun als zu den Zeiten, in denen in der DDR an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena als dem Zentrum eine Parteienforschung etabliert wurde, die Handbücher und Beiträge herausgab, an denen sich rund 70 Wissenschaftler aus der DDR beteiligten. So viele kluge Köpfe wie damals haben diesem Referat nicht zugearbeitet – auch das gehört zu den veränderten Kräfteverhältnissen, unter denen wir heute wirken müssen.

Die zentrale Erkenntnis der Genossen in der DDR war, „eine geschichtliche Aufgabe bürgerlicher Parteien unter anderem darin zu sehen, dass sie in ihren Reihen und unter möglichst vielen Menschen alles das abschwächen wollen, was kapitalistischer Herrschaft entgegenzustehen scheint, und alles das zu stärken, was diese zu festigen vermag“.

Das ist nach wie vor richtig – wie jeder von uns bestätigen kann, der im Betrieb oder etwa in der Kommunalpolitik eben mit der Tatsache zu tun hat, dass es kaum einen größeren Betrieb gibt, bei dem der Betriebsratsvorsitzende kein SPD-Parteibuch, kaum eine Personalratsvorsitzende gibt, die das nicht auch hat oder das der CDU oder seit einiger Zeit der „Grünen“. Für alle relevanten Positionen in Körperschaften der kommunalen Selbstverwaltung trifft das ebenfalls zu. Das darf allerdings nicht den Blick dafür verstellen, dass es in den letzten drei Jahrzehnten eine gravierende Unterströmung gibt, die diese zentralen Positionen unterspült. Die SPD hatte 1990 bundesweit knapp eine Million Mitglieder, die CDU zusammen mit der CSU ebenfalls. Ende 2023 war die SPD auf 365.000 Mitglieder geschrumpft, CDU/CSU auf 494.000. Alle anderen Bundestagsparteien zusammen kommen auf knapp 300.000 Mitglieder. Hinzu kommt: Während die eine Million Mitglieder etwa der SPD in der Weimarer Republik, aber auch bis in die 1970er Jahre der Bundesrepublik Deutschland vor allem aus 30- oder 40-jährigen Berufstätigen bestand, beträgt heute der Altersdurchschnitt der SPD-Mitgliedschaft 60 Jahre, der Anteil der unter 20-Jährigen 1 Prozent. Bei der CDU sieht es ähnlich aus. Damit wird sich der Trend der Unterspülung betrieblicher Massenverankerung vor allem dieser beiden zentralen Parteien verstärken.

Der Imperialismus zerfräst auch die Errungenschaften der bürgerlichen Revolution.
Sie war ein Sieg der Vernunft über die religiöse Unvernunft.

In gewisser Weise eine Vorwegnahme und Beschleunigung dieses Trends stellt das nach ihrer Abspaltung von der PdL entstandene Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) dar. Ironisch könnten wir in Anlehnung an ein bekanntes Lenin-Zitat sagen, da entsteht eine Partei neuen Typs, die nicht über ihre Mitglieder eine Massenverankerung in der Gesellschaft anstrebt, sondern hofft, das über Talkshows zu erreichen.

Bei der Analyse der politischen Ebene der Klassenkämpfe in den imperialistischen Ländern müssen wir über die Analyse von Parteien hinaus künftig verstärkt die ganze Vielfalt des bürgerlichen Herrschaftsapparats in den Blick nehmen – bis hin zur Möglichkeit bonapartistischer Wendungen im Zuge des laufenden reaktionär-militaristischen Staatsumbaus.

Neue Herrschaftsmethoden

Silvio Berlusconi gilt als Erfinder des Regierens durch das Fernsehen. Die schwindende Massenverankerung von Parteien durch Menschen aus Fleisch und Blut wird gegenwärtig in fast allen imperialistischen Hochburgen ersetzt durch die Zunahme des Einflusses von Medien auf die Erzeugung von Massenstimmungen. Weil Menschen nun einmal ihren eigenen Kopf haben, erleichtert das die Stimmungsmache gegenüber dem Transport politischer Botschaften über zigtausende von Parteimitgliedern.

Spätestens seit Karl Marx es in der ihm eigenen Klarheit in der „Deutschen Ideologie“ zu Papier gebracht hat, wissen wir: „Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken, das heißt die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht.“

Heute wäre hinzuzufügen: Die in einer Gesellschaft herrschenden Emotionen sind in unserer Epoche die für die Herrschenden für ihre Zwecke notwendigen Emotionen – nicht nur der eigenen, sondern auch der unterdrückten Klassen.

Der Imperialismus zerfräst auch die Errungenschaften der bürgerlichen Revolution. Sie war ein Sieg der Vernunft über die religiöse Unvernunft. Debatte und Kampf rationaler Argumente werden zunehmend ersetzt durch die Macht von Bildern und Emotionen. Sie über elektronische Medien zu erzeugen und zu steuern wird zu einer der Voraussetzungen, um das Volk kriegstüchtig zu machen.

Rolle der Medien

Wir müssen uns in dieser Analyse der Medien lösen von dem klassischen Bild, das würde sich über Presse, Rundfunk und Fernsehen vermitteln. Obwohl nach einer jüngst bekannt gewordenen Untersuchung über 40 Prozent der hauptberuflichen Medienmacher sich selbst als den „Grünen“ nahestehend verorten, schlägt das nicht auf die gegenwärtige Wählerneigung für diese Partei durch. Wie begrenzt die Wirksamkeit dieser klassischen Medien hinsichtlich bürgerlicher Wahlen ist, bejammerten kürzlich die den Demokraten zuneigenden Medien der USA: „,Sind wir eigentlich noch relevant?‘ Mit dieser Frage ringen Amerikas linksliberale Medien nach dem Wahlsieg von Donald Trump. Der Rechtsaußen-Podcaster Matt Walsh ist um die Antwort nicht verlegen. ‚Die traditionellen Medien sind offiziell tot‘, schrieb er noch in der Wahlnacht auf Elon Musks Plattform X. Ihre Fähigkeit, die Agenda zu bestimmen, ist zerstört. Trump hatte den Medien 2016 den Krieg erklärt. Heute hat er sie total vernichtet. Sie werden nie wieder relevant sein.“

Die Labilisierung, die durch die sich lösende Massenverankerung von Parteien erfolgt, erfährt eine weitere Verstärkung durch die Auflösung der klassischen Dominanz sogenannter Massenmedien, weil sie eben die Massen vielfach nicht mehr erreichen. Das zusammengenommen führt zu einer Situation, in der wir uns für die Zukunft auf politisch jähe Wendungen einstellen müssen, die durch Beobachtungen von Parteien- oder Mediendebatten auch schlechter vorherzusehen sein werden als wir es in den letzten Jahrzehnten gewohnt waren.

Die bevorstehenden Wahlen sind dadurch gekennzeichnet, dass die SPD als Kanzlerpartei ihre Schuldigkeit getan hat, einen reaktionär-militaristischen Staatsumbau einzuleiten, den die CDU als traditionelle Partei des deutschen Monopolkapitals nun forcieren soll und will. Sie drohen zu einer Wahl um die Frage zu verkommen, welche der anderen Parteien ihr dabei als Juniorpartner zur Hand gehen darf.

Deutsche Krise

Woran eigentlich ist diese Ampel-Regierung im Kern gescheitert? Vordergründig an der Unfähigkeit, das Schrumpfen der Wirtschaft des imperialistischen Deutschland zu verhindern und am Streit, ob dazu die im Grundgesetz verankerte Nettokreditaufnahmegrenze – gemeinhin „Schuldenbremse“ genannt – gelockert werden soll. Das sind Anlässe, keine Ursachen.

Diese liegen tiefer. Angesichts zurückgehender Profitraten in den 1970er Jahren setzte sich im darauffolgenden Jahrzehnt unter dem Begriff „Neoliberalismus“ eine Politik durch, nun auch solche Bereiche, die vorher der Profitmacherei noch nicht völlig überlassen waren, dem Profitprinzip zugänglich zu machen – wie Gesundheit, Bildung, Verkehr, Post, Telekommunikation. Das waren – zum Teil auch im Grundgesetz verankert – sogenannte staatliche Kernaufgaben, bei denen selbst bis in die Bourgeoisie hinein die Überzeugung bestand, sie sollten besser dem Profitprinzip entzogen werden, damit sich das Kapital, gestützt auf solide Bildung, Gesundheit, Verkehrs- und Kommunikationsstrukturen im Bereich der Produktion materieller Waren umso blühender entfalten könne. Unter der Flagge des Neoliberalismus sind aber in der Folge staatliche Aufgaben bis zur Unfähigkeit, sie zu erbringen, zugunsten der Profitmacherei ausgedünnt worden. Mit einem so ausgefegten Staat aber ist kein Krieg zu machen, geschweige denn zu gewinnen. Um die „systemische Auseinandersetzung“ der NATO gegen die BRICS-Staaten zu gewinnen, wird aus der Sicht der Herrschenden ein Krieg unvermeidlich sein. Dazu muss die Staatsmaschine funktionieren – gut ausgebildete und gehorsame Soldaten liefern, einen gesunden, kampffähigen Volkskörper nach dem Vorbild „schnell wie ein Windhund, zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl“ erzeugen, Pünktlichkeit beim Transport von Truppen und Panzern sicherstellen. Das alles geht aber neoliberal nicht. Kurz und gut: Im Kern ist diese Regierung gescheitert am jetzt anstehenden Übergang vom Neoliberalismus zur Kriegswirtschaft.

Übergang zur Kriegswirtschaft

Die Bundestagswahlen werden der vielleicht letzte Versuch sein, diesen Übergang vom Neoliberalismus zur Kriegswirtschaft noch mit dem gewohnten Parteienspektrum hinzubekommen. Beate Landefeld hat in den „Marxistischen Blättern“ 3/2022, Antonio Gramsci zitierend, Folgendes geschrieben: „,Die politischen Parteien sind der Reflex und die Nomenklatur der Gesellschaftsklassen. Sie entstehen, entwickeln sich, lösen sich auf, erneuern sich, je nachdem, ob die einzelnen Schichten der kämpfenden Gesellschaftsklassen Verschiebungen von wirklich geschichtlicher Tragweite unterliegen, ihre Existenz- und Entwicklungsbedingungen radikal verändert sehen, eine größere und klarere Bewusstheit ihrer selbst und der eigenen vitalen Inte­ressen erwerben.‘ Gramsci schrieb dies 1920 in einer Phase großer Umbrüche im Parteiensystem Italiens. Bürgerliche Parteien zersetzten sich, Kampfbünde entstanden. Es gab Zeichen für den kommenden Übergang der konstitutionell-parlamentarischen Monarchie zur Diktatur.“

Sie schreibt dann zur bis jetzt relativ stabilen Parteienlandschaft hierzulande: „Im bürgerlichen Parlamentarismus der Bundesrepublik Deutschland hat sich nach 1945 ein im Vergleich zu anderen großen kapitalistischen Ländern relativ stabiles Parteiensystem etabliert. Die CDU unter Konrad Adenauer restaurierte im Verein mit den westlichen Besatzungsmächten die Macht des Monopolkapitals und erreichte die Aufnahme der BRD in das transatlantische Bündnis. Die KPD wurde verboten. Die SPD bekannte sich 1959 zum Kapitalismus und zur NATO. Links von ihr entstand eine starke außerparlamentarische Bewegung. Sie erkämpfte das vorläufige Ende der CDU-Ära, die Anerkennung der Ostgrenzen und die Bildungsreform. Nach der Krise 1974/75 setzte unter Kanzler Helmut Schmidt wieder eine Rechtsentwicklung ein, die später schubweise in den Neoliberalismus überging.

Die CDU/CSU gründete sich als bürgerliche ‚Volkspartei‘. Mit christlichem und sozialem Anstrich verschaffte sie dem Monopolkapital eine Massenbasis bei Mittelständlern und ‚Arbeitnehmern‘. Die kleinere bürgerliche FDP agierte dagegen oft ‚marktradikal‘, ohne sozialpolitische Rücksichten: Ihr kam und kommt die Rolle zu, Mehrheiten für Regierungswechsel zu beschaffen und einen auf verbesserte Profitbedingungen gerichteten Kurs auch durch Koalitionsbeteiligungen zu sichern. Im Lauf der Zeit wandelte sich die FDP-Wählerbasis. Bis in die 1960er Jahre wählten protestantische Mittelständler, Landwirte und Bildungsbürger die FDP, später überwogen Angestellte, Akademiker, Jungunternehmer, Globalisierungsgewinner, sogenannte ‚Leistungsträger‘. 1982 förderte die FDP den Kanzlerwechsel zu Helmut Kohl.“

Das klingt vor dem Hintergrund aktueller Ereignisse alles ziemlich vertraut. Wie das weitergeht, werden wir sehen – die „FAZ“ wies kürzlich darauf hin, dass Christian Lindner zwar ausdrücklich eine neue Ampel, nicht aber eine Koalition mit den Grünen unter Führung der CDU ausgeschlossen habe, in der es, so formulierte es das Blatt am 13. November 2024, „leichter wäre, die Grünen einzuhegen“. Ob es dazu kommt und ob es dazu reicht, werden wir in 100 Tagen wissen.

Trotz der unübersehbar hohen Kosten, die der aggressive Konfrontationskurs von USA/NATO/EU/Japan gegen die BRICS-Staaten und vor allem gegen Russland und China bedeutet – nicht nur für die deutsche Arbeiterklasse, sondern auch für Teile des deutschen Kapitals –, zeichnet sich keine Rebellion wesentlicher Teile der deutschen Bourgeoisie gegen diesen Kurs ab. Der Protest vor allem aus dem Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen artikuliert sich parteipolitisch bislang nur in der AfD und dem BSW und wird politisch marginalisiert.

Aufstieg des BSW

Immer wieder einmal gibt es zwar in den Medien – etwa aus Kreisen von Managern von VW oder Siemens oder auch der Chemieindustrie – ein zartes Aufmucken gegen die völlige Unterordnung unter den Konfrontationskurs gegen Russland und China – aber letztlich ordnen sie selbst sich dann doch genauso regelmäßig politisch unter. Einen parteipolitischen Ausdruck findet die vor allem bei kleinen und mittleren Unternehmen getragene, wachsende Unzufriedenheit folglich bislang nicht in den die politische Landschaft dominierenden Parteien CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP, sondern nur in der AfD und dem BSW.

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Bauernprotest gegen die Regierungspolitik zum Jahreswechsel 2023 auf 2024 mit wenig Perspektive. (Foto: Stefan / Pexels)

Wir bräuchten eine viel gründlichere Analyse und Einschätzung dieser beiden Formationen, als wir das im Moment leisten können.

Ich will zunächst zitieren aus einem Thesenpapier eines Genossen aus Göttingen:

„Die Partei ‚Die Linke‘ hat es vor allem unterlassen, einen Zusammenhang zwischen Krieg, Wirtschaft und Sozialabbau herzustellen. Genau das tut aber das BSW und hat das unter den Stichpunkten ‚Wirtschaftliche Vernunft‘ und eben ‚Frieden‘ zum eigenen Markenkern gemacht. Dass das BSW vor allem den politischen Raum neu besetzt, den ‚Die Linke‘ freigemacht hat, sieht man an den Wählerwanderungen: Mit Abstand die meisten Wähler dazugewonnen hat das BSW aus dem Lager ehemaliger PdL-Wähler.

Der Erfolg des BSW ist nicht allein ein Erfolg seiner linken, sondern auch maßgeblich seiner rechten Positionen. Das BSW positioniert sich in der Parteienlandschaft selbst bewusst nicht als links und verzichtet auch auf entsprechende Sprache und Symbolik. Das kann es sich erlauben, ohne linke Wähler zu verlieren, weil es aus der PdL hervorgegangen ist und die dort Unzufriedenen mitgenommen hat. Sein Anspruch ist es, sowohl als konsequente Opposition zur Ampel-Regierung als auch als echte Alternative zur AfD wahrgenommen zu werden. Die AfD stellt ihre Opposition aber besonders an den beiden Themen ‚Frieden‘ und ‚Migration‘ heraus. Das BSW folgt ihr darin, um entsprechende Wähler abzuwerben.

Wählerbefragungen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg haben gezeigt, dass das Thema ‚Migration‘ bei der Wahlentscheidung für das BSW noch vor dem Thema ‚Frieden‘ lag. In Regierungsverantwortung wird es entsprechend handeln (müssen). Die Positionen des BSW zur Migration sind dabei allerdings nicht ‚rechter‘ als die aller etablierten bürgerlichen Parteien.

Das BSW ist seiner ganzen Konzeption nach eine Parlamentspartei und daher unfähig, den Widerstand gegen die Ampel, den seine Wählerstimmen verkörpern, über das Korsett des Parlamentarismus hinauszutreiben. Das gefährdet auch die Konsequenz in der Friedensfrage. Das BSW ist schon von seiner Organisation her ein Wahlverein, keine Mitgliederpartei. Es ist zugeschnitten auf die Arbeit in Parlamenten. Seine öffentlichen Positionen sind darauf ausgelegt, möglichst breite Wählerschichten zu erreichen und nicht so sehr darauf, eigene Positionen neu in den Köpfen zu verankern. Eine größere Verankerung in den Gewerkschaften ist (noch) nicht ersichtlich und wird vermutlich auch gar nicht angestrebt.

In der Frage des Friedens, in der sich die Partei bewusst außerhalb des Mainstreams stellt, übt die Partei allerdings auch außerparlamentarische Opposition aus. Wie die Koalitionsverhandlungen in Thüringen aber zeigen, gefährdet die Ausrichtung der Partei auf parlamentarischen und Regierungseinfluss auch die Konsequenz in der Friedensfrage.“
Das ist zutreffend – einschließlich der hier meines Erachtens zu Recht zum Ausdruck kommenden Skepsis gegenüber dieser als „Bündnis“ auftretenden neuen Partei.

Neben der gründlicheren Befassung mit dem BSW müssen wir uns intensiver mit der AfD befassen.

Wenn Linke fehlen …

Der Aufstieg der AfD erklärt sich auch dadurch, dass sie falsche Feinde hat: Der Überdruss an der Politik der Herrschenden, die Abstieg und Kriegsgefahr bedeutet, wächst. Die Lust auf Rebellion nimmt zu. Das ist gut. Aber durch die lange Praxis der Unterdrückung aller marxistischen Ansätze der Kritik der bestehenden Verhältnisse – vom KPD-Verbot über die Berufsverbote bis hin zu den heutigen Repressionen – wird der Geist der Rebellion rechtesten Kräften zugetrieben. Also gedeiht eine pervertierte Rebellion. Es ist völlig widersinnig und daher zwecklos, mit denen, die den Niedergang Deutschlands zu verantworten haben, gemeinsam gegen diese pervertierte Rebellion zu demonstrieren. Was nottut ist die Entfaltung der wirklichen Rebellion – also der gegen Kapital und Imperialismus.

Jede politische Generation in der Traditionslinie von Marx und Engels, Lenin und Luxemburg, Stalin und Mao hat prinzipienfest und kreativ zugleich neue Aufgaben zu lösen. Wir würden versagen, wenn wir versuchten, die heutigen Aufgaben durch eine reine Wiederholung der Antworten auf die gestrigen zu lösen. Die heutige Hauptgefahr resultiert aus dem Versuch der ökonomisch und politisch im G7-Bunker zusammengedrängten, in die historische Defensive geratenen imperialistischen Mächte, einen militärischen Ausbruch aus diesem Bunker zu versuchen, um damit die aufstrebenden Mächte, die sich in den BRICS-Staaten zusammengefunden haben, militärisch und damit auch ökonomisch und politisch zu zertrümmern und auf diesen Trümmern ihre alte Vorherrschaft erneut aufzurichten.

Im Inneren dieses Bunkers folgt daraus die zwingende Notwendigkeit, die unter dem Niedergang leidenden Menschen in den alten kapitalistischen Hochburgen daran zu hindern, der Vernunft zu folgen. Die bestünde hierzulande in einem Kurs der Kooperation anstelle der Konfrontation mit den BRICS-Staaten, in der Wiederherstellung des Bezugs günstiger Energie aus Russland, in einer Eingliederung beispielsweise der Häfen an der deutschen Nordseeküste in die Neue Seidenstraße, in einer wirtschaftlichen und politischen Kooperation mit der kommunistisch regierten Volksrepublik China.

… siegt die Unvernunft

Weil das mit allen medialen und administrativen Mitteln verhindert wird, wird aus Vernunft Unvernunft, wird aus einem Aufschwung der Linken jener der rechten Kräfte in ganz Westeuropa und hierzulande der AfD. Der berechtigte und bei einem anderen Kurs erfüllbare schlichte Wunsch etwa nach pünktlichen Zügen, sauberen Bahnhöfen und Schulen, nach sicheren Straßen und Parks, nach der Gewissheit, dass auch die eigenen Kinder in bescheidenem Wohlstand aufwachsen und alt werden können – das alles wird angesichts der Tabuisierung der sozialistischen Vernunft zum Nährboden des Aufschwungs der demagogischen Unvernunft, zur Triebfeder der pervertierten Rebellion, die in ihrem logischen Endpunkt zu einem Kurs des kriegerischen Wahnsinns kulminieren kann.

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Begleitend zu ihrem Facebook-Post schreibt die AfD-Fraktion im Landtag Sachsen-Anhalt: „Ob mit dem Einkaufskorb, an der Zapfsäule oder der Heizkostenabrechnung, überall werden wir mit dem Anstieg der Preise konfrontiert. Weiterhin bleiben die Belastungen durch Zuwanderung und Corona-Maßnahmen bestehen.“

Weil das so ist, kann die AfD als die Partei gewordene pervertierte Rebellion nicht bekämpft werden durch ein Bündnis mit denen, gegen die – zu Recht – rebelliert wird. Das ist ein Widerspruch in sich. Die AfD bekämpfen heißt, die Rebellion zur Revolution zu entwickeln.

Ein ebensolcher Widerspruch in sich wäre es, darauf zu setzen, mit der AfD oder auch nur Teilen dieser Partei gegen den Imperialismus zu Felde ziehen zu können. Das ist schon mit den Träumereien von einem Bündnis mit den Strasser-Kräften der NSDAP blutig gescheitert. Diese Tragödie sollten wir nicht versuchen, als Farce zu wiederholen. Die AfD ist Fleisch vom Fleische der CDU und es wird – leider – zusammenwachsen, was zusammengehört. Im hübsch regelmäßigen Abstand arbeitet daran das nach wie vor wichtigste Selbstverständigungsorgan der Herrschenden, die „FAZ“. Im September schrieb sie auf Seite 1: „Brandmauern ersetzen keine Debatte“, im Oktober unter der Überschrift „Der Fluch der Brandmauern“ – auch auf Seite 1 – noch deutlicher mit Blick auf die Wahlen in Ostdeutschland: „Was auch immer am Ende von Options-, Sondierungs- und Koalitionsgesprächen in den drei Ländern steht, sie sind Ausdruck einer Verlegenheit, die durch Brandmauern geschaffen werden. Die Frage muss erlaubt sein, warum mit dem BSW überstürzt gelingen soll, was mit der AfD für restlos unmöglich erklärt wurde. Parlamentarische Demokratie besteht nicht aus Brandmauern, sondern aus Brücken. Sie zu bauen ist die größere Kunst.“

So wird das weitergehen – bis es, wenn es anders nicht geht, zu einer Bildung einer Regierung unter Einschluss der AfD kommt, der bis dahin lediglich die Bereitschaft zu einem Frieden mit Russland noch ausgetrieben werden muss.

Das sind zwar alles keine schönen Aussichten. Aber vielleicht nützt ein letzter Hinweis: In dem Moment, wo Parteien als Puffer schwächer werden und – siehe Musk in den USA oder vielleicht demnächst ein BlackRock-Kanzler in Deutschland – das Monopolkapital sich selbst ans Steuer der Staatsmaschine setzt, wird das politische Fahren zu einem Fahren ohne Stoßdämpfer. Es wird holpriger. Wir dürfen angesichts dessen zwei Dinge nie aus dem Blick verlieren: Zum einen ist die Haupttendenz der Stimmungsentwicklung in diesem Land ein Anwachsen der Unzufriedenheit von Quartal zu Quartal. Diese Unzufriedenheit wird zunehmen, weil es bei Aufrechterhaltung des Kriegskurses nicht bei 2 oder 3 Prozent bleiben wird, die dieses Volk für das Vorbereiten und Führen von Kriegen aufwenden soll. Im Vietnam-Krieg waren es für die USA fast 10 Prozent, in Deutschland im Zweiten Weltkrieg über 50 Prozent. Weil es objektiv eine Lösung der dieser Unzufriedenheit zugrunde liegenden Probleme in der Perspektive nur durch den Sozialismus geben kann, wird sie früher oder später sozialistische Kräfte stärken.

Und zweitens: Wenn ich oben von „jähen Wendungen“ gesprochen habe, denken wir von 1989 Geprügelten meist nur an jähe Wendungen ins Negative. Das ist aber falsch. Für uns Alte vielleicht mental viel schwieriger, aber dennoch richtig und mindestens genauso wichtig ist es, sich angesichts der wachsenden Unzufriedenheit, der Labilität der Staatsmaschine der herrschenden Klasse und der objektiven Unmöglichkeit, eine humane und friedliche Zukunft auch dieses Volkes anders als sozialistisch zu erringen, auch einzustellen auf die Möglichkeit jäher Wendungen ins Positive.

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"Pervertierte Rebellion", UZ vom 29. November 2024



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