Ein Bericht über die Hans-Heinz-Holz-Tagung 2023

Perspektiven der Technikphilosophie heute

Dean Wetzel

Am Anfang steht die Frage: Wie wollen wir leben? Für Mathias Gutmann steht sie auch am Anfang der Technikphilosophie. Diese müsse nämlich nicht notwendigerweise über den Gegenstand der Technik an sich reflektieren. Technik selbst sollte zunächst, wie Gutmann betonte, als eine „Formverfasstheit der Tätigkeit“ – sprich: besondere Gestaltungsart der menschlichen Praxis – verstanden und untersucht werden. Sie beschreibt ein besonderes Mensch-Natur-Verhältnis.

Um sich mit daran anknüpfenden Fragen auseinanderzusetzen, lud die Gesellschaft für dialektische Philosophie (GfdP) im Mai zur Hans-Heinz-Holz-Tagung nach Wien. Ausgangspunkt der Tagung waren die technikphilosophischen Arbeiten des marxistischen Philosophen und Kommunisten Hans Heinz Holz. Ab den 1960er Jahren war Holz durchgängig bis 1990 am Ausschuss „Philosophie und Technik“, später „Technikbewertung“, des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) beteiligt. Zunächst berichtete er über Tagungen des Ausschusses. Ab den 1970er Jahren begann er aktiv in die Diskussionen einzugreifen. Dabei war es ihm ein zentrales Anliegen, die gesellschaftlichen, ökonomischen und ökologischen Verflechtungen der Technik herauszuarbeiten.

Das eröffnende Gespräch der Tagung zwischen Alfred Nordmann (TU Darmstadt) und Mathias Gutmann (Karlsruher Institut für Technik), das vom Holz-Biografen Martin Küpper moderiert wurde, knüpfte dort an. Wie Nordmann betonte, sollte Technik nicht als einzelne technische Gerätschaft erfasst, sondern als ein Zusammenspiel der Dinge und Menschen verstanden werden, das aus sich selbst heraus immer wieder die Frage nach der Sorge um die Möglichkeit dieses Zusammenspiels aufwirft. Als besondere Formverfasstheit der Tätigkeit biete Technik die Möglichkeit, die Grenzen der Welt zu erkunden, welche sich in diesem Prozess gleichzeitig erweitern. Die Rolle der Technikphilosophie dürfe dabei nicht in einer retrospektiven Reflexion verkümmern, sondern sollte, nach Gutmann, die Reflexion im Vollzug anstreben. Wenn man über Technik nachdenke, sollte man nicht der gegenwärtigen Technisierung der Technik nachgeben, denn diese entpolitisiert den Diskurs. Man müsse sich ständig aufs Neue die zumindest theoretische Möglichkeit der Gestaltbarkeit der Verhältnisse wachrufen.

Anne-Sophie Meincke von der Universität Wien stellte den Denkansatz des Philosophen Hans Jonas zur Diskussion. Jonas, der als konservativ gilt, versuche eine ökologisch-humanistische Ethik aus der Metaphysik zu begründen. Durch diese Verknüpfung wolle er kenntlich machen, dass die Natur nicht wertfrei ist, da sie als wertschöpfend und wertsetzend zu betrachten sei. Das heißt: Wenn Leben selbst ein Zweck der Natur sei – ein Zweck, der selbst wiederum weitere Zwecke freisetzt –, dann sind die Werte, die in einem engen Verhältnis zu den Zwecken stehen, keine abstrakten, von den Menschen festgesetzten, sondern es handele sich dann – nach Jonas – um objektive Werte. Diese Werte hätten dann auch unabhängig vom Menschen Bestand, womit sie sogar – unter Absehung von ihm – als schützenswert gelten würden. Ein Konzept, an das heute wieder angeknüpft wird: Jonas’ „Prinzip Verantwortung“ erlangte vor Kurzem durch Fotos von Luisa Neubauer Bekanntheit, die das mit einem Nachwort von Robert Habeck versehene Buch während der Besetzung des Dorfs Lützerath am Tagebau Garzweiler las.

Nachdem die Jonassche Konzeption einer Metaphysik der Verantwortung schon für das eine oder andere Kopfschütteln im Raum gesorgt hatte und als sich theoretische Differenzen auftaten, holte Peter Schadt, Gewerkschaftssekretär und Autor, zu einem Rundumschlag aus. Schon auf die zuvor rhetorisch in den Raum geworfene Feststellung, dass ja alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tagung ein gemeinsames Anliegen teilen, erwiderte Schadt, dass das für ihn nicht gelte.

Er argumentierte dafür, dass wir es bei „der Digitalisierung“, „der Technik“ und letztendlich auch „dem Menschen“ mit nichts anderem als Scheinsubjekten zu tun hätten, hinter denen die eigentlichen Akteure verschwinden. Wer über Technik reden wolle, sollte zunächst die politischen Verhältnisse – insbesondere den Interessenkonflikt zwischen Kapitalist und Arbeiter – in den Blick nehmen. So wird deutlich, dass sich in der Arbeitswelt kein Konflikt zwischen Arbeitern und Technik abspielt, sondern sich der alte Klassenwiderspruch fortsetzt.

Wenn man über die Bedingungen der Möglichkeit von Technik nachdenken möchte, dann sollte man nicht die erste Bedingung vergessen: den Kapitalismus, bekräftigte Schadt. Er bedinge schließlich selbst wieder die Bedingungen der Möglichkeit der Technik, denn im Kapitalismus sei die Technik immer an die kapitalistischen Widersprüche gebunden und dürfe nie als davon losgelöst betrachtet werden. Kapitalisten und Arbeiter stünden in einem gänzlich gegensätzlichen Verhältnis zur Technik. Darauf müsse hingewiesen werden, sonst gerate es in Vergessenheit.

Was für das Kapital als Produktivitätssteigerung erscheint, drückt sich aufseiten der Lohnarbeit als eine Verschlechterung des Verhältnisses von Aufwand zu Ertrag aus. Für den gleichen Lohn könnten die Arbeiter mithilfe der Technik mehr Reichtum produzieren, von dem sie aber in Relation weniger abbekommen. An dieser Stelle sollte das Scheinsubjekt Technik durch klar bestimmbare Subjekte, die in einem konkreten Interessenkonflikt stehen, ersetzt und das Bild der bestehenden Verhältnisse geradegerückt werden. Damit ist für Schadt auch das ganze Gerede vom Potential der Produktivkraft unter Auslassung der Zwecke, unter denen technischer Fortschritt realisiert wird, ein Fehler und eine Fiktion.

Schadt endete mit einem Plädoyer für den Blick auf die konkreten ökonomischen Bedingungen und mahnte: Wenn man etwas gegen die Organisation der gesellschaftlichen Produktion als private Bereicherung der Kapitalisten unternehmen möchte, dann sollte eine solche Tagung etwas anderes anstreben, als über das Potential der Produktivität von Technik zu philosophieren. Auch an die Verantwortung der Kapitalisten zu appellieren betrachtete er als sinnlos, da diese sich ihrer Verantwortung sehr wohl bewusst sind. Diese bestehe jedoch nicht in der metaphysischen Verfasstheit von Werten und Zwecken, sondern in der Akkumulation von Kapital. Er bekannte sich in seinem Beitrag dabei bewusst zur Polemik, gab aber der Hoffnung Ausdruck, dass er durch diese seine Kritik kenntlich machen konnte. Sein konsequent ökonomischer Blick bot dabei eine überraschende, aber durchaus überzeugende Ergänzung der philosophischen Perspektiven.

Zum Ende der Tagung schien damit erneut die Frage auf: Wie wollen wir leben? Eine Frage, die – wie diese Tagung und vor allem Schadts Intervention gezeigt haben – letztendlich eine ganz konkrete ist. Sie lässt sich nicht durch Appelle an Politik und Kapital beantworten – denn die haben schon entschieden, wie sie leben wollen. Wollen wir anders leben, müssen wir eine eigene Antwort finden.

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"Perspektiven der Technikphilosophie heute", UZ vom 23. Juni 2023



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