Der Peruaner Saúl Luciano Lliuya ist auf dem besten Wege, einen juristischen Präzedenzfall in Sachen Klimaschutz zu schaffen. Am 24. November hatte er gegen den deutschen Energiekonzern RWE vor dem Essener Landgericht Klage eingereicht, die kürzlich von der 2. Zivilkammer des Gerichts angenommen wurde. In der Begründung heißt es: „Weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (…) wird der Rechtsstreit von der Kammer übernommen.“
Lliuya ist Kleinbauer und Bergführer. Sein Geld verdient er hauptsächlich damit, dass er Touristen aus Nordamerika und Europa die Schönheit der Andengipfel auf einer Höhe von 3 500 bis 4 000 zeigt. Er wohnt in der Andenstadt Huaraz, die direkt unterhalb eines Gletschersees liegt, der sogenannten Palcococha-Lagune. Ein großer Teil der 120 000-Einwohner-Stadt ist nun bedroht: Durch den Klimawandel schmelzen die Gletscher und könnten so eine verheerende Flutkatastrophe auslösen. Seit 2003 ist der See um das Vierfache gewachsen und durch die gestiegenen Temperaturen könnten sich große Eisbrocken vom Gletscher lösen, in den See stürzen und so eine riesige Flutwelle auslösen.
der größte Luftverschmutzer Europas.
Nach einem Bericht der Frankfurter Rundschau (03. Dezember 2015) hatten bereits Experten des peruanischen Gletscherinstituts die Lagune untersucht, und sie befürchten, dass eine 30 bis 50 Meter hohe Flutwelle vom Berg herabstürzen könnte, wenn die Dämme des Sees brechen. Die Katastrophenschutzbehörde warnt, dass der Palcococha-Gletschersee der gefährlichste in der Region sei. Um die Gefahr dauerhaft abzuwenden, müssten immer wieder große Mengen Wasser durch ein neues Entwässerungssystem abgepumpt, die Dämme verstärkt oder neue errichtet werden.
Für Lliuya ist klar, dass die Bürger von Huarez nicht warten können, dass irgendetwas passiert. Diejenigen müssten Verantwortung übernehmen, die den Klimawandel verursachen: die Unternehmen weltweit, die mit ihrem Ausstoß von Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen das Klima verändern.
Bei seiner Klage wird der Peruaner von der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch unterstützt. RWE, so die Argumentation, sei maßgeblich mitverantwortlich für das Abschmelzen der Andengletscher und die dadurch entstehende Bedrohungslage für Lliuyas im Gebirgstal gelegenes Haus. Der Essener Konzern solle sich an der Finanzierung von Schutzmaßnahmen für den See beteiligen, beispielsweise bei der Verstärkung der Dämme, in einer Größenordnung, die dem Anteil des Konzerns an der Verursachung des Klimawandels entspricht.
RWE ist laut Germanwatch der größte Luftverschmutzer Europas. Das Unternehmen ist, so habe eine Untersuchung aus dem Jahr 2014 gezeigt, für rund ein halbes Prozent aller weltweit seit Beginn der Industrialisierung freigesetzten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Auch wenn der Essener Konzern nur ein Verschmutzer von vielen ist, so fordert Lliuya, dass der Konzern seinen „gerechten Anteil der Kosten für die für Huaraz erforderlichen Schutzmaßnahmen“ übernimmt. Es geht um rund 20 000 Euro. Roda Verheyen, Lliuyas Anwältin von einer Hamburger Kanzlei, sieht in der Klage einen Präzedenzfall. Denn hier solle die Verantwortlichkeit eines Unternehmens für seine Luftverschmutzungen festgestellt werden.
Der Energiekonzern lehnt das ab und beruft sich dabei auf eine unternehmensfreundliche Rechtsprechung. In einem Fall aus den 1990er Jahren hatte das Bundesverfassungsgericht Luftverschmutzern von jeglicher Schuld freigesprochen und die Haftung einzelner Anlagenbetreiber für „allgemein verursachte Luftverunreinigungen“ verneint. Damals ging es um Waldschäden durch Schwefelemissionen und die Konzerne wurden von jeglicher Haftung freigesprochen, obwohl sie für die Luftverschmutzung verantwortlich waren. In den USA hatte der Supreme Court 2013 ebenfalls eine Klage wegen Klimaschäden abwiesen: Die Stadt Kivalina in Alaska hatte damals gegen den Ölkonzern Exxon-Mobil geklagt, weil dieser mitverantwortlich für den Klimawandel und den Anstieg des Meeresspiegels ist, der die Stadt zu überfluten droht. Diese juristischen Prinzipien müssten „daher erst recht für allgemein emittierte Treibhausgasemissionen und deren globale Wirkungen gelten“, ist laut Frankfurter Rundschau die einhellige Meinung von Konzernvertretern.
Der Germanwatch-Vorsitzende Klaus Milke sieht in der Klage trotz aktueller Rechtsprechung ein wichtiges Signal an die Konzerne. Eine Dauerlösung sei es allerdings nicht, „dass sich alle – häufig sehr armen – Betroffenen an Gerichte wenden müssen“. Stattdessen müsse es eine politische Lösung geben, um die Verursacher in die Pflicht zu nehmen.