Katastrophen allenthalben: Mit „Der Weltuntergang ist zu einem modischen Problem geworden“ war bereits 1986 ein Gespräch zwischen Stückeschreiber Heiner Müller (1929 – 1995) und Literaturkritiker Uwe Wittstock überschrieben. Der viele Unfug, der in den Jahren danach passierte und passiert – dem passionierten Leider Müller zur masochistischen Freude – verstetigte, was damals schon trendete. Heute: Die natürliche Lebensgrundlage kippelt bedenklich; ein Krieg mit zehntausenden Toten folgt nicht mehr auf den andern, stattdessen findet an großangelegtem Umbringen parallel statt, was die Arsenale hergeben – und wer von New Work etwas anderes erwartete als die hyperflexible Variante der gleichen alten Scheiße, muss bitter enttäuscht sein.
Bevor man von der „Tagesschau“ darüber unterrichtet wird, wer gerade Bomben auf den Kopf geworfen bekommt und wer daran schuld sein soll, wird man entsprechend mit bräsiger Werbung für einen „Klimathriller“ penetriert, an dessen Ende der von sich selbst gelangweilte Autor den Schinken der Kamera entgegenhält wie der katholische Geistliche das Kruzifix in die Fressen der Kirchgemeinde und darauf hinweist, dass es den Schund auch in der Drogerie gebe. Vielleicht aus Hoffnung, dass jene auf der Suche nach einem Erkältungsbad und anderer nicht verschreibungspflichtiger Medizin ein zu verschleimtes Hirn für korrekte Kaufentscheidungen haben und den üblen Schmöker tatsächlich aufs Band legen, um das ekelhafte Zeug beim Gesundheitsplanschen zu verzehren.
Die Welt also geht weiterhin in die Binsen und manche geben sich Mühe, dabei die schlechtestmögliche Figur abzugeben. Kein Wunder also, dass sich zur Mode der Apokalypse die Satire gesellt, die die Endzeit zu porträtieren sucht.
Oft geht es dabei feucht zu: Vergangenes Jahr zeigte Bov Bjergs Roman „Der Vorweiner“ ein weitflächig abgesoffenes Europa, 2020 ging (in wenig satirischer, vielmehr tragischer Haltung) in Roman Ehrlichs „Malé“ der maledivische Streckenabschnitt der Neuen Seidenstraße unter.
Nun wird die „Staublunge“ geflutet; so bezeichnet die Ich-Erzählerin in Elias Hirschls sechstem Roman „Content“ die ehemalige Bergbaustadt, in der sie gegen Geld Inhalte am Rechner generiert. Der Österreicher Hirschl mag sich für seine dystopische Post-Montanregion Inspiration geholt haben, als er 2022 als Stadtschreiber in Dortmund weilte.
Der Content, den die Protagonistin kreiert, ist dümmster Sorte: Sie verfasst Listicles, listenförmige Onlineartikel mit Schlagzeilen wie „Die 13 ekelhaftesten Brotbeläge“ oder „5 Momente, in denen Britney Spears mit ihrer Stimme direkt auf unsere Seele eingeprügelt hat“. Ob die Intelligenz, die derlei produziert, nun künstlich ist oder nicht, sie tut nichts als auf das Peitschengeknalle der profitgesteuerten Aufmerksamkeitsökonomie zu reagieren. So vollumfänglich entfremdet, hat die Hauptfigur vom Autor nicht nur keinen Namen bekommen, eine andere Person stiehlt ihr auch die Identität und den eh nicht gewollten Platz in der Familie. Kein Grund zu Kümmernissen, irgendwie geht es ja doch weiter als Angestellte von „Smile Smile“, einer in Russland und als Briefkastenfirma auf Zypern ansässigen Firma, die ihre Lohnsklavinnen für Schreibarbeit bezahlt, von der, nach Überprüfung und Korrektur durch Computerprogramme, am veröffentlichten Endprodukt nichts übrig bleibt.
„Wir sind nicht gemacht für diese Arbeit“, sagt dann auch eine Kollegin, nachdem wiederum eine andere Mitarbeiterin in einem Moment totaler Verzweiflung im Büro zur Selbstverstümmelung übergegangen ist. „Ein Algorithmus kriegt kein Burn-out. Eine KI sucht nicht um Krankenstand an, fordert keine Gehaltserhöhung, versucht keine Gewerkschaft zu gründen.“ Streikt nicht. Als beim Handels- und Liefermonopolisten Rabbiz nebenan Hunderte entlassen werden, regt sich Widerstand. Der am Rande ablaufende und antiquiert anmutende Arbeitskampf auf dem Untergang geweihten Boden entspricht in „Content“ dem Bild so mancher Linker, die der Einfachheit halber zur Partei der Resignation übergetreten sind.
Statt mit Optionen beschäftigt Hirschl sich mit dem herrschenden Schwachsinn: Tinderdate und Start-up-Junkie Jonas ist die Verkörperung von Christian Lindners Credo „Probleme sind nur dornige Chancen“; Jonas grämt der Welt, weil sie nicht rechtzeitig Rettungskräfte privatisierte, denn ein auf Konkurrenz basierender Notruf hätte sich durch Marktdruck optimieren müssen und so wäre seine Mutter vor dem Tod beim Eierkochen in der Küche gerettet worden. Hirschl transferiert hier, etwas überzogen, nur anmutend Realistisches in einen Roman, was man als Meinungsergüsse von Neoliberalen um und in die Ohren gehauen bekommt, sobald man den Flugmodus am Endgerät ausschaltet.
Stärker sind die Passagen des Romans, die zeigen, dass Widersprüche keine Totalschäden an Welt und Hirn verursachen müssen: Eine Studentin wird 1973 in Chile von Pinochets Putschisten erschossen, die Kugeln gehen durch die Stirn von Fritz Hoff auf dem T-Shirt der Getöteten. Diesen Fritz Hoff gab es nie, auch nicht im „Content“-Kosmos; er ist die zufällig geschaffene Ikone eines in der „Staublunge“ ansässigen Stahlproduzenten, die sich der Konzern zur Imagepflege angeeignet hat und dessen Konterfei seinen Weg durch die kulturindustrielle Ironiegesellschaft zur Oberfläche des Kampfes gegen den Faschismus findet und wiederum zum Emblem des Widerstands wird. Hirschl wendet auch das ins zeitgenössisch Negative: Der Zeichner der Kunstfigur Fritz Hoff, „die Bildrechte um ein Trinkgeld“ an den Konzern veräußert, erfährt eine Wallfahrt von chilenischen Studierenden, in deren Verlauf die Lage eskaliert und der Maler von einem seiner Fans versehentlich erschlagen wird. Ob es das Fritz-Hoff-T-Shirt auch bei Rossmann gibt, steht nicht in Elias Hirschls „Content“, wahrscheinlich, weil eine Erwähnung unnötig ist.
Elias Hirschl
Content
Paul Szolnay Verlag, 224 Seiten, 23 Euro