UZ: ver.di und die Beschäftigten der Charité haben einen längeren und im Ergebnis erfolgreichen Arbeitskampf geführt. Erstmalig wurde ein Tarifvertrag über Personalbemessung in einem Universitätsklinikum erreicht. Dies hat Ausstrahlung auf die bundesweite ver.di-Kampagne um einen Tarifvertrag „Entlastung“ auf den gesamten Krankenhausbereich. Was bedeutet der Tarifvertrag „Personalbemessung“ bzw. „Entlastung“?
Kati Ziemer: Das ist eigentlich ein klares Zahlenwerk zur Berechnung von Personalkennzahlen in den verschieden Bereichen eines Krankenhauses, die mindestens da sein müssen, um gute Behandlung, Pflege und Betreuung von Patienten sicher zu stellen. Klare Vorgaben, die gute Arbeit gewährleisten soll.
Die Charité ist eine der größten Unikliniken Europas mit über 14 000 Beschäftigten und besteht aus vielen verschiedenen Kliniken, Zentren und Bereichen. Dazu gehören auch mehrere Tochterunternehmen. Da greift eine Hand in die nächste, um die komplexen Abläufe für die Behandlung von Patienten sicher zu stellen.
Dieser Tarifvertrag für Personalbemessung und Gesundheitsschutz sichert zu, dass ausreichend Personal vorhanden sein muss, um gute Arbeit leisten zu können. Er verpflichtet den Arbeitgeber dafür zu sorgen, dass Beschäftigte ohne körperliche und psychische Schäden ihre Arbeit erledigen können.
Ein selbstverständlicher Anspruch, ein hohes Gut, eigentlich. Die Hoffnung der Kollegen, das zu erreichen, lässt sie weiter kämpfen.
UZ: Wie ist der Stand der Umsetzung des Tarifvertrages an der Charité? Wie findet Personalbemessung statt, wie wird die Einhaltung kontrolliert und auf welche Widerstände stoßen die Kolleginnen und Kollegen? Ist mit dem Abschluss der Tarifverhandlungen der Kampf um die Durchsetzung bzw. Umsetzung des Tarifvertrages schon beendet?
Kati Ziemer: Die Umsetzung gestaltet sich seit Beginn der Laufzeit äußerst schwierig. Zum Einen ist dem Arbeitgeber nicht ganz klar gewesen, welche Aufgabe mit der Berechnung der Personalkennzahlen auf ihn zukam. Zum Anderen haben die Kolleginnen und Kollegen große Hoffnungen auf die positive Veränderung ihrer Arbeitssituationen gelegt.
Auf dem Papier standen die Zahlen, aber in der Realität ist es unglaublich schwer, das geforderte Personal zu finden. Es ist ein deutschlandweites Problem, dass viel zu wenig gut geschultes Fachpersonal zu finden ist, das unter diesen Bedingungen arbeiten möchte. Die Dimension ist mit dem Tarifvertrag sehr klar geworden. Hier prallen die Kennzahlen des Wirtschaftsplanes der Haushaltsverantwortlichen jeder einzelnen Klinik der Charité auf die Forderungen aus dem TV.
Klare Forderung aus dem TV: Wenn nicht ausreichend Personal vorhanden ist, dann müssen die Leistungen eingeschränkt werden. Das bedeutet weniger Operationen, weniger Patienten, heißt weniger Umsatz, eventuell keine schwarze Null! Das ist der wunde Punkt im Konzern Charité. Dieses positive Ergebnis wurde bisher genutzt, um längst fällige Investitionen an der baulichen Substanz durchzuführen.
UZ: Gegenwärtig haben sich in mehreren Bundesländern und Städten, zum Beispiel im Saarland, in Hamburg und Stuttgart Kolleginnen und Kollegen auf den Weg gemacht, für einen Tarifvertrag „Entlastung“ zu kämpfen. Was ergibt sich als Empfehlung aus den Erfahrungen der Berliner Kolleginnen und Kollegen für diese Auseinandersetzungen? Ist der Tarifabschluss bei der Charité der Beginn des Kampfes für einen Tarifvertrag „Entlastung“?
Kati Ziemer: Zunächst erfüllt es die Kolleginnen und Kollegen mit Stolz, zu sehen, wie sich die Idee in ganz Deutschland verbreitet. Es tut gut zu sehen, wie sich andere Krankenhäuser auf den Weg machen, ihre Arbeitssituation zu verändern. Und es sind auch Sorgen, ob die Kolleginnen im Saarland nicht die gleichen Fehler machen. Aber dafür gibt es Plattformen und Erfahrungsaustausche, strategische Konferenzen. Der ver.di-Bundesfachbereich hat mit diesem Thema eine große Kampagne gestartet, wir sind da mitten im Thema. Dieses Thema ist von hoher Brisanz, es reicht in die kleinste Arbeitseinheit in einem Betrieb. Mit diesem Thema kann man jeden und jede am Arbeitsplatz erreichen. Wichtig ist, die untersten Haltelinien der Kolleginnen und in jedem einzelnen Team genau festzulegen. Die Konsequenzen bei Nichteinhaltung des Tarifvertrags müssen eingehalten werden. Jeder Einzelne muss auf sich selbst achten. Die Devise ist: Bevor ich andern helfen kann, muss es mir gut gehen.
Der Weg ist nicht einfach, das hat nie jemand behauptet, er ist aber die Hoffnung auf wieder mehr Menschlichkeit am Krankenbett.