Wer für den Krieg rüstet, braucht auch Soldaten, die ihn ausfechten. Gemessen an den Zielen des deutschen Imperialismus gibt es zu wenig Rekruten. Deshalb fordert die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Eva Högl (SPD), die Musterung wieder einzuführen. Jugendliche sollen auf ihre Tauglichkeit geprüft werden und sich bei bestandener Wehrfähigkeit selbst entscheiden können, ob sie den Dienst an der Waffe oder zivil ableisten wollen. Der Unterschied zur 2011 ausgesetzten Wehrpflicht: Damals war der Zivildienst die Ausnahme für Kriegsdienstverweigerer, jetzt soll er als gleichberechtigte Option zur Auswahl stehen. Anders als noch vor ein paar Jahren spricht sich laut Umfrage des „Opaschowski Instituts für Zukunftsforschung“ mittlerweile eine knappe Mehrheit der Deutschen für die Wehrpflicht beziehungsweise ein „Soziales Pflichtjahr“ aus.
Dabei spielt die ideologische Verklärung des Konflikts NATO – Russland zu einem beinahe heiligen „Verteidigungskrieg“ des Westens eine entscheidende Rolle. Doch die Realität sieht weniger „heilig“ aus: Es geht um Fachkräftemangel und Aufrüstung, ein allgemeines Dienstjahr soll beide Probleme auf einen Schlag beheben. Statt den Forderungen der Kolleginnen und Kollegen in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen nach mehr Entlastung nachzukommen, sollen jetzt unbezahlte Jugendliche herhalten. Dabei kam bereits 2004 die Kommission „Impulse für die Zivilgesellschaft“ des Bundesfamilienministeriums zu dem Schluss, ein solches Dienstjahr wäre nicht nur verfassungswidrig, sondern auch ein Verstoß gegen die Menschenrechte.
Verglichen mit den katastrophalen Zuständen im sozialen Bereich scheint die Wehrpflicht ohnehin das attraktivere Angebot zu sein, zumindest wenn man der Werbung der Bundeswehr glaubt. Diese ist in den letzten Jahren immer aggressiver geworden, nicht nur in ihrer Präsenz, auch in ihren Inhalten. Von „Mach was wirklich zählt“ über „Gas, Wasser, Schießen“ bis hin zu „Wieder Stärke zeigen“ macht die Bundeswehr klar, wohin die Marschrichtung geht: Der deutsche Imperialismus soll wieder militärisch mitspielen, innerhalb von NATO und EU eine oft betonte „Führungsrolle“ übernehmen und dadurch auch die eigene Position im internationalen Konkurrenzkampf stärken.
Ihre Werbung richtet die Bundeswehr verstärkt an junge Menschen, so bekommen Jugendliche im Alter von 16 und 17 Jahren Werbebriefe direkt nach Hause gesendet. Auch an Schulen tritt die Bundeswehr regelmäßig mit ihren sogenannten „Jugendoffizieren“ und durch militaristische Lehrinhalte sowie auf Berufsmessen auf. Über die wirklichen Verhältnisse in der „Truppe“ wird dabei genauso wenig aufgeklärt wie über den eigentlichen Auftrag der Bundeswehr. Stattdessen stellt sich die Bundeswehr als sympathischer Arbeitgeber dar und wirbt um Jobs im militärischen und zivilen Bereich. Dabei lockt sie unter anderem mit überdurchschnittlich hohen Löhnen schon in der Ausbildung.
Für viele Jugendliche ist ein Job bei der Bundeswehr eine reale Alternative zur schlecht bezahlten oder gar keiner Ausbildung. Insbesondere für Schüler mit Hauptschul- oder ohne Abschluss sowie aus ärmeren Haushalten verspricht die Bundeswehr eine Perspektive, die sie sonst nicht haben. Dennoch brachen allein dieses Jahr knapp 20.000 Rekruten wieder ab. Die Gründe dafür: Schimmlige Toiletten, kaputte Kasernen, Mobbing, Sexismus und Rechtsextremismus. Im zivilen Bereich sieht es nicht besser aus: Hohe Arbeitsbelastung durch fehlendes Personal, lange Anfahrtszeiten durch Standortschließungen und das Aufzwingen von soldatischem Gehorsam sind nur einige der Probleme der Angestellten und Beamten.
Frau Högl als Wehrbeauftragte wäre eigentlich in der Pflicht, diese Missstände anzugehen, anstatt Aufrüstung und neues Kanonenfutter zu fordern. Doch dem deutschen Imperialismus geht es bei seiner Militarisierung nicht um das Wohlergehen seiner Soldaten. Von den 100 Milliarden Euro „Sondervermögen“ wird das meiste in den Taschen der Rüstungskonzerne landen, für Soldaten, Beamte und Angestellte der Bundeswehr bleibt dann nur noch wenig übrig.
Die Debatte um die Wiedereinführung der Wehrpflicht durch die Hintertür zeigt, dass die Herrschenden ihre Rekrutierungsstrategie jederzeit ändern können: Wollen die Leute nicht freiwillig für den deutschen Imperialismus in den Krieg ziehen, dann sollen sie es eben unfreiwillig machen.
Perspektive: Leichensack
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