Erwartungen an den DGB-Bundeskongress

Perspektiven jenseits der neoliberalen Agenda entwickeln

Von Olaf Harms

Vom 13. bis 17. Mai 2018 tagt in Berlin das 21. Parlament der Arbeit, der Bundeskongress des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Olaf Harms, Mitglied des Parteivorstandes der DKP und Delegierter zu diesem Kongress, wendet sich mit einem Denkanstoß an die Delegierten.

Olaf Harms ist ehrenamtlicher Vorsitzender von ver.di Hamburg

Olaf Harms ist ehrenamtlicher Vorsitzender von ver.di Hamburg

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

fünf Tage stehen vor uns, den Delegierten des DGB-Bundeskongresses, angereichert mit interessanten Debatten, Redebeiträgen, Erfahrungsaustausch und aber auch Beschlussfassungen zu vielen die Menschen dieses Landes berührenden Themen. Wir legen die Grundlage der Politik des DGB für die nächsten vier Jahre.

Viele Themen sind wichtig, einige sollten verstärkt in den Fokus unserer Beratungen genommen werden. Nur die folgenden will ich benennen.

Abrüsten statt Aufrüsten

Die Staats- und Regierungschefs der Nato-Länder, damit auch die damalige Bundesregierung, haben im Jahr 2014 in Wales beschlossen, innerhalb der nächsten zehn Jahre die Militärausgaben auf 2 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung (BIP) zu steigern. Für Deutschland umgerechnet bedeutet dies eine Verdoppelung des heutigen Rüstungsetats, der im Jahr 2017 rd. 37 Mrd. Euro betrug. Eine schrittweise Anhebung innerhalb von zehn Jahren auf 2 Prozent des BIP bei angenommenem Wirtschaftswachstum von 2 Prozent pro Jahr würde einem Betrag von rd. 75 Mrd. Euro in 2024 entsprechen.

Dankenswerterweise hat die Friedensbewegung dazu aufgerufen, mittels einer Unterschriftensammlung dagegen Widerstand zu leisten. Sie verweist zu Recht darauf, dass diese 2 Prozent im zivilen Bereich fehlen, so z. B. bei Schulen und Kitas, sozialem Wohnungsbau, Krankenhäusern, öffentlichem Nahverkehr und Alterssicherung.

Es ist gut, dass der DGB in seinem Antrag dagegen Stellung bezieht. Besser wäre es, wenn er und die Mitgliedsgewerkschaften aktiv Unterschriften unter den Appell der Friedensbewegung sammeln würden.

Keine Erhöhung der Rüstungsausgaben – Abrüsten ist das Gebot der Stunde!

„Mehr von uns ist besser für alle“

Unter diesem Motto haben insbesondere in den letzten drei Jahren die Beschäftigten der Krankenhäuser für eine klare Personalbemessung geworben und gestritten. Nach eigenen Untersuchungen von ver.di fehlen in diesem Bereich rund 162 000 Vollzeitkräfte, allein 70 000 in der Pflege. Im Koalitionsvertrag haben sich die Parteien der Bundesregierung darauf verständigt, Regelungen für Personaluntergrenzen zu schaffen. Dies reicht jedoch bei weitem nicht aus. Denn es ist nicht für ein Minimum zu sorgen, sondern für eine ausreichende und erforderliche Anzahl von Pflegekräften.

In den Städten Hamburg und Berlin wurden inzwischen erfolgreich Volksinitiativen zur Verbesserung der Situation in den Krankenhäusern durchgeführt. Unterstützt von mehreren zehntausend Unterschriften wurden entsprechende Forderungen an die Landesregierungen übergeben. In anderen Bundesländern gibt es ebenfalls entsprechende Vorbereitungen. All das vor dem Hintergrund, dass bereits heute die Bundesländer entsprechende Vorgaben in den jeweiligen Landeskrankenhausgesetzen machen können, um die Sicherheit der Patientinnen und Patienten zu gewährleisten. Darüber hinaus gibt es eine durchaus berechtigte Skepsis, ob die Bundesregierung diesen Teil ihres Koalitionsvertrages zeitnah umsetzen will.

Die Frage der Personalbemessung in den Krankenhäusern strahlt jedoch weit über diesen Bereich hinaus aus und ist letztlich eine strategische Frage in der Auseinandersetzung mit der Kapitalseite. Denn was für das Pflegepersonal gut und richtig ist, kann für die Verkäuferin, den Finanzbeamten, den Wartungstechniker und viele andere mehr nicht schlecht sein – nämlich den Personalbedarf an einer Größe des arbeitstäglichen Pensums zu bemessen. Insbesondere vor dem Hintergrund der Digitalisierung der Arbeit können wir eine Intensivierung feststellen, ohne dass es dafür entsprechende Ausgleiche in Entgelt oder gar in Freizeit gibt. Ein Mittel kann sein, zukünftig auch in Tarifverträgen das Arbeitspensum zu regulieren.

Neben der Länge der Arbeitszeit und der Höhe des Entgelts ist ein Fokus auch auf die Menge der zu leistenden Arbeit zu richten. Im Ergebnis können damit nicht nur Arbeitsplätze gesichert, sondern auch neue Arbeitsplätze geschaffen werden.

Streikrecht verteidigen!

Im Jahr 2015 wurde in Umsetzung der Vereinbarung der Großen Koalition von CDU/CSU und SPD das sogenannte Tarifeinheitsgesetz geschaffen. Damit sollte der Koalitions- und Tarifpluralismus in geordnete Bahnen gelenkt werden unter Anwendung des Grundsatzes der Tarifeinheit nach dem betriebsbezogenen Mehrheitsprinzip.

Unberücksichtigt blieb, dass es das Kapital war und ist, welches nach Belieben outsourct und gleichzeitig Tarifflucht begeht und ebenso nach Belieben Tarifverträge mit Standesorganisation abschließt, aber diesen selber verursachten Koalitionspluralismus gesetzlich regeln lassen wollte. Schon im Jahr 2014 wurde von gleicher Seite eingebracht, dass auch die Zumutbarkeit von Streiks geregelt werden müsste. Ein Vorschlag dazu wurde im Januar 2015 von der CSU unterbreitet. Im Bereich der Daseinsvorsorge sollten Streiks nur noch dann möglich sein, wenn es vorher zwingend eine Schlichtung gegeben hat und Streiks mit einem Vorlauf von vier Tagen angekündigt werden und es während der Streiks eine Mindestgrundversorgung gäbe.

Fast genau zwei Jahre nach Inkrafttreten des Tarifeinheitsgesetzes hat das Bundesverfassungsgericht im letzten Jahr entschieden, dass dieses Gesetz grundsätzlich mit dem Grundgesetz vereinbar ist, jedoch hinsichtlich möglicher Nachteile von einzelnen Berufsgruppen gesetzliche Nachbesserungen bis Ende 2018 durch den Gesetzgeber vorgenommen werden müssen. Doch vor dem Hintergrund der seitens des Kapitals weiter massiv betriebenen Tarifflucht, der zum Zwecke von Tarifdumping und Untergrabung der gesetzlichen Mitbestimmungsrechte von Interessenvertretungen betriebenen Ausgliederungen eigener Betriebsteile und der Digitalisierung der Arbeit ist zu befürchten, dass es zukünftig vermehrt Standesorganisationen für einzelne Berufsgruppen bzw. Branchen geben wird. Das wird weiterhin zulasten der Durchsetzungsmacht unserer Gewerkschaften gehen, insbesondere wenn die Bundesregierung theoretisch denkbare Nachteile aus dem Tarifeinheitsgesetz für Berufs- bzw. Branchengruppen gesetzlich regeln und diesen Gruppen damit einen besonderen Stellenwert zukommen lassen wird.

Um das zu vermeiden müssen sowohl der DGB als auch dessen Mitgliedsgewerkschaften Druck auf diese Bundesregierung entfalten. Dabei gilt aber auch, das Tarifeinheitsgesetz grundsätzlich infrage zu stellen. Jeder bloße Versuch, das Streikrecht in irgendeiner Weise einzuschränken, bedarf des entschiedenen Widerstands.

Transformation – wohin?

Mit dieser Begrifflichkeit wird der Versuch gemacht, im Wesentlichen die Auswirkungen der Digitalisierung nachteilsfrei für die Beschäftigten zu regeln. Mit dem Antrag A001 soll ein breiter gesellschaftspolitischer Zukunftsdialog initiiert werden, der Perspektiven jenseits der neoliberalen Agenda der letzten Jahrzehnte entwickelt und Leitlinien für eine progressive Modernisierungspolitik erarbeitet.

Ich begrüße sehr einen solchen Zukunftsdialog. Jedoch sollte dieser nicht nur darauf beschränkt sein, innerhalb des bestehenden Kapitalismus seine neoliberalen Varianten zu überwinden. Er sollte aus meiner Sicht auch den Kapitalismus an sich infrage stellen.

Viele Anträge sollen die Arbeits- und Lebensbedingungen nicht nur der Beschäftigten, sondern aller Menschen in diesem Land verbessern. Insbesondere sollen die sozialpolitisch katas­trophalen Folgen der Agenda 2010 und Hartz IV zumindest abgeschwächt werden. Insgesamt geht es in vielen Anträgen um prekäre Beschäftigung, Leiharbeit und Werkverträge oder Mitbestimmungsrechte und Außenweiterbildung oder um Perspektive und Zukunftsfelder.

Und den meisten dieser Anträge ist zuzustimmen, jedoch wird die Ursache der Mängel weder benannt noch angegangen: der Kapitalismus. Er ist es doch, der die Lebensbedingungen der Menschen bestimmt. Seine Prinzipien sind die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, die private Aneignung des Mehrwerts und der Zwang zum Profitstreben. Daraus folgen doch Hungerlöhne, Arbeit bis zum Umfallen, ein menschenunwürdiges Leben in Armut und eine fehlende Perspektive für hunderttausende Jugendliche ohne Ausbildungsplatz – letztlich ohne die Chance auf gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Wäre es nicht hohe Zeit, endlich wieder einmal über Alternativen zum Kapitalismus nachzudenken und nicht nur über eine Transformation innerhalb desselben? Das geht jedoch nicht, ohne die Eigentumsfrage zu stellen: die Frage, warum die Unternehmen nicht denjenigen gehören, die für den jeweiligen wirtschaftlichen Erfolg maßgeblich verantwortlich sind, nämlich den arbeitenden Menschen.

Auf diesem Bundeskongress könnte der Startschuss für eine Diskussion über gesellschaftliche Alternativen zum Kapitalismus gelegt werden, die, im DGB und seinen Mitgliedsgewerkschaften beginnend, mit der Zivilgesellschaft geführt werden.

Uns wünsche ich die Kraft und Klugheit, aber auch die Duldsamkeit, die richtigen Beschlüsse gemeinsam zu fassen.

Mit kollegialen Grüßen

        Olaf Harms

        ver.di-Delegierter

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"Perspektiven jenseits der neoliberalen Agenda entwickeln", UZ vom 11. Mai 2018



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