* Walter Ulbricht
Wer war eigentlich dieser Ernst Busch? Als der 1900 in Kiel geborene Sänger und Schauspieler Ernst Busch im Juni 1980 in Berlin (DDR) starb, war sein Name weitgehend im öffentlichen Leben „seines Landes“ nicht mehr präsent, wurde sein Werk nur von relativ wenigen Interessierten gewürdigt und in Ehren gehalten. „Staatskünstler“ war er ohnehin nie und das Volk tendierte sowieso zur leichten Muse. So ist es – mit ein paar kleineren Varianten – bis heute geblieben. Das sollte nachdenklich stimmen und an den Namen Ernst Busch wieder häufiger erinnern.
Nicht, dass man ihn nicht in der DDR kannte. Seine Lieder jedoch wurden früh historisiert, waren mit den fernen und beendeten Kämpfen in Spanien oder gegen die Rechtstendenzen in der Weimar Republik verbunden, maximal noch mit der sich formierenden DDR, doch ihr Originäres und das zeitlos Exemplarische wurden von je her unterschätzt oder aus kalkulierten politischen Gründen ignoriert. Mal wurde ihm „Proletkult“ vorgeworfen, mal „Formalismus“, dabei war er nur immer ein Künstler, der sich an den Stoffen seiner Zeit orientierte und dies hart, klar, plakativ, aber auch auf seine Weise emotional umsetzte. Wenn Lieder wenig mit ihm zu tun hatten, so merkte man es seinen Interpretationen auch an, besonders authentisch war er, wenn sich sein eigener Erlebnis-Horizont in Liedern spiegelte. Davon gab es überreichlich.
Warum also Busch? Weil seine Systematik, seine Herangehensweise, seine künstlerische Umsetzung so klug und so adäquat ist, dass ihre handwerkliche Einzigartigkeit vermittelt und ihr Charakter aufs Neue reflektiert und mit Leben gefüllt werden sollten. Er ist ein Maßstab und kreierte einen eigen Stil. Man muss ihm nicht in jedem Detail der politischen Agenda folgen, man darf ihn vielleicht sogar in seltenen Fälle des „Zauderns“ lächelnd beckmessern, man muss auch nicht die wenigen, allzu pathetischen, hymnenartigen Ausreißer als vorbildlich herausstellen und man sollte ihm freundlichst das Überzeichnen verzeihen, so, wie man auch jedem Dramatiker den zu stark akzentuierten Einfall nachsieht, wenn er doch ein insgesamt stimmiges Werk vorlegt.
Zu diesem Werk gehören in nicht geringem Umfang die Vertonungen literarischer Klassiker: Brecht, Tucholsky, Kästner, Mühsam, Wedekind, Becher, Fürnberg, aber auch Mehring, Klabund oder Robert Gilbert alias David Weber. Sie sind zeitlos gut, vorbildlich interpretiert, ohne falsche Romantik und Sentiments. Die Verschlimmbesserungen durch moderne Attitüden mancher „Chansonsänger“ zeigen das ganze Dilemma heutiger, effekthaschender Auffassungen. Busch liebte die einfache Struktur, nicht die Pirouette. In den seltenen Fällen, da er selbst die Musik zu bestehenden Texten schrieb, nutzt er das echte Volksliedhafte im besten Sinne. Mehr noch, er erschloss sogar alte Verse zum neuen Gebrauch, indem er die sperrigen musikalischen Kunstlied-Vorlagen verwarf und sie in eine gängige Melodie kleidete. Hannes Wader sagte einmal sinngemäß, er habe „Die Ballade von der Hanna Cash“ erst für sich adaptieren können, als er auf die Busch-Komposition des Liedes stieß. Ähnlich gelagert ist der Fall bei der „Legende von der Dirne Evelyn Roe“. Erst Busch machte daraus ein auch singbares Lied mit regionalen Anklängen.
Die aktuelle Kultur der deutschsprachigen Linken bietet oft keinen überzeugenden Anblick. Wer sich nicht dem Sound der neuen Staatskünstler Marke „Tote Hosen“ hingeben will, muss sich mit Allerweltsplattitüden, Betroffenheits- und Sozialkitschlyrik, direkt aus dem Liz-Mohn- Kosmos für die durch die Regenbogen Presse gestählten Hausfrau begnügen. Die Umsetzung aktueller Stoffe in angemessene Formate fehlt fast völlig. Es bleibt auf dem Gebiet der Musik meist beim fragwürdigen Gewummere oder des im Mainstream schwimmenden, gut kanalisierten Scheinprotestest mit gefühligem Massenpop, Metaphorischem und allegorischem Einerlei. Soll man die Jugend dort abholen? Wenn sie sich lässt, gern! In dem man ihren Stil kopiert? Wieso sollte man das?
Aber es geht: Die jungen Leute hätten Probleme mit Ernst Busch, sagte jemand zu mir am Stand des Pressefestes. Damit muss man nicht leben, entgegnete ich. Junge Menschen wollen durch Erklärungen und Emotionen gleichermaßen an eine andere, nicht am Mainstream orientierte Kultur herangeführt werden. Auch in solch finsteren Zeiten, in denen die eigene Sprache zum exotischen Raum wird. Nachdem wir mit ihm ins Gespräch kamen („Bullshit“ sei die Meinung der Alten über die Musik der Jungen), kaufte dann doch ein 24jähriger zwei Ernst- Busch-CDs.
Ein anderer Mann zeigte sich besonders erfreut über die Tatsache, dass man „alles geschliffen hat, nur nicht den Namen der Schauspielschule“. Das zeigt, warf ich ein, dass man sich nicht traute: „Er war wohl zu groß.“ Wir freuten uns gemeinsam und sehr diebisch. Dass man die größte deutsche Schauspielschule weiterhin nach Ernst Busch benennt (ja bitte: nach wem auch sonst?), ist löblich, aber folgenlos, wenn man sich nicht für seinen Spin, respektive sein Handwerk, das an Brechts Vorgaben orientiert ist, interessiert. Schon richtig, viele Brechtepigonen haben das Theater oder den Film nicht besser gemacht, weil Wollen und Können zweierlei sind und Kopfgeburten ohne Körper unzulänglich bleiben müssen. Heute aber gibt es diese Vorgaben, dieses Ziel überhaupt nicht mehr. Man kann zudem keinen echten Menschen aus dem Volk darstellen, wenn sein Wesen unbekannt ist, sondern nur als Muttis Liebling und von ihren Gnaden, sein Dasein als ein kopistischer Zwischenwirt fristen. Doch nur mit dem Wissen um dieses Handwerk und mit wahrhaftiger Umsetzung kommen wir ein paar Schritte weiter, lernen vielleicht, neu zu laufen, zu stürmen und zu siegen.