(…) Jetzt will ich noch etwas sagen zu unseren westlichen Demokratien. Wenn wir unsere Zeitungen lesen, dann lesen wir immer, dass wir die Guten sind, die anderen sind die Bösen. Die anderen sind die Angreifer, haben angefangen und wir halten die Waffe nur in der Hand, um unsere hohen Werte zu verteidigen. Aber die Realität ist leider anders. Nur wir im Westen haben ein Militärbündnis, das NATO heißt. (…)
Die NATO-Länder sind verantwortlich für 70 Prozent allen Waffenhandels in der Welt. Diejenigen, die Kriege führen in der Welt, werden sie sehr wahrscheinlich mit unseren Waffen führen. Es gibt keinen anderen Staatenbund in der Welt, der etwas Ähnliches wie eine NATO hat. Warum haben wir das? Warum glauben wir, dass wir diese Art von Militär brauchen?
Im letzten Jahr hat der Wissenschaftliche Dienst des US-Kongresses einen Bericht herausgegeben, in dem steht, dass die Vereinigten Staaten seit dem Ende des Kalten Krieges mit Hilfe verschiedener Koalitionen von NATO-Partnern in 251 Fällen in anderen Ländern eingegriffen haben. Das heißt, die NATO und mehrere von unseren Mitgliedstaaten der NATO führen permanent Krieg. Es gab keinen Tag, wo wir nicht irgendwo im Krieg gewesen sind. Da sind die CIA-Operationen noch nicht mitgezählt. Auch Stellvertreterkriege wie der Ukraine-Krieg sind in dieser Zahl nicht enthalten. Es gibt keinen anderen Staat, kein anderes Staatenbündnis, das auch nur annähernd so oft militärisch in anderen Ländern eingegriffen hat wie der Westen.
Die Brown University, eine der größten Universitäten in den USA, hat in diesem Jahr einen Bericht verfasst über den „Krieg gegen den Terror“. Darin steht – das sind alles US-amerikanische Zahlen und keine Fake-News –, dass dieser Krieg seit 2002 4,5 Millionen Menschen das Leben gekostet hat, durch direkte und indirekte Einwirkung. Darin steht, dass dieser Krieg seit 2002 38 Millionen Menschen zu Flüchtlingen gemacht hat. Das ist unser Krieg gegen den Terror. Wir sind schuld an über vier Millionen zivilen Toten – ein sogenannter Kollateralschaden. Es gibt keinen anderen Staat, kein anderes Staatenbündnis, das verantwortlich ist für so viele zivile Tote.
Wir müssen umdenken. Und wir brauchen das nicht mit Waffen zu tun. Wir brauchen das nicht mit Gewalt zu tun. Ich denke, dass ein ganz kleines Wort das am besten beschreibt: Verstehen. (…) Wir müssen Ausgleich finden. Und das geht nur, indem wir das benutzen, was uns allen Menschen eigen ist: Verstand. Das kostet kein Geld. Dafür brauchen wir keine hundert Milliarden Sonderbudget. (…) Wir sollten jetzt der UNO-Charta folgen, die gesagt hat, wir müssen unsere Kräfte zusammenfassen, um den Weltfrieden zu bewahren. Erst dann können wir uns überlegen, in welcher Welt wir wirklich leben wollen.
Michael von der Schulenburg ist ehemaliger Stellvertretender Generalsekretär der Vereinten Nationen. Seine Rede wurde gekürzt und redaktionell bearbeitet.